Dass der Antrag des Leipziger Jugendparlaments zu „Menschenwürdiger Pfandsammlung“ auch noch andere Aspekte hat als den von mit Scherben übersäten Wegen und Straßen und einer Gesellschaft, die die Welt in einen riesigen Müllhaufen verwandelt, macht jetzt die linke Stadträtin Naomi-Pia Witte mit einem eigenen Änderungsantrag deutlich. Denn die Kehrseite unserer Wegwerfgesellschaft sind bettelarme Menschen. Ob ihr Vorschlag dann wirklich der richtige ist, wird wohl nicht nur die Leipziger Stadtreinigung bezweifeln.
In diesem heißt es: „Die Stadtverwaltung wird beauftragt zu prüfen, inwieweit an den öffentlichen Abfallbehältnissen (Papierkörbe, Abfalleimer usw.) Ringe mit ‚Tupperdosen‘ angebracht werden können, um Menschen, die sich aus öffentlichen Abfallbehältnissen ernähren, eine Möglichkeit zu schaffen, nicht verzehrte bzw. nicht vollständig verzehrte Pausenbrote, Hamburger, Currywürste, Pommes u. ä. zu hinterlegen, damit diese dann aus den ‚Tupperdosen‘ halbwegs hygienisch entnommen werden können.“
Das ist zumindest ein beeindruckender Vorschlag, der aber ein Thema anspricht, das auch die Leipziger Politik gern verdrängt: Dass es auch hier Menschen gibt, die durch alle sozialen Netze gefallen sind und sich ganz unten, als Bodensatz der Gesellschaft versuchen durchzuschlagen und dabei auch Abfallbehälter nach Essbarem durchwühlen.
Naomi-Pia Witte: „Publikationen aus der jüngeren Vergangenheit (z. B. der Film ‚Hungrig – Essen aus dem Müll‘ der bekannten und preisgekrönten Dokumentarfilmerin Susanne Jäger) zeigen, dass es auch in dem reichen Deutschland Menschen gibt, die sich aufgrund einer persönlichen Notlage von Lebensmittelresten aus den öffentlichen Abfallbehältnissen ernähren müssen.“
Wobei sie betont: „Nicht zu verwechseln mit dem sogenannten ‚Containern‘, bei dem vornehmlich junge Menschen die von Supermärkten in Abfallcontainern entsorgten Lebensmittel herausfischen, um so auch unter anderem auf den Skandal aufmerksam zu machen, dass in Deutschland ein großer Teil der produzierten Lebensmittel nicht verzehrt werden, sondern im Müll der Supermärkte landen.“
Und auch vorher schon werden Nahrungsmittel, die nicht den Abnahmenormen entsprechen, vernichtet – weltweit landet so rund die Hälfte aller produzierten Nahrungsmittel auf dem Abfall. 2012 hatte eine Erhebung des Bundesgesundheitsministeriums ergeben, dass auch der deutsche Durchschnittshaushalt jedes Jahr rund 82 Kilogramm Nahrungsmittel in den Müll entsorgt. Im Umgang unserer Konsumgesellschaft mit Lebensmitteln spiegelt sich der gesellschaftliche Umgang mit Ressourcen, die natürlich nicht unendlich sind, aber auch die Schizophrenie, genug Nahrung für alle zu produzieren – und trotzdem gibt es Bevölkerungsgruppen, die sich das Lebensnotwendigste erbetteln oder aus dem Müll heraussuchen müssen. Auch in Leipzig.
„Da diese Abfallbehältnisse auch offiziell für die Entsorgung der Hundekotbeutel vorgesehen sind, besteht die nicht geringe Gefahr, dass sich Menschen, die sich Essensreste aus dem öffentlichen Müllentsorgungsbehältnissen zum Verzehr entnehmen, dadurch unter anderem auch mit Escherichia coli-Bakterien infizieren“, stellt Naomi-Pia Witte fest. „Schon alleine aus Gründen der Volksgesundheit scheint es deshalb angezeigt, ‚Tupperdosen‘ als Übergabestelle für Essensreste an den öffentlichen Abfallbehältern anzubringen.“
Ob das hilft? Wahrscheinlich nicht. Es verfestigt ja nur einen Notstand, der selbst schon das Problem ist. Das schöne reiche Deutschland ist schon längst wieder auf dem Weg zur guten alten Suppenküche. Das wäre zumindest der hygienischere Weg, den Bettelarmen zu ihrem täglich Brot zu verhelfen.
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Es gibt 6 Kommentare
Warum wühlen denn Menschen im Müll? Aus finanzieller Not.
Von daher: auskömmliche Regelbedarfe für alle Bedürftigen und vor allem: Weg mit Sanktionen!
Und hygienischer als im Müll wühlen zu müssen ist es allemal.
Doch, das machen meist die Ladeninhaber, wo diese aufgestellt sind. Oder halt die Menschen, die ihn aufstellen. Es sollten natürlich möglichst keine offenen Lebensmittel hinein. Es muss auch kein Kühlschrank sein, ein Regal für Lebensmittel, die nicht gekühlt werden müssen, reicht ja auch schon.
Und wer soll Kühlschränke sauberhalten? Das ist doch mit Hygiene gar nicht vereinbar!
Das geht noch einfacher. An möglichst vielen Stellen (z.B. Geschäfte) Kühlschränke für Foodsharing aufstellen und aktiv in Supermärkten dafür sammeln. Auch bei Privatpersonen dafür werben, damit z.B. vorm Urlaub die noch übrigen Lebensmittel geteilt werden können.
So kann man Lebensmittel vor dem Müll und Menschen vor unwürdigen Situationen bewahren.
In manchen Dörfern gibt es Gemüseregale, wo man reinlegt, was man selbst zuviel im Garten hat und rausnimmt, was fehlt. Es gibt so viel, was man tun kann.
Ich habe einen anderen Vorschlag: Diese Menschen müssten einen Ausweis erhalten (z. B. durch die Straßensozialarbeiter), die diese berechtigt, in Lebensmittelmärkten kostenlos an noch genießbare, aber für den Müll bestimmte Lebensmittel zu kommen, das wäre hygienisch eindeutig besser. Man kann und will sich gar nicht vorstellen, wie eklig es ist, Essen aus dem Müll zu fischen.