Leider wird einem diese Frage nicht nur beim Ankommen auf Partys gestellt, sondern auch am Flughafen. Wer sich dieser Tage dort tummelt, wird sich noch auf andere Lästigkeiten einstellen müssen: Es ist schließlich Ferienbeginn und damit eine hochfragile Zeit fürs deutsche Nervenkostüm.
Auf los geht’s eben los: In einer Anwandlung von Sandalis- und Stroh-Hutismus erscheint der Tourist, zur Erholung fest entschlossen, ausstaffiert bis Oberkante Unterlippe auf der Bildfläche. Nach einer harten Eingewöhnungsphase im Urlaubsland, in der er unter anderem lernen musste hinzunehmen, dass es einheimische Innen-Einrichter zu geben schien, die Hotelzimmer mit einem OFFENEN Sanitär-Bereich zu konzipieren beliebten, wird er – von einer Baseballkappe gesheltert – auf einer Mole stehen, den Horizont erspechten und sich doch selber im Gepäck haben. Aber für die Vorfreude direkt nach der Buchung, dafür hat sich der ganze Aufwand schon gelohnt. Danach aber wird es stetig bergab gehen. Sommervorbereitende Lektüre von Zeitschriften zum Beispiel nährt den Vorwurf der tatsächlichen Existenz einer Lügenpresse: Immer wieder dieselben Themen, die sich ums Sachgebiet Sommer ranken: „Urlaub in und mit Problemzonen“, „Brillieren mit Grillgut und Erdbeertorte“ und „Der Hautarzt empfiehlt: Mindestens Sonnenschutzfaktor 30 im Darkroom!“ – eine hochgradig unergiebige Sache!
Spätestens wenn man weiß, dass perfide geschwindelt ist, dass sich „ein kleines Bäuchlein in einem Bikini NICHT kaschieren lässt“ und dass man „mit auffälligen Mustern“ nicht nur „den Oberkörper in den Fokus rückt“, ist man angekommen in der schönsten Zeit des Jahres. Wenn nur die lästigen Einheimischen am Urlaubsort nicht wären.
Natürlich gibt es noch den Urlauber ganz anderer Prägung – jenen, der sich ein halbes Jahr vor dem Verreisen im Internet getummelt und die jeweils gefährlichsten Regionen der Erde ausfindig gemacht hat. Aus einem unerfindlichen Grunde scheinen beim fundamentalistischen Individualtouristen besonders jene exotischen Länder beliebt zu sein, die einen männlichen Artikel verlangen: Im Jemen, im Irak, im Tschad, im Hunsrück und im Vatikan lässt es sich offenbar extra-individuelle Urlaube genießen. Sein Zeltchen mindestens in einem Schützengraben aufzustellen oder in 16er-Zimmern einer Jugendherberge in einem Dritte-Welt-Staat zu nächtigen – das sind nur zwei seiner leichtesten Übungen. Das Gute an ihm: Er tritt selten in Hundertschaften auf (das liegt am Individuellsein) und er bringt nicht selten interessante Krankheiten mit nach Europa, die den Tropenmediziner seines Vertrauens begeistert in die Hände klatschen lassen.
Besonders Fortgeschrittene lassen sich auch als Geisel einer aufrührerischen Bande ihres Ziellandes nehmen und kehren als Renate Wallert für Monate in die Schlagzeilen der heimischen Presse zurück, bis diese das Interesse an ihnen langsam ausschleichen.
Echten Hardcore-Urlaubern aber reicht seltsamerweise schon ein Balkon zwischen prosperierenden Tomatengewächsen für die proaktive Erholung oder wenigstens: Ein Ort. Am Meer. Eine Kneipe. Ein Geschäft für das Nötigste: Melonen, Wein, Olivenbrot, Küchenrollen. Kein Getöse. Kein Bummbumm. Kein Plastik. So ein Ort eben, wo braungebrannte Aussteiger mit solchen sonnenhoniggelben Haaren leben, die im Sommer Schriftsteller sind und im Winter Alkoholiker.
Wie dem auch sei: Am Freitag haben in Sachsen die Sommerferien begonnen. Ziemlich früh in diesem Jahr und doch mit dem Wetter geradezu stimmig. Wer will sich schon bei 35 Grad selber perfektionieren …?
Und ganz gleich, welchen Reise-Prototyp man selber so repräsentiert: Der Sommerferienbeginn kann ein zauberhafter Meilenstein sein. Er hat das Zeug dazu. Schon immer. In jedem Lebensalter.
War einem als Kind dann nicht immer so, als ob die tausendfachen Optionen, die das Leben für einen parat zu halten schien, sich nunmehr um ein Nochmaliges vertausendzufachen schienen? Was wird man erleben in den vor einem liegenden Wochen, wen wird man kennenlernen und wie sehr verändert würde man ins neue Schuljahr aufbrechen? Vielleicht sogar als Mensch ganz neuen Typus’? Man hatte das Gefühl, die Sommerwochen besäßen das Zeug, einen positiv zu verändern. Egal ob man bei Oma Ehrentraut im Thüringer Gräfinau-Angstedt sitzen würde oder an der bulgarischen Schwarzmeerküste.
Das wäre doch in der Tat mal ein Traumziel: aus einem Sommer positiv verändert rauszukommen.
Doch Vorsicht: Die Gefahr für einen heißen Herbst potenzierte sich erheblich.
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