„Ich bin erschossen wie Robert Blum“, sagte meine Mutter früher immer, wenn sie so richtig erledigt von der Arbeit war. Wir Kinder wussten dann in unserer Harmoniesucht diskretes und wenig forderndes Verhalten an den Tag zu legen. Später hab ich auch mal nachgelesen, was mit diesem bedauernswerten Herrn Blum 1848 so passiert ist. Seit diesem Zeitpunkt hat sich aber nicht viel getan offensichtlich: Erschießen scheint nach wie vor en vogue zu sein. Oder wieder in Mode zu kommen. Denn die Deutschen rüsten wieder auf. Allein in Sachsen, so sagt uns die LVZ von gestern, seien fast 3.000 Kleine Waffenscheine im ersten Quartal dieses Jahres ausgestellt worden.
Auf jeden Fall mehr als das große Latinum. So richtig schlimm ist das aber für viele nicht. Waffenexperte Ingo Meinhard, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Büchsenmacher (!) und Waffenfachhändler, geht davon aus, dass nur ein kleiner Bruchteil der Besitzer des kleinen Waffenscheines tatsächlich mit Schreckschusspistolen auf der Straße herumlaufe, weil die Pistolen sehr unhandlich seien und viele gar nicht wüssten, wie man damit umgehe. Abgesehen davon, dass dann zahlreiche Deutsche auch nicht mehr mit dem Ehepartner raus dürften, will mich das nicht so richtig beruhigt zurücklassen.
Aber Spaß beiseite: Werden wir nicht wirklich immer hysterischer in letzter Zeit? Der Mitmensch bewaffnet sich zunehmend bis an die Implantate und alle reden immer nur von Antanzen, Einbrüchen und überrumpelndes In-den-Schritt-Fassen. Das macht doch keinen Spaß! Ich für meinen Belang habe in meinem Leben einmal im Rahmen eines „Gruppennachmittags“ in der Schule schießen müssen. Ein Mitglied der Kampfgruppen erklärte uns zackig was von Kimme und Korn und ich dachte immer nur „Kimme?! – Der Mann ist doch ein Arsch!“ und schoss wie mit dem G36 auf eine riesengroße Zielscheibe. Es war so was von erfolglos, sinnbefreit und fad, dass ich Schusswaffengebrauch bis heute keinen besonderen Zuwachs an Lebensqualität beizumessen vermag.
Ich bin aber auch eine Frau. Ich hatte es als Kleene eben nicht so mit Waffen. Bei kleinen Jungs mag das mit tieferem Grund von anderem Interesse sein. Und das ist auch völlig gut und richtig so. Spätestens, wenn man Umberto Ecos „Brief an meinen dreijährigen Sohn“ gelesen hat, lehnt man sich diesbezüglich erleichtert und aufgeklärter zurück. Dort schreibt er von seiner ausgesprochen kriegerischen Kindheit mit selbst gebastelten Blasrohren, Repetiergewehren und Armeen von Bleisoldaten zuhause, aus der er als ein Mann hervorgegangen sei, „der es geschafft hat, achtzehn Monate Militärdienst zu absolvieren, ohne ein Gewehr zu berühren, um stattdessen die langen Stunden in der Kaserne für intensive Studien der mittelalterlichen Philosophie zu nutzen.“ Sagt, was ihr wollt. Mich relaxt das mehr als eine Hot-Stone-Massage, von Jack Johnson ausgeführt.
Festhalten kann man in diesem klugen Text vor allem aber: Wenn Kinder mit ihren Spielzeugwaffen auf Seiten der Unterdrückten kämpfen (wenn sie von einem liebenden Erwachsenen eine Ahnung davon mitbekommen, wer die Unterdrückten denn überhaupt sind), setzen sie sich mit der Frage nach Gut und Böse auseinander und erkennen mit viel Glück (oder Unglück), dass im richtigen Leben die Grenze zwischen Gut und Böse nicht so einfach zu ziehen ist.
Wenn sie zu hinterfragen beginnen, ist alles richtig gelaufen, so Eco. Daher ermutigt er eindrücklich zu Misstrauen gegen Moralapostel und schreibt an seinen Sohn Stefano, dass er es kaum erwarten könne, dass dieser endlich alt genug sei, um ihm endlich ein reichhaltiges umfassendes Waffenarsenal angedeihen lassen zu können.
Lektüre kann – wie Krieg – auch Kollateralschäden haben. Eco-Lektüre ohnehin.
Deshalb ziehe ich aus dem Brief an Stefano auch meinen Schluss: Die kleinen Waffenscheinheiligen haben vielleicht recht mit ihren Besorgungen. Aber: Sie dürfen mit ihren Schreckschusspistolen noch nicht auf die Straße! Sie müssen noch einmal zurück damit ins Kinderzimmer oder in den Garten, um genau diese von Umberto Eco beschriebenen Stufen zu absolvieren.
Deshalb fordere ich: Bewaffnet euch, liebe Mitbürger. Lasst euch das schenken, was Umberto Eco seinem Stefano zu schenken wünschte: „… Gewehre. Doppelläufige. Mit Repetiermechanik. Schnellfeuer- und Maschinengewehre. Kanonen. Bazookas. Säbel. Kriegsstarke Heere von Bleisoldaten. Burgen mit Zugbrücken. Festungen zum Belagern. Kasematten, Pulvertürme, Panzerkreuze, Düsenjäger, MPs, Dolche, Trommelrevolver, Colts, Rifles, Winchesterbüchsen, Chassepot-, Garand- und Mausergewehre, Mörser, Musketen, Haubitzen, Bombarden, Feldschlangen, Arkebusen, Ballisten, Armbrüste, Katapulte, Schwerter, Speere, Lanzen, Piken, Hellebarden, und Enterhaken.“
Ballert euch mit all dem genannten Zeugs um die Ohren. Aber nicht bis der Arzt kommt. Kommt selber! Nämlich aus diesem Treiben geläutert raus! Friedlich wie ein Ölzweig und entgegen aller Gewohnheit, jenen, vom dem ihr meint, er gucke euch schon wieder schief an, einfach mal lächelnd zu entwaffnen.
Wäre das zumindest nicht einen Versuch wert? Für Auslöserdrücker-Fetischisten bleibt ja immer noch das Selfie.
Aber verwechselt bloß nicht die Geräte! 😉
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