Kürzlich traf ich mich mit einem netten Mann, den ich unter anderem deshalb so mag, weil man mit ihm aufs Unterhaltsamste albern sein kann. So war es auch diesmal: Tiefschürfende Gedanken machten halt auf brachialen Gemeinplätzen, Neologismen ergaben sich im bunten Reigen fröhlicher, schier unmöglicher Visionen, Bibelzitate ergossen sich unverschämt passend in eine Geschäftsgründer-Idee. Mit einem Satz: Ich war glücklich.
Nachdem wir uns ein bisschen über jene Würdeverlierer ausgelassen hatten, die neuerdings immer von „Spreche“ und „Denke“ reden, wenn sie die Art und Weise meinen, wie sich jemand ausdrückt oder über dessen Haltung, seine Denkweise oder gar seine Weltanschauung sinnieren, unterbrachen wir einander den ganzen Abend, alle möglichen Verben dergestalt zu substantivieren. Ja, auch das Wort, an das jetzt jeder denkt. Nachdem ich mich also für seine “Bezahle” der Getränke bedankt hatte, wandelten wir noch ein bisschen durch die helle Nacht, die „Scheine“ des Mondes war auch nicht zu verachten. Natürlich spricht man in solchen Situationen nur das Wesentlichste.
Über Rassismus zum Beispiel.
„Ich hätte nie einen Liebhaber haben können, der meine Ansichten über Rassismus nicht geteilt hätte“, soll die südafrikanische Schriftstellerin Nadine Gordimer einmal gesagt haben. Also, kurz gesagt: Keinen Sex mit Männern mit rassistischer “Denke”. Ein Satz – sehr nachvollziehbar für mich. „Ja“, werden etliche andere auch rufen, „für Rassismus darf man nicht sein. Leute, die für Rassismus sind, das sind ja Rassisten, die kann man natürlich nicht mit ins Bett nehmen.“
Doch hat dieser kleine Satz nicht weitreichendere Bedeutung? Heißt er nicht eventuell, dass man seine innere Haltung nicht an der Bettkante abgeben sollte, dass man in der schwelenden Schwüle des Hormonrauschs nicht doch vorsichtshalber noch einmal nachschauen sollte, was sich hinter der ansprechenden Ausstattung so für ein Mensch verbirgt – mit all seinen Ideen, Bedenken und Flausen im Kopp? Und eben auch seiner politischen Haltung, die doch eine ganze Menge über uns aussagt, nicht? Selbst dann, wenn sie gar nicht vorhanden zu sein scheint? Und kann einem diese Haltung des anderen dann egal sein?
Nur zur Vorsicht:
Ich denke nicht, dass zwei Menschen unbedingt das gleiche Parteibuch haben sollten, um eine kleine Leichtsinnigkeit in einer Mittsommernacht bei Vollmond, Grillengezirpe und Sternschnuppenregen zu begehen. Aber – um es einmal veranschaulichend auf die Spitze zu treiben – kann man leichten Herzens einen One-Night-Stand mit einem SS-Mann gehabt haben, im Wissen um seine Tätigkeit? Was fand die Gattin Stalins so faszinierend an dem Größenwahnsinnigen – bevor sie sich erschoss?
Was genau bewegt Frauen eigentlich, zu billigen oder zumindest einfach nicht hinzuschauen, was ihre Männer Unredliches auf politischem, wirtschaftlichem oder finanziellem Parkett so treiben – Unterstützung der geteilten Überzeugungen wegen mal ausgeklammert? Ist bei manch Gefährtin eventuell doch mangelnde “Denke” schuld oder die nur in Ansätzen ausgebildete “Spreche” des Gatten, der ihr die Welt erklären könnte? Denn wie konnte es schon wieder so weit kommen, dass das Mittelmeer nicht mehr ausschließlich für Kreuzfahrten genutzt wird und Halbverhungerte einem plötzlich en masse unter den Händen wegsaufen?
Wir, die Generation mit den buntesten Schulbüchern und den digitalsten Lernmedien ever, von der Reichhaltigkeit und Erreichbarkeit jeglicher Information ganz zu schweigen, stehen schon wieder staunend herum. Der Großvater hatte in unserem Alter nur zweimal geweint – aus Hunger. Wir selbst kennen nur Erlebnisdurst. Wie also konnte es so weit kommen? Aufschreie sind unsere Sache immer noch nicht, es sei denn, jemand Unattraktives glotzt uns ins Dekolleté oder der ZALANDO-Bote klingelt.
Wie konnte all das nur geschehen?
Niemand will wieder mal eine Ahnung von einer Ahnung gehabt haben. Aus heiterem Himmel sterben in Syrien ganze Bevölkerungsteile weg. Ohne unser Zutun wird die Balkanroute dicht gemacht. Ohne unsere Kenntnis sitzen in fernen Ländern System-Kritiker in Gulags. Ohne unseren Anteil herrscht Mord- und Totschlag in the whole wide world. In den Computerspielen unserer Kinder schießen sich Figuren tot. In den sozialen Netzwerken behandeln Menschen den Mitmenschen mit Worten, als sei der andere ein Ungeziefer, dass es zu tilgen gilt.
Heckler und Koch gibt es irgendwo. Das wissen wir irgendwie. Wir fragen aber nur selten nach Schnupperpraktika dort. In unserem Fernseher deportiert man unzurechnungsfähige Menschen in den Dschungel. Soll man das verfolgen? Ja? Nein? Vielleicht? Zugegeben: Es ist schwer, die Welt heute im Blick zu haben. Im Guten wie im Schlechten. Aber hingucken kann man doch zumindest, mit wem genau man Tisch und Bett so teilt. Und das nicht nur auf Facebook.
Denn irgendwo müssen all die doch sitzen, die den Zustand der Welt zu verantworten haben, oder nicht? Checkt einander also lieber als Vorspiel mal ab. Nach „Denke“„Spreche“ und „Tue“ zum Beispiel. Ganz Perverse sollen sogar nach dem “Aufrechtgehe” schielen. Im Hinblick auf die demographische Entwicklung des Vaterlandes aber dabei bitte nicht übertreiben. 😉
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