Eine „Zusammenkunft der Bewegungen des Willkommens, der Solidarität, der Migration und des Antirassismus“ wollen sie sein: jene Initiativen und Einzelpersonen, die sich am Wochenende im Rahmen des „Welcome 2 Stay“-Kongresses in Leipzig treffen. Die Themen Flucht und Asyl sowie die Frage, wie dem Rechtsruck in der Gesellschaft beizukommen ist, stehen dabei im Mittelpunkt der zahlreichen Diskussionen und Workshops.
„Wir sind viele, Hunderttausende, vielleicht Millionen.“ Mit diesem Satz beginnt der Aufruf der Initiative „Welcome 2 Stay“, die an diesem Wochenende in Leipzig einen Kongress veranstalten möchte. Gemeint sind jene Menschen, die im vergangenen Sommer – zur Hochzeit der sogenannten Flüchtlingskrise – selbst die Initiative ergriffen haben. Sie halfen Menschen auf der Flucht durch Europa, versorgten sie in Deutschland, als der Staat versagte, mit dem Nötigsten und halfen dabei, ihre Probleme und Interessen nach außen hin zu artikulieren. An die Spitze dieser solidarischen Bewegung wollte sich damals ausgerechnet Bundeskanzlerin Angela Merkel stellen, als sie sagte: „Wir schaffen das.“
Nur ein halbes Jahr später könnte die Ernüchterung größer kaum sein. Im Rekordtempo verabschiedeten die Parlamente zahlreiche Asylrechtsverschärfungen. Die Angriffe auf Geflüchtete nehmen weiter zu, obwohl nur noch wenige von ihnen Deutschland erreichen. Pegida, AfD und Medien wie „Compact“ schieben den öffentlichen Diskurs fast täglich ein Stück weiter nach rechts. Und Bundeskanzlerin Merkel geht erneut voran – um gemeinsam mit der restlichen EU einen Deal mit der Türkei zu vereinbaren, der nahezu alle Verzweifelten von Europa fernhält und das Sterben im Mittelmeer beschleunigt.
Im Moment sieht es so aus, als hätten die Menschenfeinde gewonnen. Doch schaut man genau hin, scheint sich die gesellschaftliche Linke langsam aus ihrer Schockstarre zu befreien.
Im Zuge der ernüchternden Landtagswahlen im März gründete sich beispielsweise das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“. Die Unterstützerliste reicht von Antifa-Gruppen über Künstler und religiöse Verbände bis zum Geschäftsführer von Pro Asyl. Auch die Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative“ wurde in dieser Zeit erstmals aktiv und organisierte später die Proteste gegen den Bundesparteitag der AfD in Stuttgart. In Sachsen ist die Initiative „Druck! Machen.“ an den Start gegangen. Mit einem Forderungskatalog will sie den „sächsischen Verhältnissen“ entgegentreten (mehr dazu im Interview in der Leipziger Zeitung Nr. 32).
Bei all diesen Bündnissen geht es unter anderem um Erfahrungsaustausch, Vernetzung und eine gemeinsame Perspektive für eine Rückeroberung des Diskurses. Genau diese Punkte stehen auch im Mittelpunkt des „Welcome 2 Stay“-Kongresses, der am heutigen Freitagabend mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Das Jahrhundert der Migration – Flucht, Grenzen, die ‚Willkommenskultur‘ und der Rechtsruck in Europa“ beginnt.
„Die zahlreichen Willkommensbewegungen haben die Menschen in einer Größenordnung aktiviert, die es seit zwei Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat“, ist sich Johnny Butzmann sicher. Er gehört zu den Personen, die den Kongress seit Anfang des Jahres vorbereiten und sich im Laufe der vergangenen zwei Wochen fast täglich getroffen haben. In Leipzig waren das Linxxnet und die Gruppe Prisma in die Vorbereitungen involviert. Zum überregionalen Initiativkreis zählen zudem unter anderem die Rosa-Luxemburg-Stiftung und Attac.
„Uns ist es wichtig, die Menschen aus den Willkommensbewegungen sowohl mit Geflüchteten als auch mit Aktiven aus klassischen NGOs und antirassistischen Bewegungen zusammenzubringen“, fährt Butzmann fort. Seiner Ansicht nach gibt es ein „gesellschaftliches Lager der Solidarität“, das sprachlos und zersplittert wirke. „Der politische Ausdruck dieser Menschen fehlt. Diese Sprachlosigkeit und Handlungsunfähigkeit wollen wir überwinden.“
Geschehen soll dies im Rahmen zahlreicher Panels und Workshops. Alle kreisen um die Themen Migration und Antirassismus, decken dabei aber dennoch ein breites Spektrum ab: Fluchtursachen und -wege, Abschiebung, Abschottung, Gesundheit, Arbeit, Wohnen, Bildung und schließlich die Frage, wie Geflüchtete sich selbst besser organisieren können. Ebenso vielfältig wie die Themen sind die geladenen Referenten, darunter Vertreter von aktivistischen Gruppen, Flüchtlingsräten, Rechtshilfeinitiativen und politischen Parteien. Prominentester Gast dürfte Linke-Chefin Katja Kipping sein.
Laut Butzmann haben sich bislang etwa 350 Personen für den Kongress angemeldet. Die Teilnahme ist kostenlos, lediglich für Verpflegung und Schlafplatz auf dem Kongressgelände werden kleine Spenden erbeten. Alternativ finden sich auf der Homepage derzeit mehrere Dutzend Angebote für private Schlafgelegenheiten in Leipzig. Hinzu kommen die zahlreichen Referenten und unterstützend tätigen Personen. Darunter befinden sich auch Dolmetscher – benötigt werden noch solche, die Arabisch und Farsi sprechen.
Inklusive Laufpublikum rechnet Butzmann mit etwa 500 Teilnehmern. Der Kongress findet im Pavillon der Hoffnung auf dem Alten Messegelände statt. „Wir müssen schauen, wie das angenommen wird. Schön wäre es, wenn wir anschließend in einem noch breiteren Kreis weiterarbeiten könnten.“
Das komplette Programm im Internet: http://welcome2stay.org/de/programm/
Livestream von den Podiumsdiskussionen: https://www.youtube.com/watch?v=UbaOVKoEaIg
Die L-IZ wird am Wochenende von dem Kongress berichten.
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