8. Mai. Tag der Befreiung und Muttertag in einem. Das sieht nach schwerer Bedeutungsschwangerschaft aus. Man kommt kaum umhin, das Verbindende zwischen beiden Gedenkanlässen zu suchen. Reden wir deshalb nicht lange rum. Reden wir über GEFANGENSCHAFT!
GEFANGEN. So lautete das diesjährige Thema des zu einer schönen Tradition gewordenen Literaturwettbewerbs, den das Amtsgericht Leipzig vor einigen Jahren für Leipziger Schulen ins Leben zu rufen wusste. Mitmachen dürfen alle Schüler, die irgendwo zwischen der 5. und der 12. Klasse ihrer Schulpflicht nachkommen und das in allen erdenklichen Schularten.
Sogar ich darf mitmachen seit vier Jahren – allerdings in der Jury. Das heißt, man liest sich innerhalb eines kleinen, erlauchten Trüppchens von Juristen, Gymnasiallehrern, Germanistik-Professoren und Journalisten im frühen Frühjahr durch etwa 400 kg Schüleraufsätze, Collagen und Gedichte, ist in dieser Phase manchmal mehr und manchmal weniger begeistert über seine Idee, diesbezüglich zugesagt zu haben, hinterher aber ist man immer froh. Ich jedenfalls.
Weil ich dadurch stets einen unglaublich großen Zuwachs an Zuversicht fühle. Nicht unbedingt Zuversicht in die wachsende Orthographie-Festigkeit junger Menschen, aber in ihre Klug- und Interessiertheit, die sich über ein weitschweifendes Themenspektrum zu erstrecken scheint. Vielleicht ist die heutige Jugend weniger intensiv in ihrem Handeln, aber dafür brillant in der Extensivität. Dies in irgendeiner Form zu werten, interessiert mich schon lange nicht mehr. Mit ständiger Ablehnung der offenkundig herrschenden Entwicklungen kommt ja auch kein Schwein weiter.
Vielleicht war es aber nur ein zufälliger Gastmannscher Blick durchs Astloch.
Erstaunlich aber war in jedem Falle, wo man sich laut der Beiträge der jungen Schreiber so überall gefangen vorkommen kann: in einer Krankheit, im falschen Körper, in einer verbotenen Liebe einer Minderjährigen zu einem erwachsenen Mann, im täglichen zermürbenden Einerlei, im Zoo als dessen Insasse, im Sog der Computerspiele … nicht enden wollend waren die unterschiedlichen Szenarien, die da heraufbeschworen wurden.
Ich genieße diese Reise durch die Ideen junger Köpfe sehr. Geben sie doch einerseits Anlass zu der Vermutung, dass Deutschlehrer ein wunderbarer Beruf sein muss und andererseits Einblick in die Tatsache, dass Hopfen und Malz in dieser Welt noch lange nicht verloren sind. Und falls doch, auch wiedergefunden werden können. Auch wenn mit „weil“ kaum noch ein Nebensatz eingeleitet wird.
Gleichermaßen stelle ich mir vor, was ich wohl beizutragen hätte – zu diesem Gefangensein-Thema. Welche Art von Gefangenschaft für mich wichtig genug gewesen wäre, bei diesem Wettbewerb mitzutun. Vielleicht ist der Muttertag nicht ganz unschuldig daran, dass ich mich an das große Geschrei erinnerte, das im vergangenen Jahr losbrach, als die israelische Soziologin Orna Donath ihre Regretting-Motherhood-Studie veröffentlichte, in deren Rahmen 23 Frauen angegeben hatten, dass die Idee mit der Mutterschaft vielleicht nicht die beste ihres Lebens gewesen sei.
Abhängigkeit, Anstrengungen, Unfreiheiten, all das, was ein Mutterdasein so mit sich bringt, darauf hätten sie im Rückblick auch verzichten können, so der Tenor der Mütter. Das kann man ja erst einmal so stehen lassen. Kein Mensch ist gerne festgezurrt (ich am allerwenigsten) und im Dauereinsatz. Das schlaucht, keine Frage.
Mal ist das Kind krank und schlapp und will vier Treppen hochgetragen werden. Man ist aber selber schon ganz schlapp vom Tag. Mist! Nachts hustet, fiebert, keucht es. Man muss viermal aufstehen, die Frisur steht auf Sturm und was zu trinken bringen. Oder man sitzt gerade in einem Vorstellungsgespräch, bei dem das Kind still in der Ecke spielen soll und es stattdessen nach fünf Minuten sagt: „Mami, ich muss mal.“ Das entbehrt jeglicher Sexiness, die aber immer überall so wichtig zu sein scheint.
Dann ist da noch die sagenhafte Premiere im Theater, wo man so gerne … sofort abwinkt, weil man sowieso nicht hin kann. All das potenziert sich mit der Zahl der Kinder. Oder mit einer eventuellen Problemhaftigkeit eines der Kinder. Und doch: Ich habe als „umtriebige Type“ (Zitat: meine Mutter) sicher manchem Termin wehmütig Adieu gesagt, den ich gerne wahrnehmen wollte. Und so kann ich auch heute vieles nicht so spontan tun, wonach mir sehr sehr sehr wäre …
Eines aber ist ausgeblieben: Noch nie beutelte mich der Gedanke, dies aufs Kind zu projizieren oder alles rückgängig machen zu wollen. Und dabei muss ich gar nicht die Argumentationsschiene fahren, Kind „gebe so viel zurück“. Natürlich tut es das, aber bereichernd finde ich besonders die natürliche Begrenzung meiner Möglichkeiten. Akzeptieren zu müssen, dass es eben auch heutzutage das ganz große Glück nicht zum halben Preis gibt, finde ich gut.
Denn es ist ja so: Ganz ohne Entbehrungen geht es eben immer noch nicht, wenn man Kinder hat. Trotz Wunschtermin zum Kaiserschnitt, trotz Alarmmatratze und rosa-roter Hello-Kitty-Erstausstattung.
Irgendwas ist ja immer mit den Bälgern. Wer aber sagt, dass danach per se überhaupt kein Platz mehr ist im Leben für mal Faul- oder Hedonistischsein oder fürs Ausleben von ein paar Rest-Frivolitäten? Genießt man sie im Angesicht der gegebenen Restriktion vielleicht sogar mehr?
Prof. Hans-Joachim Maaz, ein hierzulande zu Recht sehr populärer, sehr heller Kopf unter den Psychoanalytikern, vertritt die Ansicht, dass es für ein Kind das Wichtigste sei, eine heitere, stabile Mutter zu haben. Eine, die ihm vermittele, dass es willkommen und nicht die lebenslange Projektionsfläche ihrer Wünsche sei. Sie müsse das Kind erkennen in seinen Stärken und Schwächen und es nicht als Abklatsch ihrer selbst verstehen. Dazu sei es gar nicht vonnöten, mindestens zehn Jahre lang 24 Stunden omnipräsent zu sein, aber sie müsse eben dieses Gefühl rüberbringen.
Eine sehr wohltuende und praktikabel erscheinende Leitlinie, wie ich finde. Ob aus dem eigenen Kind ein guter Mensch wird, vermag ohnehin niemand mit absoluter Garantie vorherzusagen. Ob alle Blütenräume reifen werden, man wünscht es sehr, aber ob es gelingt?
Sicher aber ist, dass ich weiß, dass es noch immer viele Menschen als eine der besten Ideen ihres Lebens ansehen, ein Kind zu haben. Kinder, die unter anderem 400 kg Seiten für einen Literaturwettbewerb schreiben, um ihre Gedanken und ihre Sicht auf die Welt kundzutun. Einem Wettbewerb, wo bedauerlicherweise nur wenige prämiert werden können.
Gewonnen aber haben sie alle. Nämlich mich.
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