„Wie oft heutzutage das Wort ‚Intelligenz‘ in den Mund genommen wird, da wird man ja ganz blöde davon.“ Recht hatte er, der aufgebrachte Kollege, der mir letztens auf meine Frage – „Warum verstehen sie nicht, was ‚soziale Kompetenz‘ bedeutet? Das sind doch intelligente Menschen.“ - antwortete. Also alles gleich beim Sich-Wundern, Schmunzeln und Kritisieren? In der eigenen kleinen Welt? Aus der eigenen Scheuklappenperspektive?
Spätestens in diesem Jahr, dem fünfzehnten des neuen Jahrtausends, merkt selbst der hartnäckigste Ignorant und beflissene Bausparer, dass nichts mehr so sein wird, wie es war. Die Schulbürokratie tut sich da noch etwas schwer; immerhin gibt es schon zum Lehrerprüfpreis aktuelle Themenhefte wie „Flüchtlingskrise“ bei diversen Schulbuchverlagen. Für die Fächer Ethik und Gemeinschaftskunde wohlgemerkt, auch wenn man es beim ersten Lesen der thematischen Überschrift vielleicht dem Biologie- oder Geografiekollegen ins Fach stecken möchte.
Nein. Die Welt verändert sich, und wir stehen vor der Frage, ob wir uns neben den gewachsenen ökonomischen Anstrengungen vor allem und zuerst sozial intelligent mit-verändern können. Im Kollektiv. Im „Schwarm“ zur gemeinsamen Anstrengung in der Lage sind, zu teilen, abzugeben, sich vom Glauben zu verabschieden, dass „der Markt“ schon irgendwie alles regeln wird. (Bezeichnend diese Virtualisierung einer scheinbar unaufhörlich sprudelnden Wohlstandsquelle, an dessen Glauben man gerade vor der Weihnachtszeit wie an einem Glühweinbecher hängt.)
Irgendwie scheint alles konkret zu werden.
„Er ist wieder da“ der Nazi, der Bürger, der seine politische und soziale Verantwortung gerne abgeben möchte, sie einer autoritär-populistischen Staatsführung treu auf den Altar der Fremdverwertung und Selbstentmündigung legen möchte. Dabei war er nie wirklich weg. Wie das Kind, das dem Weihnachtsmann etwas Selbstgebasteltes überreicht, um dann mit der geschenkten Puppenstube – „Hast du auch ‚Danke‘ gesagt?“ – wieder abzieht. Erwartungen, welche auch immer, erfüllt, um dann den Lohn für das Wohlverhalten zu bekommen. Sie sind das gefundene Fressen für die Demagogen und Populisten, welche sich an den gestiegenen Zahlen auf Marktplätzen der Städte berauschen, weil – von ihnen rechthaberisch behauptet – ein „Schwarm“ Volk zuläuft, welcher dann gleich für das gesamte gehalten wird. (Auch eine Art von Virtualisierung oder besser Wahrnehmungsverzerrung.)
Seien wir ehrlich: Wir alle haben es mit zu verantworten. „Ich bin doch pünktlich, Herr Jopp.“ Hörte und höre ich sehr oft, diesen Satz, welcher mir von dem braven Geschenkeempfänger vorgetragen wird. Soll heißen: Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, was kann ich dafür, wenn die Anderen ihren Timeplaner noch nicht auf Winterzeit umgestellt und gepennt haben? Ist es meine Schuld, dass ich korrekt und pünktlich gearbeitet habe? – „Nein, ist es nicht, Philipp. ‚Schuld‘ kannst du sowieso aus deinem Wortschatz streichen. Wir sind hier nicht vorm Kriegsverbrechertribunal.“
Wie erklärt man es, dass es eine konstruktive und eine destruktive Seite des Gehorsams gibt? Dass sich soziale Intelligenz zum Schwarm formieren kann, damit dann kreative, sachbezogene Lösungen neu entstandener Probleme entstehen können? Ich kann das doch nicht mit dem „Ameisenstaat“ symbolisieren! (Dann schon eher mit den „Minions“, oder wie diese einäugigen gelben Radiergummis heißen. – „Sie haben keine Ahnung!“)
Unser Grundgesetz, unsere Verfassung steht auf dem Prüfstand.
„Eigentum verpflichtet“ heißt es dort in Artikel 14. Sind wir in der Lage, sie in den Temperaturnuancierungen der „kalten“ und „heißen“ Kriege der Gegenwart noch mit Leben zu erfüllen? Oder erfrieren wir, werden „eiskalt“, bleiben bei den psychologischen Grundmustern unserer „Hochkultur“, die mit Verleugnung, Verschleierung, Herrschaft und Besitz beginnen?
Hinterfragen wir. Wo liegen die Wurzeln unserer Angst und Verunsicherung, unserer Rechthaberei – individuell oder kollektiv? Liegen sie nicht auch in einer Ordnung, die keine Grenzen kennt, kennen soll und sie dann umso wilder den „Gästen“ vorhält? Ja, denn man teilt in unserer Gesellschaft ungern „Leistungsergebnisse“. Und nein, denn das hängt auch von uns ab. Ist es nicht erstaunlich, dass wir seit Jahren über „Globalisierung“ schwadronieren, um dann zu befürchten, dass der Weihnachtsmann zu Silvester vielleicht alle Geschenke wiederhaben will?
Ja, so ist es. Es ist erstaunlich, wie starr und porös mancherorts grundgesetzliche Werte wie Toleranz, Freiheitsverständnis und Sozialkultur sind, wenn sie nur für eine Dorf- oder Hausgemeinschaft gelten und in der Nachbarschaft ruhig die Lichter ausgehen können. Lassen wir sie brennen. Die Lichter. Und nichts anderes.
„Jedes Lebewesen braucht für seine Existenz Stimulation. Um geistig zu überleben, braucht ein Mensch diese Stimulation auch in zwischenmenschlichen Beziehungen. Isolation begrenzt nicht nur das Bewusstsein, es führt auch zum Wahnsinn.“ (Arno Gruen, Wider den Gehorsam, 2014)
Ein Schwarm reicht nicht aus. So fliegen auch die Vögel im Herbst gen Süden. Lasst uns „Mehr Intelligenz wagen!“ In jeder Hinsicht.
Das Bildungsalphabet erschien in der LEIPZIGER ZEITUNG. Hier von A-Z an dieser Stelle zum Nachlesen auch für L-IZ.de-Leser mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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