Rastlos rückt er näher: der 100. Katholikentag, der vom 25. bis 29. Mai Leipzig in Stimmung bringen wird. Vielleicht sogar eine Stimmung voller Skepsis, Vorsicht, Überraschung und Verwirrung. Denn ganz ohne Grund hat man sich ja die rebellische Stadt im protestantisch-atheistischen Osten nicht ausgesucht. Man will sich reiben. Ist nur die Frage: Spielen die Leipziger mit?

Die vergangenen 99 Katholikentage fanden zumeist im tief katholischen Westen und Süden statt, der erste 1848 in Mainz. Nicht ganz zufällig im Revolutionsjahr. Denn auch die deutschen Katholiken spürten damals, dass die Zeiten sich änderten und auch die Kirche gut täte, sich den Fragen der Zeit zu stellen. Zuletzt war man in Regensburg. Katholischer geht’s in Deutschland kaum noch. Nach Berlin hat man sich schon mehrfach getraut. Aber Leipzig, das ist schon aufgrund der Zahlen zur Religionszugehörigkeit eine Herausforderung: Ganze 4,4 Prozent der Leipziger sind Katholiken, weitere 11,7 Prozent Protestanten.

Wenn man also einer zutiefst ungläubigen Stadt begegnen möchte, könnte das der richtige Ort sein. Aber das war gar nicht der Grund für die Wahl. Der steckt vielmehr im gewählten Titel für den Katholikentag: „Seht, da ist der Mensch“. Das ist zwar auch wieder zutiefst biblisch. Aber keine andere Stadt steht so exponiert für die gesellschaftlichen Fragen und Verwerfungen, die die Bundesrepublik derzeit bewegen, wie Leipzig.

Tipp für die Leipziger: Ab in die Stadtbibliothek

Deswegen gibt es auch einen eigenen Themenbereich, der sich ganz und gar mit diesem Thema beschäftigt: „Leben mit und ohne Gott“. Der ist in der Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz lokalisiert – und der Eintritt kostet nichts. Die Leipziger sollen hinkommen, mitmachen, mitdiskutieren. Die Veranstalter des Katholikentages legen es regelrecht darauf an. Sie wollen mit den Leipzigern ins Gespräch kommen. „Mit den ganz gewöhnlichen Leipzigern“, betont Theodor Bolzenius, der Pressesprecher des Katholikentages. Und weiß selbst, dass das seltsam klingt. „Katholiken sind ja auch ganz gewöhnliche Menschen. Aber Sie wissen schon, wie ich das meine.“

Eine Gratwanderung? Oder ein Versuch, die Zeit tatsächlich an der Wurzel zu packen?

Denn die großen Fragen der Zeit werden schon lange nicht mehr allein in den Heiligen Hallen der Kirchen geklärt. Sie überschreiten alle Konfessionen. Und sorgen oft genug für heftige Missklänge bis in die hohe Politik, weil die Fähigkeit zur gesellschaftlichen Debatte oft an der Engstirnigkeit der Diskutierenden scheitert. Selbst wenn sie eigentlich ganz Ähnliches wollen. Oder irgendetwas anderes wollen – und dabei unhöflich werden bis zur Rücksichtslosigkeit.

Kleine Themenliste: „Kann denn Gender Sünde sein?“, „Kann denn Liebe Sünde sein?“, „Frauen leiten anders, Männer auch“, „Zölibat und Geschlechterverhältnis“, „Tschüss Macho oder willkommen zurück?“ – alles in der Stadtbibliothek.

Das ist nur eine winzige Auswahl aus über 1.000 Veranstaltungen. Die meisten kann man nur besuchen, wenn man sich das Eintrittsbillet besorgt. Denn gedacht sind Katholikentage als großes Fest zur Selbstverständigung für katholische Laien. Regelmäßig treffen sie sich fünf Tage im Jahr, um über Gott, Welt und Gesellschaft zu debattieren, Kultur zu erleben, gemeinsame Gottesdienste zu feiern, ein paar davon öffentlich. Auch in Leipzig. So wie die Eucharistiefeier gleich am Donnerstag, 26. Mai, 10 Uhr auf dem Augustusplatz, wo am Sonntag, 29. Mai, auch der Hauptgottesdienst stattfindet.

Sich einladen lasen: auf der Grimmaischen

In der Innenstadt wird man der Sache gar nicht ausweichen können. Die Grimmaische Straße wird praktisch die ganze Zeit zum Hinsetzen und Kontaktaufnehmen einladen. Trauen sich die Leipziger? Das wird eine große Frage. Besonders am Samstag, 28. Mai, ab 19 Uhr auf der Grimmaischen Straße. Denn dann gibt es ein großes Straßenfest, bei dem ausgerechnet die Katholiken ihre Gastgeber, die Leipziger, zum Dinner einladen wollen. Das muss man sich erst mal trauen: sich einladen zu lassen. Denn natürlich begegnen sich hier Welten, die sich in den vergangenen 500 Jahren nicht mehr berührt haben. Die Leipziger wissen zwar, wie man Feste feiert – aber mit kirchlichen Festivals haben sie eher keine Berührung.

Was auch nicht ganz stimmt. Denn gerade Leipzig ist ja eine Stadt, in die aus allen Himmelsrichtungen zugewandert wird. Deswegen wissen die Veranstalter auch gar nicht 100-prozentig, wer alles zum Katholikentag kommt. Denn hunderte Gäste werden einfach bei Freunden und Bekannten unterschlüpfen, sind auch auf die gewaltige Unterbringungs-Logistik nicht angewiesen. Immerhin gab es schon eine kleine Enttäuschung: 4.000 Betten für private Übernachtungen hat man mit großer Kampagne in Leipzig gesucht – gefunden hat man 2.700. Und weiß nicht so recht: Ist das nun viel oder wenig? Für 800 Anfragen wurde noch kein privates Quartier gefunden.

Dafür gab es einen Glücksfall, der so richtig zu den Umbrüchen der Zeit gehört: Der Freistaat Sachsen konnte die mittlerweile leerstehende Erstaufnahmeeinrichtung an der Braunstraße kurzerhand zur Verfügung stellen. Auch das eine Art Abenteuer: 300 Betten in einer eigentlich für die Flüchtlingshilfe vorgesehenen Unterkunft.

Die Stadt selbst hat 30 Schulen zur Verfügung gestellt. Da fällt dann an einigen für zwei Tage der Unterrichtsbetrieb aus, weil vor allem junge Katholikentagsteilnehmer in den Klassenräumen übernachten.

Interreligiöser Dialog: natürlich in Leipzig

Insgesamt sind 30.000 Dauergäste für den Leipziger Katholikentag gemeldet, mit 15.000 bis 20.000 Tagesgästen wird gerechnet. Wobei durchaus die Frage bleibt: Kommen da die Gäste aus dem katholischen Eichfeld und der Lausitz alle angereist? Immerhin liegt das ja für sie quasi vor der Haustür.

Wobei man sich durchaus bewusst ist, dass man es hier im Osten mit einer katholischen Kirche zu tun hat, die ganz und gar nicht so breite Schultern hat wie die im Süden oder Westen. Deswegen hat sich das Bistum Dresden-Meißen als Gastgeber Unterstützung geholt von den benachbarten Bistümern in Erfurt, Görlitz, Magdeburg, Berlin. Das wird man auch sehen können, denn sie bespielen den Wilhelm-Leuschner-Platz als „Platz der ostdeutschen Bistümer“.

Ab dem 19. April, so kündigt Katrin Schomaker vom Presseteam an, wird sich Leipzigs Innenstadt so langsam für den Katholikentag ausstaffieren. Und über eins sind die Organisatoren jetzt schon froh: dass sie nicht auf die Neue Messe gegangen sind. Denn da wäre man dann wirklich allein und unter sich gewesen. Aber genau das will man nicht. Auch nicht, weil einige Veranstaltungen deutlich über das Inner-Katholische hinausgehen sollen. Denn dieses Mitreden bei den Themen der Zeit, das ist ernst gemeint. Deswegen gibt es – neben einem starken ökumenischen Anteil im Gesamtprogramm – auch einen Extra-Themenbereich „Christlich-jüdischer Dialog / Christlich-islamischer Dialog“. Denn wenn Religion wieder – wie in der Gegenwart – missbraucht wird, um Gewalt und Krieg zu schüren, dann ist wieder Lessing-Zeit: Dann müssen die großen Religionen wieder miteinander reden und den Fundamentalisten die Rote Karte zeigen.

Dafür ist Leipzig ebenfalls der richtige Ort.

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