LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus Ausgabe 30Das umstrittene Abkommen โTransatlantic Trade and Investment Partnershipโ โ kurz TTIP โ zwischen USA und Europa ist seit dem Beginn der Verhandlungen im Jahre 2013 wohl v. a. deshalb in der Kritik, da kaum Transparenz in die Verhandlungen rings um Verbraucherschutzfragen, Normen und fallende Zรถlle zu bekommen ist. Der letzte Coup in Sachen Ausschluss der รffentlichkeit namens โLeseraumโ dรผrfte dabei allen Interessierten gut im Gedรคchtnis geblieben sein. Unter Androhung โdisziplinarischer und/oder rechtlicher Maรnahmenโ durften die Parlamentarier fรผr jeweils zwei Stunden einen Blick in die Verhandlungs- und Vertragsunterlagen โ ausnahmsweise auch auf einige Unterlagen mit US-Positionen โ werfen.
Die Bilder konsternierter Bundestagsabgeordneter, welche nach ihrem TTIP-Fachchinesisch-Studium mit Maulkorberlass vor die TV-Kameras traten, gingen reihum. Nahezu ausnahmslos war man sich einig: So ist keine รberprรผfung der Unterlagen mรถglich, der Erkenntnisgewinn liegt bei nahezu null. Von den untersagten Debattenmรถglichkeiten ganz zu schweigen. Auf der Ebene der EU das gleiche Problem, trotz bereits erfolgter Zustimmung zu den Verhandlungen. So meldete Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grรผnen: โEs gibt weiterhin ein riesiges Transparenzproblem. TTIP ist wie ein Vampir, der im Licht nicht รผberleben kann. Weiterhin kรถnnen selbst Europaabgeordnete viele wichtige Verhandlungsdokumente nicht einmal einsehen.โ Die Begrรผndung lautet: Datenschutz โ v. a. fรผr die Konzerne, welche ihre Interessen im Rahmen der Verhandlungen durchzusetzen versuchen.
Abstimmen muss der Bundestag dennoch โ nur worรผber?
Gut, dass es als weitere Mรถglichkeit der Einschรคtzung fรผr die Abgeordneten den โSachverstรคndigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklungโ โ umgangssprachlich: die fรผnf โWirtschaftsweisenโ โ gibt. Das seit 1963 bestehende Beratungs-Gremium der Bundesregierung hatte sich in seinem Jahresgutachten 2015/16 ebenfalls mit TTIP beschรคftigt und kam zu einem durchaus positiven Ergebnis, wenn auch mit einigen Verbesserungsvorschlรคgen. So heiรt es im Gutachten in Kapitel V. โVoraussetzungen fรผr mehr Wachstum in Deutschlandโ unter der รberschrift โTTIP: Handelserleichterungen und Investitionsschutzโ u. a.: โDas Abkommen verspricht, durch Erleichterungen beim Handel zwischen den Vereinigten Staaten und der Europรคischen Union wohlfahrtsschรคdliche Verzerrungen zu verringern und den Auรenhandel zu fรถrdern.โ Weiterhin stellten die Wirtschaftsweisen fest, dass โTTIP aus wirtschaftlicher Sicht gerade fรผr die Exportnation Deutschland von groรer Bedeutungโ sei. So wรผrde sich mit dem Abkommen โeine Vereinheitlichung industrieller Normen und Standardsโ realisieren lassen und dieses durch โvereinfachte Zulassungsverfahren ein enormes Potenzial fรผr Kostenreduktionenโ bieten.
Zwar rรคumt das Gremium unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Christoph M. Schmidt vom Rheinisch-Westfรคlischen Institut fรผr Wirtschaftsforschung (RWI) ein, dass es bei den schwer umstrittenen, geheimen Schiedsgerichten wenigstens einen unabhรคngigen Richter und eine Berufungsinstanz รถffentlicher Natur geben mรผsse, doch im Gesamten betrachtet, solle die notwendige รffentlichkeit bei Konzernklagen hinter den Vorteilen zurรผckstehen. Produktivitรคtssteigerung, Effizienzgrรผnde und Wachstum stehen auch bei den Wirtschaftsweisen im Vordergrund โ fรผr TTIP gaben sie so den Abgeordneten ein klares Ja mit auf den Weg.
Ein Netzfundstรผck โ echt oder nicht?
Am Anfang war da eine gewisse Verwunderung bei Karl Schumann (Name geรคndert) โ und unglรคubiges Kopfschรผtteln bei der Frage, ob das Papier, welches er aus dem Netz gefischt hatte, รผberhaupt echt sei. Vor ihm lag eine Antwort der Staatssekretรคrin und Bundestagsabgeordneten Iris Gleicke (SPD) auf eine kleine Anfrage von Roland Claus (MdB, Die Linke) vom 3. Mรคrz 2016. Wissen wollte der Bundestagsabgeordnete darin, โauf welchem Weg โฆ die Mitglieder des Sachverstรคndigenrates die erforderlichen Kenntnisse bezรผglich des Inhaltes der geheimen TTIP-Unterlagen erlangtโ hรคtten, die sie in die Lage versetzten, โim Jahresgutachten 2015/2016 des Sachverstรคndigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung die Aussage zu treffen, dass von TTIP positive Effekte zu erwarten sind.โ
Die Antwort der Parlamentarischen Staatssekretรคrin Gleicke vom 3. Mรคrz lautete u. a.: โDie Aussagen des Sachverstรคndigenrates setzen nach Auffassung der Bundesregierung keine Kenntnis der TTIP-Verhandlungsdokumente voraus.โ Eine Fรคlschung vermutend, wandte sich Schumacher parallel an die Presse. Auf LZ-Nachfrage verwies Martin Mรผller, persรถnlicher Referent von Gleicke, auf die รถffentlich verfรผgbare Bundestagsdrucksache 18/7794 vom 4. Mรคrz 2016 mit gleichem Wortlaut. Die fรผnf Mitglieder des Beratungsgremiums haben demnach die Unterlagen nie gesehen. Noch vor der US-Prรคsidentenwahl am 18. Dezember 2016 sollen die Vertrรคge unter Dach und Fach sein. Viel Zeit bleibt nicht mehr fรผr ein bisschen mehr Transparenz statt Rรคtselraten.
Dieser Artikel erschien am 08.04.16 in der aktuellen Ausgabe 30 der LEIPZIGER ZEITUNG. Hier zum Nachlesen fรผr die Mitglieder in unserem Leserclub.
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Es gibt 2 Kommentare
Der totale Wahnsinnโฆ
Einfach unglaublich.
Dieser abhรคngige Rat hat definitiv Interessenskonflikte und stellt keine Meinung mit โSachverstandโ dar.
Hoffentlich verstehen das auch alle, die so etwas lesen und sich daran orientieren wollen.