Eine Satire gerät zur Staatsaffäre. Warum? Weil die Bundesregierung, insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit der Satire von Jan Böhmermann so umgeht, als handele es sich um eine bedeutungsvolle Einlassung einer relevanten politischen Gruppierung und als ginge von ihr eine Gefahr aus. Dabei ist das viereinhalbminütige kabarettistische Ping-Pong-Spiel zwischen Böhmermann und seinem Kompagnon Ralf Kabelka lediglich eine zugespitzte Reaktion auf eine politische Reaktion auf einen satirischen Beitrag eines anderen Kabarettisten, Christian Ehring.
Diese Reaktion war nicht nur falsch, sondern in den Auswirkungen auch fatal: zunächst das lange Schweigen der Bundesregierung, nachdem der türkische Ministerpräsident Erdoğan den Botschafter der Bundesrepublik Deutschlands einbestellt hatte, um gegen die Satire in der Sendung „Extra 3“ zu protestieren, und dann die kommentarlose Hinnahme dieses überzogenen diplomatischen Protestes. Da schon gab die Bundesregierung den Anschein, als mache sie vor der Reaktion des türkischen Präsidenten einen Kotau. Nur sehr zögerlich und wachsweich wies die Bundesregierung Tage später den Versuch der Einmischung zurück und reklamierte die im Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit. Dabei wäre hier eine sehr klare, eindeutige Reaktion angemessen gewesen. Wahrscheinlich hätte diese dazu geführt, dass Böhmermann keinen Grund gehabt hätte zu einer weiteren Satire.
Diese aber kam – und traf ins Schwarze. Denn Böhmermann exerzierte vor, was man im Fernsehen machen darf und was nicht, ohne das „was nicht“ zu verschweigen. Dazu reimte er ein paar schweinische Frechheiten zusammen, die so gossenhaft pornografisch daherkamen, dass nur ein absolut vernagelter Kopf darin die Beleidigung eines Staatsoberhauptes erkennen konnte. Denn in dieser Satire geht es am allerwenigsten um den türkischen Präsidenten. Es geht um Angela Merkel: Mal sehen, wie sie reagieren wird, wenn sich der türkische Präsident ein zweites Mal provoziert sieht. Und: Wie bestellt spielte Erdoğan den Beleidigten (was für ein jämmerliches Armuts- und Ohnmachtszeugnis für einen säbelrasselnden Autokraten!), und Angela Merkel fiel ein zweites Mal auf seine Provokation herein. Sie rief den türkischen Ministerpräsidenten an und entschuldigte sich ungefragt für das „Gedicht“ Böhmermanns.
Doch dieses an sich sinnlos-perverse, aber dennoch kunstvoll eingerahmte obszöne Wortgestammel in Reimform ist am allerwenigsten eine „Schmähkritik“ an Erdoğan. Vielmehr steht im Mittelpunkt eine absolut überzogene Garnierung des „was nicht geht“. Und was eigentlich überhaupt nicht geht, das belegt Böhmermann am Schluss mit Namen: Victor Orban, Beata Szydlo, Marien Le Pen, Pim Fortuyn, HC Strache, Frauke Petry, Wladimir Putin, Donald Trump. Einige von denen zeigen jetzt schon, wie sie mit dem hohen Gut der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit, vor allem aber mit Menschen, die ihnen fremd sind, umzugehen gedenken. Aber gleichzeitig machen diese Namen erschreckend deutlich, wie sehr sie und ihr schändliches, demokratiefeindliches Tun zum politischen Alltag gehören – und erstaunliche, erschreckende Akzeptanz finden. Da bleibt einem das Böhmermannsche „Ich finde es ganz toll, dass wir diesen Menschen selbstbewusst entgegengetreten sind“ im Hals stecken.
Ja, das Selbstbewusste droht auch in Deutschland sich auf ein Minimum zu beschränken. Da wird das „Gedicht“, herausgelöst aus seinem Kontext, allein moralisch, juristisch bewertet. Da kapiert sogar das ZDF nicht die Absicht Böhmermanns und begibt sich auf den schmierigen Weg der Meinungslöschung, den Böhmermann in seiner Satire offen aufgezeigt und angeprangert hat, ohne auszurutschen. Und schließlich meinen immer noch viel zu viele in unserer Gesellschaft, Böhmermann habe mit Erdoğan ein Staatsoberhaupt tatsächlich beleidigt.
Nein, er hat niemanden beleidigt. Er hat vielmehr mit seinen ekelhaft schmutzigen Versen den tatsächlichen Dreck beschrieben, den die Benannten in ihren Gesellschaften Tag für Tag anrichten. Er hat damit einen überfälligen, grandiosen Beitrag geleistet für einen überfälligen Aufschrei: bis hierher und nicht weiter! Keinen Zentimeter denen Raum geben, die im Namen des Anstands, des Rechtes, der Moral, der Würde all das mit Füßen treten, was diese Begriffe eigentlich bedeuten. Böhmermann – es ist zu hoffen, dass eines Tages ein Bundespräsident den begnadeten Kabarettisten für diese satirische Ohrfeige wie vor kurzem Beate Klarsfeld mit dem Bundesverdienstkreuz würdigt.
Nachtrag: Natürlich steckt in Böhmermanns Satire ganz viel Zynismus. Zynismus hält eine Gesellschaft nicht zusammen. Zusammengehalten wird diese Gesellschaft von Grundwerten und Überzeugungen, die vor allem auch durch die Kirchen vertreten und gelebt werden. Doch wenn diese bedroht sind oder zur Disposition gestellt werden, dann möchte es ausreichend Kabarettisten geben, die uns wie Böhmermann mit der gehörigen Portion Zynismus wachrütteln.
Es gibt 2 Kommentare
Ich bin nicht immer einer Meinung mit Herrn Wolf, aber in diesem Artikel trifft er den Nagel auf den Kopf.
Da hat er mal wieder Recht, der Herr Wolff.