Am zweiten Tag der geduldeten Besetzung eines Gebäudes in der Platostraße veranstalteten die „Social Center“-Aktivisten zwei Workshops, luden Geflüchtete zum gemeinsamen Essen ein und setzten die Aufräumarbeiten fort. SPD und Grüne kritisierten das Geschehen mit deutlichen Worten. Am Montag sollen die Besetzer das Gebäude gemäß Vereinbarung verlassen. Zudem steht ein Gespräch mit Oberbürgermeister Burkhard Jung auf dem Programm.
Kaum hatte Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke) am späten Samstagabend die ehemalige Führerscheinstelle in der Platostraße verlassen, strömten Dutzende Menschen, die zuvor stundenlang vor dem Gebäude verharrt hatten, hinein. Die etwa 50 Besetzer hatten dem Stadtbeigeordneten einen Kompromiss abgerungen: Sie dürfen zunächst in dem vierstöckigen Gebäude bleiben und sich frei hinein und hinaus bewegen. Im Gegenzug mussten sie zusichern, die Besetzung am Montag zu beenden. Am selben Tag ist im Neuen Rathaus ein Gespräch von fünf Vertretern mit Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) geplant.
Die verbleibende Zeit möchten die Aktivisten sinnvoll nutzen und ihre Vorstellungen von einem „Social Center“ bereits ansatzweise in die Tat umsetzen. Geht es nach ihnen, soll in der Platostraße ein selbstverwalteter Ort entstehen, den alle Menschen zum gemeinsamen Organisieren, Diskutieren und Gestalten nutzen können. „Ein Fokus liegt dabei sicherlich auf Geflüchteten, denn sie sind im Moment die am Stärksten marginalisierte Gruppe in der Gesellschaft“, erklärt Lena bei einem Couch-Gespräch im bereits weitgehend entrümpelten Erdgeschoss des Gebäudes. Ihren vollen Namen möchte sie nicht nennen.
Nachdem es in der Nacht ein Solikonzert von Jazzkünstlern gab, kamen am Vormittag mehrere Dutzend Menschen zu einem Plenum zusammen. Dabei werteten sie unter anderem das Gespräch mit Bürgermeister Rosenthal aus, diskutierten den Umgang mit Journalisten bezüglich Videoaufnahmen und bildeten verschiedene Arbeitsgruppen, etwa um einen Infopunkt für Pressevertreter zu errichten, den Termin mit OBM Jung vorzubereiten und die weitere Tagesplanung voranzutreiben. Am gemeinsamen Abendessen werden nach aktuellen Informationen etwa 70 Geflüchtete aus der Zeltunterkunft nahe der Deutschen Nationalbibliothek teilnehmen.
Die Bereitschaft von Oberbürgermeister Jung, sich mit den Aktivisten an einen Tisch zu setzen, wertet Lena als positives Signal. „Es ist wichtig, dass dieser Dialog mit ihm stattfindet.“ Das Projekt in der Platostraße zu legalisieren, sei oberstes Ziel. „Uns liegt viel an diesem Gebäude. Es gibt einen barrierefreien Zugang und sehr viele Räume, darunter auch große, die zum Beispiel für Plena genutzt werden können.“ Ordnungsbürgermeister Rosenthal hatte am Abend zuvor jedoch durchblicken lassen, dass eine solche Legalisierung nicht infrage käme. Das Anliegen der Initiative bezeichnete er dennoch als „nachvollziehbar und notwendig“.
Im Laufe des Tages veranstalteten die Aktivisten zwei Workshops zum Arabischlernen und Wohnungsbau mit Geflüchteten, errichteten einen improvisierten „Umsonstladen“ und arbeiteten weiter an der optischen Verschönerung des Gebäudes. Am Nachmittag präsentierte das „Social Center“ diesbezüglich bereits die nächste Erfolgsmeldung: „Eine weitere Etage vom Schutt befreit – geht doch schneller als Mensch denkt, wenn alle mit anpacken.“
Gegenwind aus der Kommunalpolitik
Wenig Freude an den Aktivitäten der Besetzer empfinden hingegen die SPD und die Grünen im Leipziger Stadtrat. Diese meldeten sich am Nachmittag per Pressemitteilung zu Wort. „Hausbesetzungen sind eine Straftat, die weder toleriert noch akzeptiert werden können“, erklärte Fraktionschef Axel Dyck. Er kritisierte das Vorhaben zudem als „äußerst diffus“. Man müsse sich im Klaren sein, was man eigentlich wolle. „Dann kann man auf die Stadt zugehen und für sein Anliegen politisch werben.“
Auch die Leipziger Grünen lehnen die jüngsten Aktivitäten ab. „Häuserkampf bringt uns nicht weiter“, erklärte die Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft. Die Besetzung diskreditiere alles, was der Stadtrat demokratisch zur Unterstützung von Geflüchteten auf den Weg gebracht habe.
Petra Cagalj-Sejdi, die migrationspolitische Sprecherin der Grünenfraktion, bezeichnete die Aktion als „Instrumentalisierung“ von Geflüchteten, die dadurch unnötig in den Mittelpunkt gestellt würden. „Wenn sich die Situation durch solche Aktionen verschärft, sind die Geflüchteten die Leidtragenden.“ Es stelle sich die Frage, ob es der Initiative wirklich um Geflüchtete gehe. Eine Einladung zur Mitarbeit am vom Stadtrat beschlossenen „Willkommenszentrum“ habe die Initiative bislang ausgeschlagen, so Cagalj-Sejdi abschließend.
Ein Pressesprecher des „Social Center“ entgegnete auf Anfrage der L-IZ, dass eine solche Einladung keinem der heute Anwesenden bekannt sei. Er kritisierte zudem die Frage, ob es ihnen tatsächlich um Geflüchtete gehe. „Wir wollen hier keinen dauerhaften Wohnraum schaffen. Außer viel Arbeit haben wir im Moment nicht viel davon.“
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Monika Lazar schloss sich dem Statement der Leipziger Stadtratsfraktion an. Besetzung halte sie bei dem Thema für den falschen Weg, teilte Lazar via Twitter mit. Die erste Herrenmannschaft des Roten Stern Leipzig, dessen Mitglied die Grünenpolitikerin ist, sieht das anders. Die Fußballer präsentierten vor Anpfiff ihrer Partie in Torgau ein Banner mit der Aufschrift „Social Center Leipzig – Coming Soon“.
Unterstützung kommt erneut auch von Linke-Stadträtin Juliane Nagel: „Die Besetzung eines leer stehenden Hauses empfinde ich als mildes Mittel.“ Sie hoffe auf konstruktive Verhandlungen zwischen Aktivisten und Oberbürgermeister Jung.
Es gibt 9 Kommentare
Genau. Das find ich grad toll. Die warten nicht ab ob es sich überhaupt lohnt, die machen einfach. Dass die an der langwierigen Bürokratie verzweifeln kann ich mir vorstellen. Wenn man gewohnt ist, zu handeln wenn Hilfe gebraucht wird, muss dieser Weg schrecklich lahm und unnütz wirken. Was er ja auch ist. Wieviel Probleme weniger würds geben, wenn man solche Menschen unterstützen statt behindern würde?
Und nicht zu vergessen, dass die “Besetzer” Unmengen an Schutt weggeräumt haben, um das Haus begehbar zu machen. Nun können potentielle Käufer ungehindert besichtigen kommen. Eigentlich sollte sich die Stadt dafür wenigstens dankbar zeigen
Die Besetzer haben sich an ihre Versprechen gehalten und räumen hinter sich auf. Es gab keine Gewalt – auch wenn das Türschloss da wahrscheinlich anderer Meinung ist – und somit dürfte wohl klar sein, dass es sich hier nicht um “Linksterroristen” handelt. Nicht jedem wahrscheinlich (also die Klarheit), aber das ist dann Pech.
Liebe Grüße unbekannterweise an so tolle, engagierte junge Menschen. Da sollten sich ein paar alte Sesselpupser mal ein Beispiel dran nehmen (natürlich nicht unbedingt an der Besetzung sondern eher an soviel Engagement).
Selten eine so schlechte Sockenpuppe gesehen.
Billiger und befremdlicher kann man sich kaum herausreden. Weshalb keine Bemerkung dazu? Geht bei Ihnen womöglich ein Gespenst um? Das schlechte Gewissen! Das ist tatsächlich hartnäckig. Und das ist gut so.
Hans-Werner = Klaus.
Und welche Wählerstimmen möchten Sie bei den nächsten Wahlen abschöpfen? Möchten!!
In der Tat, das war echt mal anders.
Die Grünen in Leipzig kann man nun getrost als FDP 2.0. abhaken. Von Frau Krefft bin ich hier sogar etwas enttäuscht, aber gut, Menschen entwickeln und verändern sich halt.
Und dass von der Leipziger SPD Töne à la CDU gespuckt werden, ist seit Ende der 1990er nichts Neues. Die SPD im Landtag sagt selbst, dass sie mit der Leipziger SPD Probleme haben.
Leipzig – eine konservative Hochburg. Eigentlich könnte die CDU locker hier die absolute Mehrheit im Stadtrat haben. Aber bei diesen Gestalten ist es für die SPD, den Plattenbauflügel der Linken und jetzt für den Spießerflügel der Grünen ein Leichtes, die konservativen Wählerstimmen abzuschöpfen.
Die Grünen kritisieren eine Hausbesetzung? Das war auch mal anders, oder?