Seit gestern Nacht zwei Uhr wird wieder zurรผckgeschossen. Die Winterzeit ist hinterrรผcks von der Sommerzeit รผberfallen worden und liefert uns endlich mal wieder einen konkreten Feind. Wahlergebnisse Sachsen-Anhalts, IS, Terror, sexuell veranlagte Nordafrikaner und Angst vor Altersarmut kรถnnen einpacken in ihrer diffusen Luschigkeit. Wir haben jetzt erst mal mit uns zu tun. รber 70 % der Deutschen lehnen mittlerweile die Zeitumstellung ab, heiรt es in Umfragen. Sie sรคhen keinen Mehrwert darin, stattdessen koste sie die eingebรผรte Stunde zu viel Wohlgefรผhl. Mรผdigkeit, Schlafstรถrungen und Verstimmungen nรคhme das Zepter ihrer Tage in die Hand.
Kรถnnte es sich hier jedoch mal wieder um einen bizarren Auswuchs der berรผhmten German Angst handeln? Wenn wir in den vergangen Jahren nicht an Feinstaub, Kreutzfeld-Jakob, Vogel- oder wahlweise Schweinegrippe, Elektro-Smog, Wolfgang und Frauke Petry zugrunde gegangen sind, dann wird uns spรคtestens jetzt die verlorene Stunde jegliche Handlungsfรคhigkeit und รผberschรคumende Lebenslust rauben.
Ehrlich gesagt befremdet mich das um sich greifende Greinen รผber diesen Mini-Jetlag fรผr Geringverdiener ein bisschen. Ich halte die Sommerzeit nรคmlich fรผr eine der besten Erfindungen seit dem Penicillin. Sommerzeit ist wie Buffet-Erรถffnung nach einer dreieinhalbstรผndigen Rede eines Baubรผrgermeisters, wie das erste Lรคufchen nach รผberstandener Erkรคltung, wie das erste Mal Urlaub ohne die Eltern, wie der erste Kuss nach langwieriger Akquise-Phase. Wundervoll also.
Sind wir denn noch zu retten, ein paar Anpassungsschwierigkeiten, die im Normalfall selten lรคnger als eine Woche anzudauern pflegen, als ernsthaftes Hindernis fรผr monatelang anhaltendes Licht in den Abendstunden zu betrachten? Fรผr ein Lebensgefรผhl, dem doch eher wenig Kritik entgegenzusetzen ist?
Erinnern wir uns:
Es gibt doch so ein Junimond-Gefรผhl, wofรผr niemals ein Emoticon zu finden sein wird. An manchen Tagen nimmt das Leben sich doch einfach die Frechheit der Sommerfrische. Man wacht auf, weil einen Tageslicht โ und nicht irgendein Klingelton โ weckt. Man muss nirgendwo sein, aber man darf. Nichts hat Intentionalitรคt, nicht die Kleidung, keine der Handlungen. Man gibt dem Erleben ein, zwei Chancen. Das Licht stimmt drauรen. Auch drinnen alles heiter. Die Luft macht Konterrevolution mit Missmutigen. Eine Frau radelt an einem vorbei und ruft: โSchรถnes Kleid!โ Ein Kind umarmt einen mit zu viel Schokoladeneis im Gesicht und lacht รผber seine eigenen Witze. Nichts (Wichtiges) scheint vorbei zu sein. Der Abend scheint unendlich. Am Horizont ist um halb 11 noch immer ein blรคulicher Streifen. Junimond eben.
Darauf kann doch unmรถglich wegen ein paar abgezรคhlter Tage noch grรถรerer Schlรคfrigkeit und Verstimmtheit der Allgemeinheit verzichtet werden!
Auรerdem gibt es ausreichend Tipps in Presse- und Medienwelt:
โCandlelight-Dinner, Kino oder klassische Konzerteโ seien ideal, um sich auf die Sommerzeit einzustellen, hieร es da kรผrzlich im FOCUS zum Beispiel. Wahnsinn. Ganz ohne Yoga, ausreichend Gemรผse und Obst, ohne ungesรผรte Krรคutertees und Detox-Prรคparate. So einfach und angenehm kann das Hinรผberdรคmmern in den Sommerzeitzustand also sein.
Und wer dann immer noch verstimmt ist, dem empfehle ich gern ein breiteres Besorgnis-Spektrum als persรถnliche Abgespanntheit.
Die Auswahl ist nรคmlich brillant:
Warum zum Beispiel hinterlรคsst uns Bullshit Bingo โAn ihren Textbausteinen sollt ihr Sie erkennen!โ nur belustigt und nicht wรผtend?
Warum haben wir uns so lange an Sonntagabenden nahezu unwidersprochen von Gรผnter Jauch die Politik erklรคren lassen?
Warum verspรผren viele immer noch eine innerliche Leere, obwohl es bei Kaufland 36 Sorten Senf fรผr unsere Grillmaxen gibt?
Warum feiern wir ausgelassen in der โGoldenen Henneโ strahlenden Gesichts die Streetworkerin Tante E., die Geld fรผr die Straรenkinder bekommt, die diese zweifellos bewunderungswรผrdig unterstรผtzt, gleichwohl hinnehmend, dass Straรenkinder offenbar aus Naturgesetzgrรผnden existieren?
Warum gehen Unvermรถgen und unvermรถgend nicht einfach miteinander einher?
Warum will man uns fรผr dumm verkaufen und warum nimmt uns dann trotzdem keiner?
Und warum wird eigentlich keiner nervรถs, dass sich keine Sau mehr um Schumi zu scheren scheint?
Stopp. Die Liste solcherlei Fragen deckte die Balkanroute ab. Da werden wir nicht fertig.
Die Sommerzeit-Misere ist das weitaus dankbarere Thema.
Nรคchstes Jahr kรถnnten wir uns ja mal des Missstandes der Altersdiabetes bei Brieftauben annehmen.
Bis Oktober heiรt es jetzt aber erst mal: Summertime and living is easy.
Zumindest fรผr uns.
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
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tl;dr;
Wenn man die Zeitumstellung abschafft, einfach permanent auf Sommerzeit lassen, dann hat man es abends schรถn lange hell. Morgens ist es im Winter sowieso dunkel, da macht es nix, wenn es spรคter hell wirdโฆ
Also kein Argument gegen die Abschaffung der Umstellung gefundenโฆ