โ€žEy Alder, ich bin Shakespeare. Ich geh dann Bahnhofโ€. So hรถrte ich kรผrzlich einen jungen Mann in der Sรผdvorstadt in sein mobiles Endgerรคt hineinsprechen. Man muss weder Frauen- noch Bahnhofsversteher sein, um nachvollziehen zu kรถnnen, warum ich lachen musste. Der Kontrast zwischen dem gรถttlichen William und dem Jungmann im knallroten Turnschuhwerk, der hier gerade vor mir herschlich, war einfach zu wunderbar. Natรผrlich muss hinzugefรผgt werden, dass es sich bei dem Aufgeschnappten um desastrรถses Kurzdeutsch handelte. Und ja klar, wir sollten besorgt รผber den Umgang mit der deutschen Sprache sein. Aber mรผssen wir das wirklich?

Ich glaube das nรคmlich nicht. Oder โ€žnicht wirklichโ€œ, wie es heute so gerne heiรŸt.

Wie immer schafft Volksliedgut nicht nur gute Laune, sondern auch Entspannung. Auch in diesem Fall: โ€žLasst doch der Jugend, der Jugend, der Jugend ihren Laufโ€œ, heiรŸt es in einem dieser Songs unbeschwert im Imperativ und man hat Recht damit. Leider ist festzustellen, dass uns das noch immer nicht hundertprozentig gelingt. Trotz fortschreitendem dritten Jahrtausends, trotz wachsender Yoga- und Entspannungsindustrie.

Wenn man ganz genau hineinguckt ins deutsche Land, mรผsste man sogar sagen:

Wir sind am Rande jedweder Entspannungsfรคhigkeit angekommen.

Besorgt gibt man sich nicht nur im Allgemeinen (Islamisierung der Gesellschaft, รœberfremdung, Obergrenzentum etc.). Auch im Besonderen ist Platz fรผr ร„ngste und Nรถte: Die Sprache droht durch Kiez-, Kurz- oder Kanakdeutsch auseinander zu bersten wie ein edles FloรŸ aus Teakholz auf dem Rhein, dessen FlรถรŸer der Loreley angesichtig geworden war.

Zunรคchst ist hinlรคnglich bekannt: Jugend hat schon immer mit einer eigenen Sprache experimentiert. Abgrenzung von den Alten, SpaรŸ an der Freude und Zugehรถrigkeit zur Gruppe โ€“ all das impliziert die eigene Version der Verstรคndigung. WeiรŸ man ja. Spรคtestens, wenn die Erwachsenen anfangen, Begrifflichkeiten oder Konstruktionen zu รผbernehmen, ist unterm Jungvolk lรคngst etwas Neues en vogue.

Manche Wรถrter รผberleben. Manche nicht. โ€žPrimaโ€œ galt in den 50ern als verwegen, heute wirkt es altbacken. Ist aber immer noch da. โ€žFeteโ€œ, in den Achtzigern durchaus gebrรคuchlich, nicht zuletzt aufgrund charmanten franzรถsischen Jugendfilmguts, sagt heute kein Jugendlicher mehr. Verstรคndnislose Blicke erntete ich neulich, als ich unter Dreizehnjรคhrigen damit aufwartete. Man sah mich an, als kรคme ich vom Mond und nicht aus Thรผringen. Wir sagen โ€žfeiernโ€œ erklรคrten sie, manchmal noch โ€žPartyโ€œ. Aber eigentlich auch das nicht mehr so oft.

Hinzu kommt, dass man ja wohl nicht ernstlich glauben kann, dass sรคmtliche Migrationsbewegungen, die gerade stattfinden, ohne Einfluss auf unsere Sprache bleiben werden. Das wรคre geradezu illusorisch. Wenn im Tรผrkischen keine (oder kaum) Prรคpositionen gebraucht werden, kรถnnte es auch ein Zeichen dafรผr sein, dass ein Leben ohne Prรคposition per se mรถglich ist, wenn auch fรผr Deutschlehrer sinnlos.

Keine Frage: Jede Sprachverรคnderung schmerzt.

Gerade wenn man seine Sprache liebt und sich lange mit deren Regeln auseinandersetzen musste, um sie halbwegs anwenden zu kรถnnen. Aber ist es nicht in Irrglaube, wir Sprecher seien fรผr den Wandel der Sprache ganz alleine verantwortlich?

Sprachentwicklung fรผhrt ein geheimnisvolles Eigenleben, ist immer wieder fรผr รผberraschende Tendenzen gut. Wir werden bereits in Gang gesetzte Verรคnderungsprozesse nicht beschlussartig aufhalten kรถnnen. Nicht mal man selber ist dazu jederzeit imstande. Warum auch?

Sprache bedient schlieรŸlich mehrere Funktionen, eben auch eine expressive: Als mir kรผrzlich ein Opel-Omega-Fahrer unangenehm auffรคllig wurde, dem meine Vorfahrt ins Ohr geflรผstert zu haben schien: โ€žNimm mich!โ€œ, ertappte ich mich allen Ernstes beim Denken des folgenden Wortlauts: โ€žEy Alder, ich bin HauptstraรŸe!โ€œ Das muss man sich mal reinziehen: โ€žIch bin HauptstraรŸe!โ€œ Ich war entsetzt, รผber mich, mein HauptstraรŸendasein und รผberhaupt.

Wer aber denkt sich in solchen Situation schon: โ€žInteressant, dieser Verkehrsteilnehmer setzt sich offenbar gerade versehentlich รผber eine der wesentlichsten Regeln der STVO hinweg. Vielleicht ist es ratsam als Fahrradfahrer, in dieser Situation nicht รผbermรครŸig verbohrt auf seinem Recht zu beharren?โ€œ

Wir alle sind natural born ร–konomiker, was Sprache angeht.

Und sollten mรถglicherweise alles zulassen, so lange wir Bewusstmachung betreiben und weiterhin Regelwissen vermitteln. Nicht krampfhaft bewahrend, sondern beobachtend und zuhรถrend. Wer Kinder beim Sprechen lernen begleitet, fragt sich zum Beispiel ohnehin irgendwann, ob sie wirklich falsch liegen, wenn sie (noch) nicht zwischen starken und schwachen Verben unterscheiden. Und ob es nicht sogar konsequent gedacht ist, wenn man analog zu โ€žer spielteโ€œ dann auch โ€žer gehteโ€œ sagt.

Vielleicht ist das bald die Norm. Und ich glaube nicht, dass DAS den Untergang des Abendlandes bedeuten wรผrde. Der Mensch ist verstรคndigungsinteressiert. Das liegt in seiner Natur. Ich habe vor allem deshalb keine Angst um die Sprache. Aller Sprachwandel ist normal, alles im Fluss. Und noch lรคngst nicht im Arsch.

Ernst wird es erst dann, wenn es soweit ist, wie der folgende Witz illustriert: โ€žEy, kommste mit ALDI?โ€œ โ€žDu meinst: zu ALDI?โ€œ โ€žWas? ALDI schon zu?โ€œ

Denn dann, wenn ALDI zu hat, wird es fรผr viele wirklich ernst.

So und jetzt kรถnnen mich alle eingefleischten (oder veganen) Sprachbewahrer lynchen: Macht misch doch Krankenhaus! Schulterzuck. Ich bin eh HauptstraรŸe.

So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:

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โ€œDer Mensch ist verstรคndigungsinteressiert.โ€ gilt nur bedingt. Neben der eigentlichen Funktion als Verstรคndigungsinstrument wird Sprache auch oft โ€“ und nicht nur von den Kids, um sich von den Alten abzugrenzen (Achtung! Pseudojugendsprache!) โ€“ sondern von ganzen Vรถlkern โ€“ und besonders von solchen Leuten, die glauben, das ganze Volk zu sein โ€“ benutzt, um sich von anderen abzugrenzen und denen, die anders sprechen โ€“ sei es schwรคbisch, sรคchsisch, tรผrkisch oder arabisch โ€“ die Da(bzw. Hier)seinsberechtigung abzusprechen (sic!)โ€ฆ

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