Für viele Connewitzer war es wie ein Stich ins Herz, was eine Gruppe von über 200 Neonazis am 11. Januar zum Jahrestag der fremdenfeindlichen LEGIDA in der Wolfgang-Heinze-Straße anrichteten. Dabei stellte sich im Rahmen eines Straßenfestes am vergangenen Samstag, das als Danksagung an die Solidarität vieler Menschen gerichtet war, die Frage, wie viel Mythos im Mythos Connewitz steckt.
Am Samstagmorgen sammeln sich mehrere hundert Menschen im Bereich der Wolfgang-Heinze-Straße. An vielen Stellen auf der Straße sind bereits kurz nach 10 Uhr zahlreiche Kuchen und Häppchen zusammengetragen. Menschen trinken Kaffee, sitzen auf Bänken. Ein Kuchen mit dem Schriftzug Connewitz, inklusive eines roten Herzens, ist ein beliebtes Fotoobjekt und genießt eine gewisse Schonfrist, bis er angeschnitten wird.
Die heitere Stimmung an diesem Tag täuscht etwas über die Geschäfte hinweg, die am 11. Januar in Mitleidenschaft gezogen wurden. Den Straßenzug zieren nach wie vor mehrere Sperrholzplatten, die die kaputten Scheiben ersetzen. Über 200 Neonazis machten sich zum Jahrestag von LEGIDA gezielt auf, um dem linksalternativ geprägten Viertel in Leipzig einen Besuch abzustatten. Zuvor wurde für die Aktion bei Hooligans aus dem 1. FC Lokomotive-Umfeld aktiv geworben.
„Eine neue Hoffnung“, meint der Betreiber des arabischen Imbisses „Shahia II“ an dem Tag zur quasi Wiedereröffnung. Das Geschäft blieb aufgrund der Schäden mehrere Wochen geschlossen. „Aber es ist traurig“, relativiert er seine Aussage nur Sekunden später. Für weitere Worte hat er keine Zeit, weil sich bereits eine Schlange im Laden bildet, die bedient werden möchte.
Nach dem Angriff gab es im Viertel und von außerhalb vielfältige Solidaritätsbekundungen. Ein Spendenkonto wurde eingerichtet und zahlreiche Spendenbüchsen aufgestellt. Noch am Abend des Überfalls waren Menschen aus der Nachbarschaft unterwegs, um den Ladenbesitzern bei der provisorischen Absicherung ihrer Geschäfte zur Hand zu gehen. Viele wollten, aber konnten nicht helfen, weil die Polizei bis in die Nacht hinein 211 Tatverdächtige nach und nach abtransportierte.
Ist die Hilfsbereitschaft etwas Besonderes für dieses Stückchen Leipzig? Willie, der sich gerade mit seiner leeren Kaffeetasse durch die Menschenmenge bewegt, findet das nicht. Das Straßenfest an sich ist nichts Besonders, das gebe es jedes Jahr. „Es ist schon bisschen etwas besonders“, korrigiert er sich kurz darauf. „Die kulturelle Szene hat sich zusammengetan, um zu zeigen, dass die Unterstützung nicht nur symbolisch ist.“
„Der Angriff war ja einer auf den Mythos“, erklärt er sich die Geschehnisse vom 11. Januar. Der Mythos, der das Viertel als linksradikale Hochburg von Leipzig sieht, wo sich kein Neonazi hinein wagen kann, in dem Anarchie herrscht und die in weitere Teile der Stadt getragen wird, wenn man überpanische Darstellungen für wahr befinden mag. Ein Mythos, dem viele anhängen, der jedoch meist nur wenig mit der Realität zu tun hat.
Eine Befürchtung von Willie war, dass eine Schockstarre einsetzen würde. „Das geschieht ja nicht“, sagt er, während sich der Trubel um das nächste Stück Kuchen um ihn herum fortsetzt.
Für ihn – wie auch vielen anderen – geht es um den Zusammenhalt und weniger um den Mythos Connewitz. Es werde sich zeigen, ob der sogenannte Mythos wieder aufersteht und aktualisiert wird, zeigt sich Willie optimistisch. „Einige Läden haben Glasversicherungen“, sieht er das Gesamtschadensbild, „die haben trotzdem Ausfälle erlitten.“
Ein anderes Geschäft, das es ebenfalls getroffen hatte, war das Tattoo- und Piercing-Studio Takatiki. Der Großteil des Sachschadens entstand bei dem kleinen Ladengeschäft kurz vor dem Herderpark durch die zerbrochenen Scheiben. Circa 7.000 Euro beträgt er und ob die Versicherung überhaupt bezahlt, ist noch unklar.
Man merkt der Besitzerin immer noch die Nachwirkungen an. In der Woche des 11. Januar war ihr Geschäft geschlossen. Ein Nachbar rief sie in der Nacht an, dass ihr Laden gerade beschädigt wurde. Das Geschäft trägt seitdem eine Holzverkleidung. Von außen wirkt das Geschäft, als wäre es geschlossen. „Mich findet hier keiner“, klagt sie über ihr aktuelles Dilemma. Mit mehr Werbung und der Stammkundschaft funktioniert es zwar, aber man merke den Einbruch deutlich.
„Die haben mit Leben und Tod gespielt“, zeigt sie sich entsetzt über die Randalierer und zählt die Welle der Verwüstungen auf. Richtig fassungslos machen sie die Kommentare bei den LEGIDA-Seiten und sie will dabei nicht verstehen, warum die Ladengeschäfte hier als Angriffsziel auserkoren wurden. „Der DIY-Gedanke hat mich hierher gebracht“, gibt sie über ihre Motivation an, nach Connewitz gekommen zu sein.
Ihrer Meinung nach hätte insbesondere die Polizei die Randale verhindern können. „Es wurde ja vorher angekündigt.“ Problematisch findet sie dabei ebenfalls die geläufigen Pauschalisierungen von “Links gegen Rechts”. Auch die Medien würden dies als Konfrontation darstellen.
Weniger pauschalisierend ist die Unterstellung, dass viele an diesem Samstag spendabel sind. Circa 3.500 Euro sollen über Spenden zusammengekommen sein. Die nächste Solidaritätsaktion lässt bestimmt nicht lange auf sich warten.
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