Sachsens Ministerprรคsident Stanislaw Tillich hat sich mittlerweile zu den Vorfรคllen in Clausnitz und Bautzen geรคuรŸert. Er muss die Frage beantworten, wieso es ausgerechnet in seinem Bundesland immer wieder zu rassistischen Entgleisungen kommt. Eine befriedigende Antwort konnte oder wollte der CDU-Politiker bislang nicht geben. Unterdessen sprengt die Hetze in einer internen Pegida-Facebookgruppe schon wieder jeden Rahmen.

Stanislaw Tillich redet nicht gern mit Journalisten. So lautete zumindest die Diagnose in einem im Mai 2012 in der โ€žZeitโ€œ verรถffentlichten Portrรคt des sรคchsischen Ministerprรคsidenten. Der Autor Raoul Lรถbbert stellte darin unter anderem fest: โ€žBei heiklen Themen wie NSU-Terror oder Lehrermangel dauert es Wochen, bis er sich in den Medien zu Wort meldet.โ€œ Und weiter: โ€žIn Sachsen hat es 2011 kein einziges Hintergrundgesprรคch mit dem Ministerprรคsidenten gegeben.โ€œ

Nun jedoch befindet sich der dienstรคlteste Ministerprรคsident Deutschlands in der Offensive. Am Montagabend gab er sowohl Claus Kleber im โ€žheute-journalโ€œ als auch Caren Miosga fรผr die โ€žTagesthemenโ€œ ein Interview zur Situation im Freistaat. Vor wenigen Tagen waren in Clausnitz ein Bus mit Geflรผchteten blockiert und dessen Insassen bedroht und beleidigt worden. Kurz darauf brannte in Bautzen eine geplante Unterkunft fรผr Asylsuchende nieder โ€“ unter dem Beifall einiger Schaulustiger, darunter wie schon in Clausnitz erneut Kinder.

Die รผberregionale Presse nahm den Freistaat und die darin verantwortlichen Personen daraufhin so intensiv wie selten zuvor in den Blick. Zahlreiche Kommentatoren รผbten harsche Kritik an den โ€žsรคchsischen Zustรคndenโ€œ und der Passivitรคt der Landesregierung; einige bezeichneten den Ministerprรคsidenten als โ€žHeuchlerโ€œ oder forderten die SPD dazu auf, die Koalition zu verlassen.

Hass und Gewalt. Nur Phantasien? Quelle: Facebook Ronny H.
Hass und Gewalt. Nur Phantasien? Quelle: Facebook Ronny H.

Nun war Tillich am Zug. Den Aussagen, dass Sachsen ein Brennpunkt rassistischer Gewalt sei, widersprach er in den Interviews nicht. In Anbetracht der jรผngsten Ereignisse und Statistiken wie jener der Amadeu-Antonio-Stiftung, die genau das belegen, hรคtte er Widerspruch auch kaum glaubhaft vermitteln kรถnnen. Eine Erklรคrung fรผr diese Tatsache gab es jedoch nicht โ€“ nur Ratlosigkeit und Appelle an die Zivilgesellschaft.

Also jene Zivilgesellschaft, die bislang besonders und nahezu federfรผhrend in Sachsen unter Generalverdacht gestellt wurde, als Initiativen, die staatliche Fรถrderung beantragen wollten, zuvor eine โ€žExtremismusklauselโ€œ unterzeichnen mussten. Da kam es dann schon mal vor, dass Holocaustรผberlebende, die einen Vortrag halten wollten, sich per Unterschrift vorab zur Demokratie bekennen sollten. Auch heute noch begegnen sรคchsische Behรถrden zivilem Engagement mit einer groรŸen Portion Misstrauen. Dies zeigt sich zum Beispiel, wenn Menschen dazu aufrufen, sich rassistischen Vereinigungen wie Legida entgegenzustellen und daraufhin vom sรคchsischen Verfassungsschutz auf eine Stufe mit offen zur Gewalt aufrufenden Schlรคgern gesetzt werden.

Zurรผck zu Tillich: Einem Dialog mit Pegida erteilte der Ministerprรคsident eine Absage. Vielleicht auch nicht mehr nรถtig โ€“ sein Innenminister Markus Ulbig hat sich bereits 2015 mit dem rassistischen Bรผndnis getroffen und schweigt bis heute รผber Inhalt und Art der Zusammenkunft. Bei der Frage, warum Tillich sich nicht an den Demonstrationen gegen Pegida beteilige, kam der Ministerprรคsident fast erwartbar ins Schwimmen. Im Moment sei er mehr damit beschรคftigt, der ร–ffentlichkeit Rede und Antwort zu stehen. Eine Ausrede, die er wohl kaum fรผr jeden Montag geltend machen kann.

Freude รผber Clausnitz bei Pegida-Anhรคngern

Wie wichtig es ist, Pegida weiterhin die Stirn zu bieten, zeigte sich im Anschluss an den Auftritt des rassistischen Mobs in Clausnitz. In einer geschlossenen Pegida-Facebookgruppe begrรผรŸten einige User die Menschenfeindlichkeit als โ€žgute Aktionโ€œ und bekundeten: โ€žWird Zeit, dass sich das Volk wehrtโ€œ. Bei solch eher harmlosen Wortmeldungen blieb es jedoch nicht. Andere forderten, den โ€žBus mit dem Gesindelโ€œ umzuschmeiรŸen oder teilten Bilder, auf denen neben der Aufschrift โ€žNot Welcomeโ€œ ein brennender Bus zu sehen ist. Ein weiterer User erkundigte sich: โ€žWie gehtโ€™s eigentlich Anders Breivik?โ€œ

Unverholene FReude bei Pegida-Anhรคngern in geschlossenen Facebookgruppen. Quelle Facebook Pegida Fans
Unverholene Freude bei Pegida-Anhรคngern in geschlossenen Facebookgruppen. Quelle Facebook Pegida Fans

Nicht weit scheint diese Frage angesichts eines Users, welcher seit Tagen geradezu hysterisch rechtsextreme Facebookposts im Minutentakt abgibt. Ronny H. rief gar dazu auf โ€žzur Waffe zu greifenโ€œ. Er mรถchte โ€ždiese Araber kรถpfenโ€œ, der Antifa hat er den Krieg erklรคrt. Wie ernst diese Wortmeldungen zu nehmen sind, zeigt ein Blick auf sein Facebookprofil, in dem er Fotos von Schusswaffen postet und Ziele benennt: Einwanderer, Antifaschisten sowie eine namentlich erwรคhnte Privatperson. โ€žDie werde ich als Erstes kรถpfen. Ich freue mich schon drauf.โ€œ Zudem hรคtte H. laut Facebookbeitrag โ€žBomben und Chemikalienโ€œ in seinem Besitz. Das sei schlieรŸlich nicht schwer herzustellen, behauptet der fanatische Waffennarr.

Drohungen auch von ganz LinksauรŸen

Auf der Online-Plattform Indymedia verรถffentlichten Unbekannte unterdessen einen โ€žOffenen Brief an Clausnitzโ€œ. Darin kรผndigen sie an: โ€žFalls ihr noch einer einzigen geflรผchteten Person Angst macht, wird das Konsequenzen fรผr euch haben. Wir beobachten euch. Ein weiterer Angriff auf einen Flรผchtling, ein Bรถller vor der Unterkunft โ€“ und euer Dorf wird in Trรผmmern liegen.โ€œ Offenbar um dieser Drohung Nachdruck zu verleihen, wurde das รถrtliche โ€žHeimathausโ€œ bereits mit einer Parole besprรผht: โ€žClausnitz aufs Maulโ€œ. Ob Antifa-Aktivisten wirklich willens und dazu in der Lage wรคren, ihre Ankรผndigung in der tiefsten sรคchsischen Provinz gegebenenfalls in die Tat umzusetzen, erscheint allerdings fraglich.

Eine Steilvorlage fรผr rechte CDU-Abgeordnete aus Clausnitz & verstรถrende Wortwahl in der Landespolitik

Die CDU-Bundestagsabgeordnete in Clausnitz, Veronika Bellmann, hat diese Kampfansage bereits aufgegriffen. In einem Interview mit Focus-Online sagte sie: โ€žWenn die Antifa Schilder besprรผht oder unverhohlen sagt: Das Dorf legen wir in Trรผmmer oder in Leipzig auf Polizisten losgeht, ist das kaum ein paar Stunden in den Schlagzeilen. Wenn auf Veranstaltungen โ€šWir sind das Volkโ€˜ gerufen wird, spricht man sofort von Mob und โ€šverbaler Gewaltโ€˜. Dieses Ungleichgewicht regt die Leute auf.โ€œ

Sรคchsische Spitzenpolitiker der CDU verzichteten im Gegensatz zu Bellmann allerdings diesmal auf derartige Umdeutungen von Ursache und Wirkung. Tillich erklรคrte in einem ersten Statement, dass die Rassisten keine Menschen, sondern Verbrecher seien. Generalsekretรคr Michael Kretschmer griff noch tiefer in den Vorrat nationalsozialistischer Denkmuster und Begriffe. Er entmenschlichte die Personen zwar nicht, sprach im Deutschlandradio aber von einer โ€žEntartungโ€œ.

Die sรคchsische CDU findet diesmal also ausnahmsweise deutliche und gleichzeitig verstรถrende Worte. Bedauerlicherweise macht es das in diesem Fall nur noch schlimmer. Das Aberkennen des Menschseins seitens Tillich und die Wortwahl der โ€œEntartungโ€ ebnen den Weg fรผr eine weitere Radikalisierung der Debatte ebenso, wie sie die Sicht auf Lรถsungen, Einsichten und Dialog verbaut. Von einer Integrationsoffensive, MaรŸnahmen und finanziellen Mitteln dafรผr war in den vergangenen Tagen ebensowenig zu hรถren, wie von einer Zusammenkunft mit eben den Initiativen, Vereinen und ehrenamtlichen Helfern, die laut Stanislaw Tillich die Lage im Freistaat stabilisieren sollen, wie man sie 2015 Pegida eilig gewรคhrt hatte.

Noch bleibt der Befund in Sachsen bestehen: Man muss ein islamfeindliches und rassistisches Bรผndnis grรผnden, um auf Ministerebene Gehรถr zu finden. Alle anderen werden medial zur Zivilcourage aufgefordert, wenn man die โ€œGutmenschenโ€ auf einmal dringend benรถtigt.

So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:

Renรฉ Loch รผber einen freien Fรถrderbetrag senden.
oder

Es gibt 9 Kommentare

โ€œIrgendwas ist ja scheinbar passiert โ€“ oder? ;-)โ€

Es war keine (A) Selbsterkenntnis, (B) zu viel Arbeit auf deren Ergebnisse die Welt sehnsรผchtig wartete oder (C) der Sepp Blatter Mechanismus?

Egal โ€“ Nun ist es gut wie es ist.

Aber das Stichwort war gut. Ich mach mich mal sofort an meine Abo-Verlรคngerung. ;0)

Ja, der Verlust der keiner ist (weil ein Gewinn auf ganzer Linie) war รผberfรคllig ๐Ÿ˜‰

MF hรคtte sicherlich frรผher schon โ€ฆ. gewiss.
Letztlich hat die Selbstreinigung der Formmitglieder gewirkt und nun ist es wieder erheblich angenehmer.

Und ich bleibe bei meiner Meinung โ€“ es wรคre sehr schade, wenn Deine Beitrรคge fehlen wรผrden.
Bitte dabeibleiben.

>Fรผr eine solche Meinung wurde ich vor kurzer Zeit noch an den Pranger gestellt.

Werter JG,

ich freue mich auch fรผr Sie, dass das hier so schnell nicht mehr passiert.

Jedoch bleibt der sรคuerlich-verquollene Nachgeschmack davon, dass Michael Freitag das Clubmitglied Klaus trotz mehrfach grรถbster Verletzung (nicht nur) der Kommentarregeln (formuliert unter โ€œGrundsรคtzlich gelรถscht werden:โ€) partout nicht gesperrt hat. Es wรคre nรถtig gewesen, hier ein Zeichen zu setzen, und zwar keine Emoticons.

Naja, mal schauen. Ob ich mein Clubdingens verlรคngere, weiรŸ ich noch nicht.

Ein Artikel, der meine Meinung ebenso widerspiegelt, wie er sorgenvoll macht, wenn man darรผber nachdenkt, wo die Schwรคche des zivilisatorisch wenigstens etwas bewanderten Teil der Bevรถlkerung im Hinblick auf nรถtige Reaktionen gegenรผber der sich gegenseitig immer weiter ermunternden Barbarei noch hinfรผhren wird.

Die (harmlos ausgedrรผckt) merkwรผrdigen verbalen Reaktionen seitens der sรคchsischen Regierung sind mir auch aufgefallen. Gut, daรŸ ich nicht der Einzige bin, der sich darรผber wundert, weshalb jetzt nach Tillichs Ansicht Verbrecher keine Menschen mehr sein sollen. Was ist das denn fรผr eine Aussage? Meint unser Landesoberhaupt, sie seien stattdessen tiere und sollten demnach rechtlich wie Sachen behandelt werden?
Noch schlimmer ist die Benutzung der Vokabel โ€œentartetโ€ Was folgt als nรคchstes? Sind Pegidisten in Kรผrze Schmarotzer und mรผssen aus dem gesunden Volkskรถrper entfernt werden, damit er rein und edel gedeihen kann?
Natรผrlich sind es Menschen. Vielleicht dumme, vorurteilsbehaftete, hasserfรผllte, naive Menschen, die nur an ihrem unmittelbaren Lebensumfeld interessiert sind und an sonst nichts.

Ich war erstaunt, als ich las, dass der kรผrzlich verstorbene Umberto Eco vor einer weile darauf hinwies, dass mit dem Aufkommen von social media eben auch den Dummen eine sehr laute Stimme gegeben wurde und sich nun alle auch mit dem auseinandersetzen mรผssen, was dadurch in die Welt gesetzt wird. Eco scheint eine Menge recht hellsichtiger Dinge gesagt zu haben. Dass es einen signifikanten Bevรถlkerungsanteil gibt, der eher irrational agiert und auf einfache Weltbilder fixiert ist, war zu allen Zeiten so. Die Frage ist, wie viel Einfluss bekommt dieser Teil? Was passiert, wenn er unkontrolliert groรŸ wird, haben wir vor 85 Jahren erfahren.

Die regierende CDU โ€“ und sie wurde ja seit 25 Jahren immer wieder mit voller Absicht durch den Willen des Wรคhlers an die Macht gehoben โ€“ hat sich dafรผr nicht interessiert.
Ich empfinde es als Hohn, wenn Tillich nun davon spricht, dass die Zivilgesellschaft ja auch etwas gegen rechte Umtriebe tun mรผsse. Meint er etwa die Zivilgesellschaft, die in Sachsen als einziges Bundesland eine Anti-Extremismusklausel unterschreiben musste, wenn sie mit staatlicher Fรถrderung rechnen wollte? Schรถn, dass ihr auf genau diesen Umstand hinweist.

Ein weiteres Thema ist der sรคchsische Verfassungsschutz, der nicht viel von rechten Verbrechen mitbekommen hat. Nicht von ungefรคhr konnte sich der NSU jahrelang in Sachsen sicher fรผhlen. Aber von linksauรŸen drohten ja angeblich stรคndig schlimme, landesbedrohende Gefahren.

Tillich erntet gerade einmal wieder das, was er und seine Genossen ein Vierteljahrhundert sorgfรคltig herangezogen haben. Jetzt tingelt er durch ein paar Nachrichtensendungen, gibt sich in seinem hilflosen rhetorischen Anfรคngersprech halb zerknirscht und halb empรถrt und in vierzehn Tagen ist sowieso alles wieder vergessen. Es wird sich nichts รคndern an dem Weg, den Sachsen seit 25 Jahren geht. Gar nichts.

โ€ Ich bin nach wie vor gegen Gewalt, will mir aber gar nicht ausmalen was wรคre, wenn es die Antifa nicht gรคbe.โ€

Fรผr eine solche Meinung wurde ich vor kurzer Zeit noch an den Pranger gestellt.

Aber ja, sie ist richtig.

Wahnsinn wie schnell man wieder in der Vergangenheit landet, sogar ganz ohne Zeitmaschine. Ich bin nach wie vor gegen Gewalt, will mir aber gar nicht ausmalen was wรคre, wenn es die Antifa nicht gรคbe. Auf Schutz oder gar Hilfe von Seiten der Polizei vertrau ich schon lang nicht mehr. Leider.
Toller Artikel, vielleicht kommt ja doch mal der ein oder andere ins Grรผbeln.

Schreiben Sie einen Kommentar