Endlich scheint sie aufzuwachen – die SPD. Es wird auch höchste Zeit – nicht im Blick auf die Landtagswahlen, aber im Blick auf eine den Aufgaben angemessene Integrations- und Sozialpolitik. Endlich also legt die SPD zwei grundlegende Forderungen auf den Tisch: ein Sozialpaket für die Bevölkerungsschichten, die in den vergangenen Jahren am meisten unter dem sog. „schlanken Staat“ und der damit verbundenen Vernachlässigung öffentlicher Aufgaben gelitten haben, und eine Integrationsinitiative, damit in den kommenden Jahren die Aufnahme der Geflüchteten in die Gesellschaft Deutschlands gelingt.
Endlich verbindet die SPD auch beides mit einem klaren Junktim: Die dafür notwendigen Ausgaben müssen sich im Haushaltsplan 2017 niederschlagen. Mit anderen Worten: Die SPD wird nur einem Haushaltsplan 2017 im Bundestag zustimmen, der die dringend erforderlichen Investitionen für den sozialen Wohnungsbau, für die Bildungseinrichtungen und für die Arbeitsinitiativen vorsieht. Mit diesem überfälligen Vorschlag rückt die SPD zum einen die auch ohne Geflüchtete dringend anstehenden sozialen Erneuerungen für einkommensschwache Bürgerinnen und Bürger und die Revitalisierung der öffentlichen Aufgaben ins Bewusstsein, zum andern wird durch die Initiative die Debatte auf das gelenkt, was jetzt wirklich wichtig ist: die große und sicher auch sehr schwere Aufgabe der Integration der vielen Geflüchteten zu bewältigen.
Damit wird dann hoffentlich auch die angesichts der Herausforderungen absolut peinliche, unwürdige Debatte um Obergrenzen und nationale Grenzziehungen beendet, durch die nicht zuletzt die Fremdenfeindlichkeit der AfD befeuert wurde. Diese Debatte gaukelt den Menschen vor, als seien die Geflüchteten nur vorübergehend hier und als sei die Flüchtlingsbewegung durch nationale Grenzsicherung zu beenden. Nein: Die zentrale Aufgabe ist und bleibt, den Geflüchteten vom ersten Tag an ein glaubwürdiges Integrationsangebot zu machen. Das setzt aber eine Bleibe-Perspektive voraus, denn Integration ist keine schnell zu bewerkstelligende ad-hoc Leistung. Es dauert Jahre und kostet Kraft und Geld.
Doch am Ende bringt sie auch einen großen, unsere Gesellschaft stärkenden Ertrag. Darum kann man nur hoffen, dass die SPD von ihren beiden Forderungen keinen Moment abrückt, diese jetzt breit kommuniziert und in der Bevölkerung um Zustimmung wirbt. Die ersten schroff ablehnenden Reaktionen von Finanzminister Wolfgang Schäuble und dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer zeigen, dass die SPD den Nerv getroffen hat. Denn beide können mit ihrer vorschnellen und billigen Kritik – „Schnapsidee“ (Seehofer) oder „erbarmungswürdig“ (Schäuble) – nur notdürftig kaschieren, dass sie mit ihren bisherigen Bekenntnissen zur „schwarzen Null“ und zu den „Obergrenzen“ in dem Moment keinen Stich mehr machen werden, wenn über die wirklich wichtigen Fragen debattiert und entschieden wird: jetzt tatkräftig den sozialen Wohnungsbau beleben, jetzt kräftig in das Erlernen der Sprache, der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und der Kultur investieren, jetzt Kitas und vor allem (Grund-)Schulen erneuern und bauen, jetzt die Bildung und Ausbildung der Geflüchteten fördern und den Arbeitsmarkt für die Geflüchteten öffnen, jetzt das Erlernen der Sprache und die Berufsausbildung bzw. Arbeit miteinander verbinden.
Das kostet sehr, sehr viel Geld. Integration ist kein Almosenverteilen an notleidende Menschen. Da liegt Schäuble völlig falsch. Darum ist es richtig, sie in einen Zusammenhang zu stellen mit einem Sozialpaket für den armen Teil unserer Bevölkerung. Alles ist aber eine Investition in die Zukunft, deren Ertrag sich am Ende auch in Euro messen lassen wird. Wenn diese Aufgaben jetzt entschlossen angegangen werden, dann hat die Große Koalition, dann haben wir alle keine Zeit mehr, uns in unsinnigen Debatten zu verhaken, wie das in den vergangenen Monaten der Fall war. Dann rücken die Menschen – sowohl die Geflüchteten wie die sozial Schwachen in unserer Gesellschaft – wieder in den Fokus des politischen Handelns.
Vor allem aber wird all denen, die nur Ängste schüren und soziale Missstände für ihre menschfeindliche Agitation missbrauchen, das Wasser abgegraben. Bleibt eigentlich nur noch zu wünschen, dass die SPD bald eine überzeugende friedenspolitische Initiative nachschiebt, die die Stärkung der Europäischen Union, eine neue Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands und die Initiative für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO) miteinander verbindet. Man muss kein Prophet sein: Wenn die SPD dieses in den nächsten Monaten schafft, wird sie relativ schnell aus dem 25 %-Gefängnis geführt werden – durch wen? Durch die Bürgerinnen und Bürger, die nach solchen Visionen suchen und bereit sind, an dieser Erneuerung der Demokratie mitzuwirken.
Es gibt 3 Kommentare
Der Vorschlag kam im Sommer schonmal. Und wird nun wieder hervorgekramt. Effekthascherei. Nichts anderes.
Kann ich nur zustimmen. Der Mann ist ein Opportunist vorm Herrn…und meistens nur peinlich. Das die SPD als Partei zu ihrem jetzigen Zustand ein großes Stück alleine beigetragen hat steht wohl außer Frage: eine Agenda 2010 oder der Kosovo- Krieg wäre ohne die SPD gar nicht möglich gewesen. Schon 1914 haben die Sozialdemokraten am lautesten ins Kriegsgeschrei eingestimmt und auch heute gibt es allenfalls Lippenbekenntnisse, was den deutschen Rüstungsexport angeht. Als demokratische Partei ist und bleibt die SPD, alles in allem, das größere Ãœbel.
Das sehe ich, mit Verlaub, doch anders. Wahlkampftaktisches Kalkül war hier wohl eher die Grundidee. Und Gabriel weis sehr wohl, dass Schäuble von der schwarzen Null nicht abrücken wird, die Begründung wird eben gerade die hohe finanzielle Belastung durch die Flüchtlinge sein.
Das Gabriel versucht, angesichts der davonschwimmenden Felle der SPD gegenzusteuern, mag zwar erstmal ein positives Zeichen sein, aber im vollen Bewusstsein der Nichtdurchführbarkeit wirkt es erbärmlich, lächerlich. Und besonders Gabriel als vehementer Verfechter von TTIP ist zu sozialen Themen dermaßen unglaubwürdig geworden wie die gesamte SPD, die, um nur ja irgendwie an der Regierung zu bleiben, noch immer umgefallen ist.