Was im krawalligen Getöse der Hatz um Verkaufszahlen von Medien gern verloren geht, ist der Mensch, der hilft. Doch - wie bei vielen anderen Dingen - ist dieser Zustand eben nicht alternativlos. Das Konzept hinter Tanners Interview ist eben das Ausredenlassen, das Nachfragen und das Aufmerksambleiben. Tanner traf bei einem Konzert auf die ihn sehr beeindruckende Jessica Prinz, die in der Ernst-Grube-Halle Flüchtlingen hilft. Wieso und wie waren Fragen, die da natürlich gefragt werden mussten. Damit nicht nur Geschrei die medialen Räume füllt.
Guten Tag Jessica Prinz. Schön, dass wir uns hier gerade über den Weg laufen. Ich weiß ja, dass Du für die Johanniter ehrenamtlich in der Ernst-Grube-Halle tätig bist. Was machst Du denn da konkret?
Hallöchen Volly! Meine Tätigkeiten in der Ernst-Grube-Halle sind sehr vielfältig. Zum Einen die Unterstützung bei der Sicherung der Grundversorgung, wie beispielsweise die Essensausgabe oder auch das Packen und Ausgeben der Spenden vor Ort und zum Anderen die aktive Mitgestaltung des Alltags in der Erstaufnahmeeinrichtung. Dazu zählen solche Dinge wie das Planen, Organisieren und Durchführen von kleineren Freizeitaktivitäten, wie zum Beispiel das Opferfest im September, das Laternenbasteln und der Martinsumzug im November oder eben ein gemütliches Beisammensein an Weihnachten in der Ernst-Grube-Halle. Viele administrative Aufgaben, die ich zu Beginn meiner Arbeit noch gemacht habe, sind mittlerweile nicht mehr mein Tätigkeitsfeld. Für diesen Aufgabenbereich haben wir inzwischen hauptamtliche Sachbearbeiterinnen, die sich um diese Angelegenheiten kümmern. Neben all diesen Aufgaben ist aber auch immer noch Zeit für ein paar nette Gespräche mit den Geflüchteten und besonders am Abend hat man oftmals etwas Luft, die man gut dafür nutzen kann, um beim Deutschlernen zu unterstützen.
Wie muss ich mir denn den Zeitaufwand für Deine ehrenamtliche Tätigkeit vorstellen?
Die ersten Wochen und Monate war die Zeit, die ich – und auch viele andere Helfer – im Rahmen der ehrenamtlichen Tätigkeit in der Ernst-Grube-Halle verbracht habe, enorm. Es gab eigentlich keinen Tag, an dem ich nicht vor Ort war. Das gilt auch für Wochenenden und Feiertage. Neben meiner Ausbildung zur Erzieherin war ich trotzdem täglich acht Stunden oder auch deutlich länger dort. Mittlerweile ist das nicht mehr so. Durch die Einführung des Hauptamts hat sich die Lage etwas beruhigt und auch ich habe mich ein Stück zurückgenommen. Zwar bin ich inzwischen auch zehn Stunden in der Woche hauptamtlich dort, helfe aber dennoch oft ehrenamtlich aus. Ein gutes Beispiel dafür ist, wenn neue Flüchtlinge zu uns kommen und in der Ernst Grube Halle dadurch zusätzliche Unterstützung benötigt wird.
Was hat Dich dazu gebracht, Dich zu engagieren? Religion? Humanismus? Persönliche Betroffenheit? Es interessiert mich besonders, wo der Unterschied zu den vielen Meckerern und Verantwortungsverschiebern ist. Hast Du da Antworten für mich?
Ich hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, mich für geflüchtete Menschen zu engagieren. Als dann Mitte August der Aufruf der Johanniter kam, dass Unterstützung in einer neu entstehenden Erstaufnahmeeinrichtung benötigt wird, hatte ich einen konkreten Ansatzpunkt für mich gefunden und mich direkt als Helfer gemeldet. Natürlich sehe ich diese Bereitschaft auch als Teil meines humanistischen Menschenbildes, wenn ich dafür sorgen kann, dass Menschen in Not Hilfe zukommt. Dabei war es mir besonders wichtig, direkt vor Ort zu helfen und nicht nur auf den Gegendemonstrationen von Legida vertreten zu sein oder einem Verein beizutreten. Einen religiösen Hintergrund hatte es allerdings nicht.
Für mich liegt der wahrscheinlich elementarste Unterschied darin, dass oft eine bewusste Wahrnehmung und eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Thematik “Flüchtlinge” (leider) nicht stattfindet. Würde das passieren, würde eine Vielzahl dieser “Meckerer” erkennen, dass die Menschen, die aus ihrem Land fliehen und hier nach Deutschland kommen, nicht dafür verantwortlich sind, dass z.B. Renten zu niedrig sind. Ohne diesen genauen Blick kommt es eben schnell zu den fälschlichen Annahmen und Ablehnung. Als Fazit könnte man sagen: es fehlt schlichtweg an Aufklärung. Die Folgen davon sieht man bittererweise regelmäßig in Form von *gida-Demonstrationen, Gewalttaten gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund oder Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte.
Du triffst mit vielen Menschen mit berührenden Schicksalen zusammen. Was macht das mit Dir? Hast Du Veränderungen an Dir selber in den letzten Monaten wahrgenommen?
Besonders am Anfang gingen mir die einzelnen Schicksale sehr nah. Oftmals waren es die individuellen Gründe, warum es zur Flucht aus dem eigenen Land kam oder auch das Erlebte, während der Flucht an sich. In solchen Momenten war ich meist sehr ratlos, was ich sagen sollte, denn die “richtigen Worte” findet man dazu nicht. Sobald ich aus der Situation war, habe ich erst einmal durchgeatmet oder auch das Gespräch mit anderen Helfern gesucht. Trotzdem gab es die eine oder andere schlaflose Nacht, weil mein Kopf vor lauter Eindrücken und Gedanken nicht zur Ruhe kam. Durch den Austausch mit den anderen ehrenamtlichen Helfern konnte ich mit der Zeit verschiedene Handlungsstrategien entwickeln, damit umzugehen. Ich habe gelernt, in der Situation aus Selbstschutz emotional etwas distanzierter zu sein, als ich es zu Beginn meiner ehrenamtlichen Tätigkeit war. Das heißt natürlich nicht, dass es mich nicht mehr berührt, wenn mir jemand seine Fluchtgeschichte erzählt.
Für meine Psychohygiene habe ich ein großes Repertoire an Ressourcen, die ich nutze. Das reicht von Sport über das Hören meiner Lieblingsmusik bis hin zum Auszeit nehmen. Ganz klar habe ich auch Veränderungen bei mir festgestellt! Am deutlichsten habe ich festgestellt, wie gut ich es doch habe und schätze dieses, im Vergleich sorgenfreie, Leben viel mehr. Ich bin sehr an dieser Arbeit gewachsen und konnte bereits viel für mich persönlich mitnehmen. Für gewisse Dinge bin ich deutlich sensibler geworden und auch meine eigene Weltanschauung hat sich verschoben und erweitert, was ich als unglaublich positiv empfinde.
Kannst Du uns bitte ein bisschen etwas über Euer ehrenamtliches Team erzählen? Was für Menschen helfen?
Viele Helfer aus unserem ehrenamtlichen Team sind von Anfang an dabei, andere kamen nach und nach dazu. Einige sind täglich vor Ort, einige kommen ein oder zwei Mal pro Woche. Was allerdings alle vereint, ist die Tatsache, dass es alles Menschen mit großen Herzen und viel Durchhaltevermögen sind. Zu diesem Team gehören beispielsweise Betreuer, Dolmetscher, Ärzte, Helfer, die Deutschkurse geben oder extra für die Essensausgabe kommen, um zu unterstützen. Das Team der ehrenamtlichen Helfer ist auch sehr facettenreich. Vom Alter, der Nationalität oder auch der beruflichen Haupttätigkeit ist alles vertreten. Das hat ganz klar den Vorteil, dass jeder sich auf unterschiedliche Art und Weise mit einbringen kann und das macht Spaß. Es ist wirklich toll, wie viele großartige Menschen durch solch eine Arbeit zusammenkommen.
Was sagt Dein persönliches Umfeld – zum Beispiel Deine Familie – eigentlich dazu?
Meine Familie war am Anfang sehr skeptisch, um nicht zu sagen kritisch dem Ganzen gegenüber eingestellt. Trotzdem habe ich mich nicht beirren oder gar davon beeinflussen lassen und meine Arbeit dort fortgesetzt. Wenn ich dann mal zu Hause war, habe ich auch ganz bewusst davon erzählt. Nach und nach kamen dann viele Fragen, wodurch sich für mich ein guter Raum öffnete, um bestehende Vorurteile seitens meiner Familie abzubauen. Das hat eine ganze Weile gedauert, aber inzwischen ist es so, dass meine Mutter da sehr hinter meiner Arbeit steht. Sie bringt auch regelmäßig Spenden von Freunden, Verwandten und Bekannten mit, wenn sie mich in Leipzig besucht. Meine Schwester möchte sich mittlerweile auch selbst durch ehrenamtliche Arbeit in dem Bereich engagieren. Diese positive Entwicklung und vor allem stattfindende Sensibilisierung gibt mir ein gutes Gefühl.
Bei meinen Freunden war es da von Anfang an etwas entspannter, da ich nicht mit der Problematik von Vorurteilen zu kämpfen hatte. Ich bekomme sehr viel Zuspruch und Respekt. Allgemein herrscht sehr reges Interesse an meiner Arbeit, was ich daran sehe, wie oft ich neugierige Fragen gestellt bekomme oder die Thematik präsent ist.
Nur vom Ehrenamt verhungert mensch ja, womit verdienst Du eigentlich Deine Wohnungsmiete?
Derzeit befinde ich mich noch in der Ausbildung zur Erzieherin und bin in meiner Praxiszeit im Jugendclub. Da es aber eine schulische Ausbildung ist, bekomme ich BAföG. Wie ich bereits erwähnt habe, bin ich für eine geringe Stundenzahl auch hauptamtlich in der Ernst-Grube-Halle tätig und verdiene mir so nebenbei ein wenig Geld dazu. Einen anderen oder besseren “Nebenjob” könnte ich mir gar nicht vorstellen!
Was denkst Du, wie geht es weiter in den nächsten Monaten in Sachsen und Deutschland, Europa gar?
Ich denke, dass auch zukünftig noch viel Arbeit vor uns liegt. Mit “uns” meine ich damit nicht nur das Team aus der Ernst-Grube-Halle, sondern auch die Gesellschaft und Politik. Zäune in und um Europa zu bauen und so die ohnehin schon gefährlichen Fluchtwege – ob Balkanroute oder über das Mittelmeer – zu erschweren, ist meiner Meinung nach nicht nur der falsche, sondern auch ein sehr unmenschlicher Weg. Traurigerweise sehe ich da noch kein Umdenken von Seiten der Politik.
Beim Blick in die Gesellschaft habe ich da etwas mehr Hoffnung. Es finden stetig Informationsveranstaltungen statt, es werden Initiativen gegründet und die Vernetzung untereinander nimmt immer mehr Fahrt auf. Das sehe ich als gutes Zeichen, um mehr Menschen zu erreichen, darauf aufmerksam zu machen und im Idealfall zum Nach- oder gar Umdenken anzuregen. Mit jedem Vorurteil oder jedem Funken Angst, den oder die man in der Gesellschaft abbaut, hat man einen wichtigen Schritt in eine offenere Gesellschaft getan. Nichtsdestotrotz wird und bleibt es noch ein langer Weg, den wir alle gemeinsam zu gehen haben.
Bleibt eigentlich noch Zeit für die Liebe? Ganz profane Hobbys? Gibt es eine Spargelschälweltmeisterschaftsmitschälerin Jessica?
Ich muss ganz ehrlich gestehen, es blieb, besonders am Anfang, vieles auf der Strecke. Im Laufe der Zeit hat sich das allerdings eingependelt. Ohne Terminplaner, indem ich alles aufschreibe, funktioniert nichts mehr. So ist es auch einfacher, mir gezielt ein Fenster für mich freizuhalten. Das nutze ich dann auch bewusst und treffe mich mit Freunden, nehme mir mal ein gutes Buch zur Hand oder erlaube mir auch mal ganz bewusst, faul zu sein. Ich hatte zwischenzeitlich vergessen, wie wichtig das eigentlich ist, mal etwas für sich zu tun.
Danke für Deine Antworten.
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