Schnee, Eisregen, zweistellige Minusgrade, scharfer Ostwind, hereinflatternde Rechnungen. Der Januar macht es einem mit seiner Verhaltensauffälligkeit nicht gerade leicht, ihn zu lieben. Wer das trotzdem nicht hinkriegt, sollte das allerdings nicht allzu leichtfertig auf die Jahreszeit schieben, der hat es bloß noch nicht raus: positives Denken! Überall spricht man davon, allerorten ist es ins Internet hineingepinselt: Ändere nicht die Dinge, sondern deine Einstellungen zu ihnen. Cheer up, mach dir die Welt, wie sie dir gefällt. Du musst die Geschehnisse nur zur Farbberatung schicken!
Na, gut, fangen wir eben an: Winter ist der Knaller. Er kann machen, was er will, 20 Autos auf Autobahnen ineinander schieben, Fahrradfahrer auf spiegelglatter Straße übereinanderfallen lassen, die Heizkosten verfünffachen – egal, ihm haftet einfach die Grandezza einer Großfürstin eines Latifundiums im Baltikum an. Auch seinen Charakter kann man im Winter endlich mal wieder nach Strich und Faden auf Festigkeit prüfen: Die gute Laune zu behalten, wenn es gegen fünf Uhr dunkelt und dann eben NICHT gleich kapitulierend in Richtung Matratze zu schielen, das muss man erst mal hinkriegen.
Außerdem geht es bergauf mit einem. Die Erkältung steigt nämlich eine Stockwerk höher: hinauf in die Stirnhöhlen. Steiler geht’s nicht. Kein Wunder, dass man sich dergestalt so richtig prima vorkommt, wenn einem draußen die Luft ins Gesicht beißt, oder sagen wir in die freigelegten Reste eines Körpers, der sich anfühlt als wäre er schon Hauptdarsteller in Gunter von Hagens’ “Körperwelten”. Das hat alles freilich etwas Exklusives. Ist so etwas ganz anderes als der banale Frohsinn des Sommers, wenn alle Welt ihre Todesstreifen zwischen Brustwirbelsäule und Schambein freilegt.
Genießen wir sie deshalb, die kalten Monate, besonders den Januar. Zu schnell ist dieser Zauber vorüber.
Einige Wachsame haben es nämlich längst registriert: Seit ein paar Wochen werden die Tage wieder länger, besonders Feinfühlige spüren es im linken Knie: Es geht mit großen Schritten ins Frühjahr! Eine unangenehme Sache, das! Der Lenz macht schließlich Schluss mit der Gemütlichkeit. Denn auch enthusiastischste Musikliebhaber werden zugeben: Man neidet Paul Potts eher die Stimme als die Figur. Und leider leben Bikinis nun mal von der Landschaft zwischen Oberteil und Schlüppi. Des Frühlings mahnende Stimme befiehlt uns wieder, radikal zu werden.
Wenn man früher radikal wurde, fand man sich zur meist gleichgeschlechtlichen Popgymnastik ein, wobei das radikalste daran sicherlich die Gewandung war, die nicht selten eher an den Straßenstrich Köln-Deutz erinnerte als an beherztes Hopsen in der Turnhalle Döbeln-Süd. Das ist aber längst Geschichte.
Nachdem man endlich auch in der fasanenartigen Sport- und Fitness-Szene in den zwei Dekaden nach dem Mauerfall den letzten Ausweg aus der Vernunft genommen hatte, heißt POPGYMNASTIK jetzt GRUPPENFITNESS oder wenn es ganz hart kommt: Vom Frauenhaus ins Powerhouse! VON PONTIUS zu PILATES schickte man in den letzten Jahren die Quintessenz bahnbrechender Trends der sportiven Neuzeit, am Ende fanden sich dort mehr Anhängerinnen ein als die ostdeutsche Kirche an Mitgliedern zählt.
Im Jahr 2016 nennt man, nach meinen Beobachtungen, die neueste sportliche, indoor durchs Dorf zu treibende Sau: FASZIENtraining. Sieh mal an: Faszien (!) also hat man jetzt für die Vermarktung entdeckt. Es ist manchmal kaum noch zu faszien, was der Fitness-Markt alles so ausheckt für einen Körper, der sich in puncto Skelettmuskulatur in den letzten Jahrhunderten bekanntlich nur geringfügig verändert hat.
Ich weiß ein bisschen, wovon ich rede: Ich hab’s nämlich früher für Geld gemacht: Sport. Ich war eine Hopse, eine Hupfdohle, eine Vorturnerin. Was auch immer der deutsche Wortschatz an despektierlichen Begriffen für Frauen bereithielt, die mit anderen ihre Medizin nach Noten einnahmen. Die Betitelungen machten uns damals nichts aus, man war noch nicht so sehr auf Betroffenheit geeicht und ich kann sagen, es war eine gute Zeit – ein bisschen wie das Gegenteil von Manchester-Kapitalismus: Andere nach seiner Pfeife tanzen lassen und alle hatten trotzdem Freude. Ich kenne dadurch unzählige Fitness-Studios, Turnhallen und Ortschaften jenseits und diesseits der Elbe.
Heute renne ich aus Zeitgründen nur noch – um meiner chronischen Koffein-Vergiftung irgendetwas entgegenzusetzen – alle zwei Tage 300 Runden um den Block oder S-Bahnhöfe. Das gibt mir das Gefühl des Fernweh-Auslebens. Manchmal stelle ich mir dabei was vor.
Man sieht auch daran: Wer Leibesertüchtigung sagt, muss nicht zwangsläufig Equipment sagen. Das ist oft überflüssiger, kommerzieller Tand. Der menschliche Körper gibt im Grunde alles her: Widerstand, Beweglichkeit, Freude. Selbst Onanisten werden das bestätigen. Sommers wie winters übrigens.
Na also, man sieht es schon: so ein bisschen positives Denken …? Läuft bei mir. Wie der Haushalt.
PS: In dem Moment als die Kolumnenschreiberin hochmotiviert und begeistert über ihre neuen Fähigkeiten zur Eigensuggestion begeistert den Schlusspunkt unter den Text setzte, fand sie im Netz einen aktuellen Artikel vom Januar 2016 mit dem Titel “Wissenschaftler sagen: Positives Denken macht dick, arm und einsam”
Ha! Wenn man sich das vornimmt, ihr Spacken, bestimmt!
(U.G., läuft weiter)
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