Obwohl im vergangenen Jahr in Deutschland mehr als 1.000 Straftaten auf Asylunterkünfte verübt wurden, verorten viele die wahren Feinde der Demokratie am linken Rand. Das hat ideologische und strukturelle Gründe. Der erste Teil der Artikel-Serie „Der Feind steht links“ widmet sich dem Schicksal einer linksradikalen Gruppe in Leipzig, einer fragwürdigen Forschung zum Thema „Linksextremismus“, dem real existierenden Rechtsterror in Deutschland und der zunehmenden Gefahr durch Bauschaum.

„Der Verfassungsschutz und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben gewählt – wir auch.“ Dieses Fazit steht unter einer aktuellen Stellungnahme der linksradikalen Leipziger Gruppe „Prisma“. Linksradikal, das bedeutet für ihre Mitglieder: linke Politik, die radikal für die Gleichberechtigung und -behandlung aller Menschen steht und Rassismus, Faschismus, Sexismus sowie Antisemitismus entschieden entgegentritt. Auch das ist der für die L-IZ verfassten Stellungnahme zu entnehmen.

Anlass für das Schreiben ist eine Einschätzung des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Dieses teilte im Zuge einer Presseanfrage zum Geschehen rund um Legida mit, dass die „nichtextremistische Initiative ‘Leipzig nimmt Platz’“ von der „linksextremistischen Struktur Prisma unterstützt“ werde. Auf weitere Nachfrage nannte Pressesprecher Martin Döring konkrete Gründe für diese Einschätzung: Prisma sei der autonomen Szene zuzuordnen und in der „Interventionistischen Linken“ organisiert. Diesem bundesweiten Netzwerk würden „zahlreiche linksextremistische Gruppierungen“ angehören. Zudem zeige es eine „taktisch geprägte Einstellung zur Gewalt“.

Darüber hinaus würde Prisma das Gewaltmonopol des demokratischen Rechtsstaates infrage stellen. Dies soll ein Zitat aus einem Text belegen, den die Gruppe anlässlich der rechten Hooliganattacken in Connewitz veröffentlichte. Darin heißt es: „Auf das Treiben der Staatsapparate ist kein Verlass. Gegen den rechten Straßenterror hilft nur ein gesellschaftlicher Antifaschismus – von der Kerze über die Sitzblockade bis zum militanten Selbstschutz.“ Weil die Gruppe deutliche Kritik an Rolle und Funktion des Verfassungsschutzes formulierte, ist sie selbst ins Visier der Behörde geraten.

Linksextrem ist, wer vor Rechten warnt

Dieses Schicksal teilt sie mit zahlreichen anderen Gruppierungen und Einzelpersonen. Ausgangspunkt ist eine Denkweise, die sich beispielsweise in der vor einem Jahr veröffentlichten „Linksextremismus-Studie“ von Forschern der Freien Universität Berlin ausdrückt: Ihnen zufolge ist „linksextrem“ eingestellt, wer unter anderem eine „zunehmende Überwachung linker Systemkritiker“ beklagt, der Polizei „Blindheit auf dem rechten Auge“ unterstellt, die „Gefahr eines neuen Faschismus in Deutschland“ sowie eine „tief verwurzelte Ausländerfeindlichkeit überall im Alltag“ beobachtet und den Kapitalismus überwinden möchte. Kapitalismuskritik als Ausdruck eines „linksextremen“ Weltbildes?

Zumindest vom Grundgesetz ist eine solche Annahme nicht gedeckt, denn dieses bezeichnet die BRD zwar als „demokratischen und sozialen Bundesstaat“, verhält sich wirtschaftspolitisch aber neutral. Darauf beruft sich auch Prisma: „Wir wollen sicherlich den Kapitalismus abschaffen, nicht aber die Demokratie – im Gegenteil: Wir wollen mehr Demokratie, wir wollen eine radikale Basisdemokratie.“

Nach weit verbreiteter Meinung stellen „Linksextreme“ ein ähnlich großes – wenn nicht sogar noch größeres – Problem wie Rechtsextreme dar. Schnell geraten sie ins Visier jener, die Staat und Verfassung schützen wollen oder zumindest vorgeben, dies zu tun. Dass es neben den beiden genannten „Extremen“ noch ganz andere Probleme im politischen Deutschland gibt und insbesondere jenes am rechten Rand massiv angewachsen ist, wird vielfach ausgeblendet und geleugnet. Dabei sprechen die Zahlen eine eindeutige Sprache.

Der rechte Terror in Zahlen

Im vergangenen Jahr hat es laut Bundeskriminalamt (BKA) mehr als 1.000 Straftaten gegen Asylunterkünfte gegeben – das sind fast drei pro Tag. Jeder zehnte Anschlag wurde in Sachsen verübt. Auch Linke verüben Anschläge, häufig auf Institutionen und Repräsentanten des Staates. Ob die knapp 8.000 „gewaltorientierten Linksextremisten“, die das Bundesamt für Verfassungsschutz im Jahr 2014 gezählt hat, einen der größten Waffenexporteure der Welt ernsthaft herausfordern könnten, erscheint zumindest fraglich. Die Angriffe der Rechten richten sich vor allem gegen die Schutzbedürftigen; gegen jene, die zu den Schwächsten der Gesellschaft degradiert werden. Das sind vor allem Geflüchtete, aber auch Menschen, die wegen ihres Aussehens dafür gehalten werden.

Zu Beginn dieses Jahres ist der rechte Terror nicht kleiner geworden – im Gegenteil: Aus Zahlen der Amadeu-Antonio-Stiftung ergibt sich, dass sich im Januar die Angriffe auf Unterkünfte gemessen am Durchschnitt des Vorjahres verdoppelt haben. Einige Beispiele: In Barsinghausen wollten Brandstifter eine geplante Unterkunft in die Luft jagen, im hessischen Dreieich wurde ein Heimbewohner durch einen Pistolenschuss verletzt und in Villingen-Schwenningen warfen Unbekannte eine mit Sprengstoff gefüllte Handgranate in Richtung einer Unterbringung. Nachrichten dieser Tage lauten zudem: „Neonazis demonstrieren in Rostock-Lichtenhagen.“

Dass ein im Kreis Leipzig versteigertes Rittergut nach Angaben des Höchstbietenden nun zu einem KZ ausgebaut werden soll (Mephisto), hielt das Leipziger Amtsgericht nicht davon ab, ihm am Holocaust-Gedenktag den Zuschlag zu erteilen. Immerhin scheint er nicht zu den 372 rechtsmotivierten Straftätern in Deutschland zu gehören, deren Haftbefehle nicht vollstreckt werden, weil sie untergetaucht sind. Der NSU lässt grüßen.

Der Schaumschläger vom LKA Sachsen

Dennoch leistet sich ausgerechnet Sachsen einen LKA-Präsidenten, der vor staatlich subventionierten „Linksextremisten“ warnt und behauptet, dass Leipzig den Polizisten „kaum noch zuzumuten“ sei. Jörg Michaelis heißt der Mann, der sein Amt im April 2011 antrat und trotz knapper Personalressourcen seine Beamten mehr als drei Jahre gegen eine sogenannte „Antifa-Sportgruppe“ ermitteln ließ. Dabei sollte es sich um eine kriminelle Vereinigung handeln, die angeblich gezielt Jagd auf Neonazis machte. Im Zuge der Ermittlungen hat das LKA hunderttausende rechtswidrig erfasste Handydaten ausgewertet, Wohnungen durchsucht und DNA-Tests durchgeführt. Selbst der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König wurde der Gruppe zugerechnet. 2014 endete das Verfahren laut „Spiegel“ mit einer Einstellung. Einzige Erkenntnis: Einer der 25 Beschuldigten hatte an einer friedlichen Demonstration gegen Neonazis teilgenommen.

Mittlerweile hat LKA-Chef Michaelis eine neue Gefahr ausgemacht: Antifa-Aktivisten würden neuerdings Bauschaum unter das Visier von Polizisten sprühen (MoPo24). Auf L-IZ – Nachfrage erklärte die Pressestelle: „Konkrete Beispiele müssten Sie bei den einsatzführenden Dienststellen erfragen. Die Aussagen von Herrn Michaelis beruhen auf der Auswertung von Einsatzberichten und Gesprächen innerhalb des Kollegiums.“ Zumindest die Polizeidirektion Leipzig weiß von nichts: „Innerhalb unseres sachlich-örtlichen Zuständigkeitsbereiches traten derartige Fälle nicht auf und sind hier auch sonst nicht bekannt.“

Teil 2 der Artikel-Serie auf L-IZ (hier) beschäftigt sich mit Legida, der Rolle des sächsischen Verfassungsschutzes und den Hürden, die antirassistischer Protest in Leipzig überwinden muss.

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Es gibt 2 Kommentare

Sehr guter Artikel. Wer sich in dem Bereich auskennt wird zustimmen, der Rest wahrscheinlich meckern. Halt genau so wie es im Artikel beschrieben ist. Passt alles.

„Wir wollen sicherlich den Kapitalismus abschaffen, nicht aber die Demokratie – im Gegenteil: Wir wollen mehr Demokratie, wir wollen eine radikale Basisdemokratie.“

Da will also jemand die Früchte ernten und der Gärtner “darf” sogar einige behalten. Natürlich nur, wenn er weiter fleißig seine Obstbäume hegt und pflegt.

Eine “radikale Basisdemokratie” ???!!!! Ist das nicht Anarchie? Ist das nicht eine Diktator mit allen vorstellbaren und kaum vorstellbaren perversen Mitteln? Es gibt ausreichend Beispielt in der Geschichte der Menschheit wohin das führt. Das 3. Reich war das grausamste Beispiel. Wer möchte eigentlich eine solche radikale Basisdemokratie?

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