Die Leipziger AfD diskutiert รผber eine Annรคherung an Pegida. Inhaltlich gibt es zwischen Partei und Bewegung nur geringe Differenzen. Bislang standen einem Schulterschluss vor allem persรถnliche Eitelkeiten im Weg. Eine wichtige Rolle kรถnnte nun der radikale AfD-Flรผgel โPatriotische Plattformโ spielen. Er drรคngt auf eine stรคrkere Zusammenarbeit und verfรผgt seit jeher รผber personelle Schnittstellen.
โMit Faschisten redet man nicht, man stellt sich entgegen.โ Die Antwort des Online-Netzwerkes โNo Legidaโ auf das Gesprรคchsangebot von Legida lieร nicht lange auf sich warten und fiel eindeutig aus. Dessen Orgateam wollte sowohl die drei โNo Legida-โAktivisten Marcel Nowicki, Jรผrgen Kasek und Martin Neuhof als auch Leipzigs Oberbรผrgermeister Burkhard Jung (SPD), den hiesigen Polizeiprรคsidenten Bernd Merbitz sowie den sรคchsischen Verfassungsschutzprรคsidenten Gordian Meyer-Plath zur รถffentlichen Podiumsdiskussion einladen. Anlass seien die gewaltsamen รbergriffe der vergangenen Monate gewesen: etwa auf die Autos des Legida-Orgateams oder den ehemaligen NPD-Funktionรคr Axel Radestock, der die Partei eigenen Angaben zufolge mittlerweile verlassen hat.
โWir kรถnnten gemeinsam ein Signal setzen, dass wir uns zu einem Minimalkonsens einig sind, dass Gewalt kein Mittel einer politischen oder sonstigen Auseinandersetzung istโ, heiรt es dazu in einem Mitte Januar in Umlauf gebrachten Offenen Brief Legidas. Aber auch die Absage von OBM Jung folgte umgehend: โMit einer rassistischen Gruppierung, die mehr oder weniger offen auf ihren Veranstaltungen zu Gewalt aufruft, setze ich mich nicht an einen Tisch. Wer uns mit Mistgabeln verjagen will und als Volksverrรคter beschimpft, hat den Rahmen dieses Rechtsstaats verlassen. Auf diesen Legida-Veranstaltungen wird die Saat gelegt, die in Gewalt gegen Flรผchtlinge und Helfer aufgeht.โ
Legida warf dem Oberbรผrgermeister daraufhin vor, sich seiner Verantwortung zu entziehen. Die Reaktion der โLinksradikalen von NoLegidaโ sei vorhersehbar gewesen, so das muslimenfeindliche Bรผndnis. โSolange OBM Jung die schรผtzende Hand รผber diese Extremisten hรคlt, scheinen sie sich in Sicherheit zu wiegen.โ Es waren nicht die einzigen Absagen, die die vรถlkischen Nationalisten in jรผngster Zeit hinnehmen mussten.
Einen Tag vor Verรถffentlichung des Briefes hatte Rednerin Tatjana Festerling auf einer Pegida-Kundgebung dazu aufgerufen, die Urnen bei den im Mรคrz anstehenden Landtagswahlen zum โQualmenโ zu bringen. Spรคter ergรคnzte sie unter tosendem Beifall: โDie einzige Opposition in Deutschland ist die Straรe. Das sind wir, das ist Pegida und das ist die AfD.โ
Nun also doch gemeinsam Seit an Seit und die alten Lieder singen?
Der Leipziger Kreisvorsitzende ebenjener Partei, Siegbert Droese, griff diese Vorlage auf und verschickte eine folgenreiche Pressemitteilung. Darin warb er fรผr eine Annรคherung an Pegida und trรคumte bereits von einer โgemeinsamen Groรdemonstrationโ in Leipzig. โDamit hat sich die Leipziger AfD selbst im nationalen, rechten, rassistischen und gewaltbereiten Spektrum verortetโ, lautete die anschlieรende Einschรคtzung von Irena Rudolph-Kokot vom Aktionsnetzwerk โLeipzig nimmt Platzโ. Sie schlussfolgerte: โHier wรคchst jetzt auch รถffentlich zusammen, was schon immer zusammengehรถrt hat.โ
Anderen in der AfD ging der Vorstoร von Droese allerdings zu weit. Ralf Nahlob, Pressesprecher und Vorstandsmitglied des Leipziger Kreisverbandes, verรถffentlichte kurz darauf eine โRichtigstellungโ: Es habe sich lediglich um die persรถnliche Meinung des โsehr geschรคtztenโ Vorsitzenden gehandelt. โDer AfD-Kreisverband hat bisher zu keinem Zeitpunkt eine Abstimmung oder einen Vorstandsbeschluss zu einer Annรคherung getroffenโ, so Nahlob.
Die Parteispitze reagierte ebenfalls zurรผckhaltend. So lieร die Bundesvorsitzende Frauke Petry, zugleich Chefin des sรคchsischen Landesverbandes, dem โTagesspiegelโ ausrichten, dass sie den Vorschlag โnicht kommentierenโ werde. Ihr Stellvertreter, Alexander Gauland, ging im TV-Talk โHart aber fairโ auf Distanz zu Pegida. Im Dezember 2014 hatte der AfD-Politiker aus Brandenburg seine Partei als โnatรผrlichen Verbรผndeten dieser Bewegungโ bezeichnet.
Fรผr Beobachter, auch vom rechten Rand, wรคre eine Zusammenarbeit eine naheliegende Option. So hofft etwa Jรผrgen Elsรคsser auf die โEinigung aller Oppositionskrรคfteโ im Kampf der โVolksbewegung gegen den Asylwahnsinnโ. So steht es in einem aktuellen Beitrag auf seinem persรถnlichen Blog geschrieben. Der Chefredakteur des Monatsmagazins โCompactโ, das in den vergangenen Jahren seine Auflage mit auslรคnderfeindlicher Hetze um ein Vielfaches steigern konnte, stand schon mehrmals bei Legida als Redner auf der Bรผhne. Dass die Leipziger AfD ihre Bereitschaft zum โSchulterschlussโ postwendend zurรผckzog, bedauert der ehemalige โkonkretโ-Autor. โDoch das kann nicht das letzte Wort sein!โ, so Elsรคsser.
Geistige Vernetzungen an der Basis
Politikwissenschaftler der TU Dresden verรถffentlichten im Januar die Studie โPegida: Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empรถrungsbewegungโ, in der sie aufzeigen, dass schon frรผhzeitig Annรคherungsversuche der AfD erfolgt sind. Bereits im November 2014, also wenige Wochen nach Beginn der Demonstrationen, bekundete die Dresdner Stadtratsfraktion Sympathie fรผr die Islamfeinde. Einzelne Kreisvorstรคnde aus Dresden und Meiรen unterstรผtzten aktiv die Arbeit des Orgateams.
โWie das Verhรคltnis zu den Pegida-Demonstrationen aber konkret aussehen sollte, blieb innerhalb der AfD stets umstritten โ die Vorschlรคge schwankten hier zwischen Abgrenzung, wohlwollender Zustimmung, informeller Unterstรผtzung und offizieller Zusammenarbeitโ, so die Autoren der Studie. Das รคnderte sich auf dem AfD-Bundesparteitag im Juli 2015, als das Ende von Bernd Lucke besiegelt wurde. Der Parteigrรผnder gehรถrte bis dahin zu jenen namhaften Mitgliedern, die vor einer Annรคherung an Pegida gewarnt hatten. Seit diesem Tag und dem darauf folgenden Exodus tausender Mitglieder versteht sich ein groรer Teil der AfD als โPegida-Parteiโ, so wie es auch der NRW-Vorsitzende und Europaabgeordnete Marcus Pretzell formuliert hatte.
Spรคtestens seit jenem Wochenende im Juli รคuรern hochrangige Funktionรคre der Partei offen nationalistische Parolen und Verschwรถrungstheorien, wie sie in รคhnlicher Form regelmรครig auch auf Pegida-Demos zu hรถren sind. Sรคtze wie โWenn wir kommen, dann wird aufgerรคumt, dann wird ausgemistetโ entstammen nicht den Reden von Tatjana Festerling oder Lutz Bachmann, sondern dem Mund von Markus Frohnmaier, einem AfD-Vorstandsmitglied und Bundesvorsitzenden der Nachwuchsorganisation โJunge Alternativeโ. Selbiger รคuรerte anlรคsslich der Silvester-Vorfรคlle in Kรถln: โMeiner Meinung nach haben Leute wie Claudia Roth hier mittelbar mitvergewaltigt.โ

Der Landesvorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt, Andrรฉ Poggenburg, mutmaรt derweil in einem Beitrag des ARD-Politmagazins โKontrasteโ, dass einige Brandanschlรคge auf Geflรผchtetenheime โvon der anderen Seite inszeniertโ seien. Belege fรผr seine Behauptungen lieferte er nicht; er habe es โMedienberichtenโ entnommen. Brandenburgs AfD-Chef Gauland bekrรคftigte schlieรlich bei โHart aber fairโ, dass er den Ausspruch โWer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassenโ als unproblematisch ansehe. Abseits von Neonazikundgebungen war so etwas bis vor kurzem kaum verbreitet. Bundesweite Aufmerksamkeit erregte auch Bjรถrn Hรถcke aus Thรผringen mit seinen Thesen vom โlebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstypโ und den โAngstrรคumen fรผr blonde Frauenโ sowie der รuรerung โErfurt ist schรถn, Erfurt ist schรถn deutsch und Erfurt soll schรถn deutsch bleibenโ. Dies sind nur einige Beispiele von vielen.
Rechts von Rechtsauรen unterwandert
Wenn auf Demonstrationen der AfD Mitglieder der Partei โDie Rechteโ zu sehen und Parolen wie โKriminelle Auslรคnder rausโ, โWir wollen keine Asylantenheimeโ oder โDeutschland den Deutschen, Auslรคnder rausโ zu hรถren sind, verwischen die Unterschiede zu Neonaziaufmรคrschen immer mehr. Permanent kommt es zu รbergriffen auf Protestierende und Journalisten, so wie am vergangenen Mittwoch, als in Magdeburg ein Teilnehmer mehrere Medienvertreter verletzte โ mit Pfefferspray. Bis vor einigen Monaten beschrรคnkten sich Vorfรคlle dieser Art noch weitgehend auf die Montags-โSpaziergรคngeโ in Leipzig und Dresden.
Es scheint fast so, als sei die einstige Rechtsauรen Frauke Petry selbst von rechts รผberholt worden. Nicht wenige Beobachter gehen davon aus, dass ihr bald das gleiche Schicksal drohen kรถnnte wie Bernd Lucke. Die Wortmeldungen aus Petrys Heimatverband Sachsen lesen sich noch eher harmlos โ im Vergleich zu dem, was regelmรครig aus Thรผringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg zu vernehmen ist. Man hetzt zwar weiterhin gegen โMesser-Marokkanerโ und Gleichstellung, vermeidet dabei aber Neonazisprech und sonstige NS-Anleihen.
In aktuellen Verlautbarungen der Leipziger AfD heiรt es zum Beispiel: Der โWillkommens-Lobbyโ fliege das โExperiment Refugees Welcomeโ um die Ohren, den โedlen Wilden, von den Welcome-Groupies gern liebevoll Flรผchtling genanntโ, habe es nie gegeben und โin Gottes Namen โ keine Groรmoschee in Leipzigโ โ letzteres verbunden mit dem Hinweis auf eine von der NPD initiierte Unterschriftensammlung.
Dass eine enge Zusammenarbeit mit Pegida noch nicht zustande kam, dรผrfte kaum inhaltlichen Differenzen geschuldet sein. Zudem erscheint die Frage diskussionswรผrdig, ob die AfD รผberhaupt nach rechts rรผcken mรผsste, um mit Pegida zu kooperieren โ oder nach links. Einer Annรคherung standen bislang wohl vor allem persรถnliche Animositรคten im Wege. So verweisen die Politikwissenschaftler der TU Dresden auf das Treffen der sรคchsischen AfD-Landtagsfraktion und des Pegida-Orgateams zu Beginn des Jahres 2015: โNach den Eindrรผcken von Teilnehmern bestand zwischen Bachmann und Petry von Beginn an kein vertrauensvolles Verhรคltnis. Beide sahen sich wechselseitig als Konkurrenten und erkannten in der Persรถnlichkeit des jeweils anderen ein Hindernis fรผr eine fruchtbare Zusammenarbeit.โ Offenkundig geht es hierbei eher um Fรผhrungsansprรผche, als um fehlende Schnittmengen.
Im Mรคrz unterstellte Bachmann der AfD, die โBodenhaftungโ verloren zu haben. Anlass war ein Gerichtsurteil, das Lehrerinnen den Schulunterricht mit Kopftuch erlaubte โ die Partei begrรผรte das. Spรคter bezeichnete der Pegida-Chef die AfD-Politiker als โKarrieristenโ. Als sowohl AfD als auch Pegida mit eigenen Kandidaten zur Oberbรผrgermeisterwahl in Dresden antraten, war die Spaltung zementiert. Im Herbst sprach der Landtagsabgeordnete Jรถrg Urban von einem โangespannten Verhรคltnisโ, das einem Schulterschluss im Weg stehe. Mit den einsetzenden Demonstrationen in Thรผringen und Sachsen-Anhalt gelang der AfD schlieรlich das, was Pegida auรerhalb Sachsens verwehrt blieb: Tausende Menschen auf die Straรe zu bringen.
Sondersituation Leipzig
Zumindest in Leipzig scheint das Verhรคltnis zwischen Politikern und Aktivisten entspannter. Anhรคnger des ultranationalistischen AfD-Flรผgels โPatriotische Plattformโ gehรถrten von Beginn an zu den Teilnehmern der Legida-Demonstrationen, darunter auch ein ehemaliges Mitglied des sรคchsischen AfD-Landesvorstandes. Vor allem in der Anfangszeit verรถffentlichten die โPatriotenโ auf ihrem Blog โErlebnisberichteโ von den โSpaziergรคngenโ. Im Frรผhjahr 2015 trafen sie sich mit dem inzwischen zur โOffensive fรผr Deutschlandโ gewechselten Silvio Rรถsler und dem noch amtierenden Orgachef Markus Johnke zum Stammtischgesprรคch.
Und es gibt weitere prominente รberschneidungen: Im November 2014 war die wegen ihrer Ansichten zu den Kรถlner Hooliganausschreitungen aus der AfD ausgetretene Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling zu Besuch bei der โPatriotischen Plattformโ und wurde dort als โNeukameradinโ vorgestellt. Fรผr den kommenden Februar-Stammtisch in Leipzig ist sie erneut als Gast angekรผndigt. Dann soll es um das Thema Pegida gehen. Auch Heiko Bernardy, der wegen einer Hassrede bei โSรผgidaโ als Kreisvorsitzender der Sรผdthรผringer AfD zurรผcktreten musste, und der neurechte Verleger Gรถtz Kubitschek weisen Verbindungen sowohl zu Partei und โPlattformโ als auch zur rassistischen Protestbewegung auf.
Neben dem Leipziger AfD-Chef Droese zรคhlt Rechtsanwalt Roland Ulbrich zu den wichtigsten Mitgliedern der Patriotischen Plattform. Der sรคchsische Landessprecher der Vereinigung mรถchte eine Zusammenarbeit mit Pegida auf die Tagesordnung des am heutigen Freitag stattfindenden AfD-Kreisparteitages setzen. In einem kรผrzlich auf seiner Facebookseite verรถffentlichten Posting heiรt es: โEs dรผrfte klar sein, dass die ganz รผberwiegende Zahl der Mitglieder des Kreisverbandes Leipzig hinter Siegbert Droese steht und die Annรคherung an Pegida begrรผรt.โ Ulbrich selbst stand bei der ersten Legida-Demonstration, damals noch am Zentralstadion, im Publikum in der ersten Reihe an der Bรผhne und jubelte dem damaligen Chef Silvio Rรถsler zu.
Im zurรผckliegenden Richtungsstreit innerhalb der Gesamtpartei stand die Leipziger AfD loyal zu Landeschefin Frauke Petry. Sollten sich die etwas mehr als 100 Mitglieder nun fรผr eine Annรคherung an Pegida entscheiden, wรคre dies ein weiteres Indiz fรผr den schleichenden Machtverlust der โ fรผr AfD-Verhรคltnisse mittlerweile gemรครigten โ Parteivorsitzenden. Und einer deutlichen Radikalisierung der AfD in Sachsen. Ausgehend von Leipzig.
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