Im literarischen Bereich des hiesigen Kulturlebens sind die meisten Kameras und Mikrophone immer wieder auf einen Herrn Meyer gerichtet, dessen Output bei genauerer Sichtung gar nicht so fulminant ist. Da gibt es andere, die mehr und anders schreiben und auch Preise bekommen. Constanze John zum Beispiel hat gerade zwei Bücher in die Läden gebracht. Tanner hakte nach.
Guten Tag, Constanze John. Da flatterten gerade in der Vorweihnachtszeit gleich zwei Bücher von Dir auf meinen Tisch. “Blaue Zimmer” herausgekommen im Freiraum-Verlag. Und “Vierzig Tage Armenien” – bei DuMont. Hossa. Ein breites Spektrum. Lass uns erst einmal nach Armenien reisen. Warum warst Du dort und was hat Dich dann bewogen, daraus ein Buch zu machen?
Nach Armenien bin ich im Jahr 2000 erstmals gekommen. Die Beschäftigung mit Armenien begann in der Denkmalschmiede Höfgen, bei Grimma, die damals noch Stipendienort war. Dort traf ich den armenischen Komponisten Wahram Babajan, hörte nicht allein seine teils sehr avantgardistische Musik sondern auch seine Geschichten, begann über ihn als ein ehemaliges Wunderkind der Musik zu schreiben und kam dann zu dem Punkt, an dem ich mir sagte: “Er kann dir viel erzählen. Du musst das Land jetzt mit eigenen Augen sehen!”
Ein Reisestipendium des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik machte den Flug möglich und ich verbrachte drei Wochen in Jerewan, mitten in einer armenischen Familie. Auf der Straße der Hauptstadt fuhr kaum ein Auto, das Wasser lief nur eine Stunde am Tage und keiner wusste – wann… Aber die deutlich schwereren 90er Jahre lagen zumindest zurück, mit den Folgen des Erdbebens 1988, der gesellschaftlichen Umstrukturierung nach der Perestroika und nach dem Krieg in Karabach. Seitdem reiste ich mehrmals, so dass sich meine Innensicht zunehmend erweiterte. Das Manuskript “Gelber Staub. Eine Reise nach Armenien” entstand, für das ich 2013 den Johann-Gottfried-Seume-Preis erhielt.
DuMont ist ja schon ein dicker Fisch im Verlagsbecken. Wie bist Du denn an einen Vertrag mit DuMont herangekommen? Über eine Agentur? Freunde? Wie lief das denn bei Dir?
Es lief über den Zufall, den es vielleicht nicht gibt. Auf jeden Fall lief es ungewöhnlich: Ein Autor, der mit seinem bei DuMont erschienen Buch ebenfalls in der Auswahlliste für den Seume-Preis 2013 stand, informierte seinen Verlag darüber, dass letztlich ein Buch über Armenien gewonnen hatte. Durch meine Reise-Features bei Deutschlandfunk und Deutschlandradio war die entsprechende Basis gegeben.
“Gelber Staub. Eine Reise nach Armenien” allerdings ist ein literarisches, auch ein poetisches Buch. Insofern passte es nicht in die Reihe REISEABENTEUER. Aber was sprach dagegen, noch einmal nach Armenien zu reisen? Ich bekam den Vertrag und fuhr also erneut – diesmal allein, aber mittlerweile recht gut vernetzt. Das Abenteuer konnte beginnen.
Blaue Zimmer könnte man einen Sampler nennen – da sind Texte von 1983 bis 2014 versammelt. Es ist faszinierend, Deine schriftstellerische Entwicklung nachvollziehen zu dürfen. Das ist aber ja auch ein gewagtes Unternehmen. Zeigt es doch auch Anfänge auf. Wie hast Du die Auswahl erstellt? Welche Prämissen hast Du angelegt, damit das Buch kein Megawälzer wird?
Alles, was wir nach außen bringen, kann auch ein Wagnis sein. Wichtig war es mir, meinen literarischen Weg zu zeigen, auch in Verbindung mit dem zeitlichen Kontext. Da meine ersten Texte, darunter das Georg-Büchner-Gedicht, bereits 1987 in der DDR in der Zeitschrift TEMPERAMENTE veröffentlicht worden waren und gleich darauf, 1988, das Gedicht in eine Anthologie der Georg-Büchner-Buchhandlung Darmstadt aufgenommen wurde, neben Namen wie Paul Celan oder Peter Huchel, hatte ich da eine Anfangsresonanz, die gute Basis für mich war.
Da ich damals allein mit meinen zwei halbwüchsigen Söhnen lebte, dazu noch im Brotberuf arbeitete, blieb ohnehin nur wenig Zeit zum Schreiben. D.h. zwar gab es letztlich einen beachtlichen Fundus an Material, aber – mit einem entsprechenden literarischen Anspruch aus der zeitlichen Distanz heraus – blieb alles dennoch überschaubar. Und so war es auch gedacht. Manchmal muss man sich auch trennen von Eigenem. Die Auswahl sollte sorgsam sein, für den heutigen Leser. – Mein verehrter Kollege, der Dichter, Schriftsteller und Übersetzer Roland Erb stand dieser Auswahl dankenswerterweise beratend zur Seite.
Der Freiraum-Verlag ist mir mit Blaue Zimmer erstmals untergekommen. Kannst Du bitte ein paar Worte zum Verlag einstreuen? Was machen die sonst? Wo kommen die her? Erzähl mal bitte.
Erik Münnich ist ein junger, ambitionierter Verleger, geboren in Leipzig, in Greifswald lebend und von dort aus auch agierend. Das Verlagsprogramm weist sich aus durch anspruchsvolle Literatur. Wer im Verlagsprogramm blättert, der findet neben aktueller polnischer Literatur auch Autoren wie Uwe Saeger oder aber solch einen Titel wie: “my degeneration. the very best of WHO IS WHO” von Kramer/Mießner/Pohl/Schittko et al.: – Zu Erik Münnich kam ich über eines meiner Langzeitprojekte: In Brasilien, ein weiteres “meiner” Länder, lernte ich den deutschstämmigen Prof. Flavio Kothe kennen, welcher als Gastprofessor Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre in Rostock lebte und über diese Zeit einen Roman geschrieben hat. Auf der Suche nach einem passenden Verlag für diesen Roman fand ich Erik Münnich und seinen Verlag. Und “Freiraum” klingt nicht nur gut, sondern ist es auch tatsächlich, ohne dabei wahllos zu werden.
In Zusammenarbeit mit dem Friedrich Bödecker Kreis in Sachsen bist Du Kuratorin einer Schreibwerkstatt für Kinder im Haus des Buches Leipzig. Wie ist denn die Auslastung? Wer kann denn da mitmachen? Oder ruht das gerade???
Wichtigster Teil unserer Arbeit sind die monatlichen Treffen, die völlig unspektakulär verlaufen: Erst unterhalten wir uns und dann gebe ich den Impuls für die Geschichten. Die innere Selbständigkeit der Kinder ist gefragt. Die Gruppe ist übervoll. Ich biete deshalb immer noch einen zweiten Termin an. Und der füllt sich, jeden Monat. Aktuell sind wir nicht nur für ein Filmprojekt im Gespräch mit dem Leipziger Filmemacher Kanwal Sethi, hängt nicht nur eine Ausstellung mit einzelnen Sätzen der Kinder in der Polizeidirektion Leipzig, sondern bereiten wir auch unser erstes Buch vor, das am 24. April in der Universitätsbibliothek Leipzig, im dortigen Café, seine Buchpremiere feiern wird.
Die Schreibwerkstatt ist in der Stadt Leipzig gut bekannt. Die Begeisterung der Kinder überträgt sich auf die Erwachsenen. Das zeigte sich z.B. bei der öffentlichen Lesung im November beim “Durstigen Pegasus” in der Moritzbastei oder auch bei Lesungen “Kinder lesen für Kinder”, welche für März 2016 wieder in Schulen und Bibliotheken geplant sind. Zugleich entwickelt sich, fußend auf der Schreibwerkstatt für Kinder, die “Fortsetzung” für die dem Kindesalter Entwachsenden. Und der Leipziger Hörspielmacher Thomas Kirsche kündigte an, er wolle gern ehrenamtlich mit uns zusammenarbeiten und jedes Jahr je eine Geschichte der Kinder aufnehmen, so dass ein jährlicher Sampler entsteht.
Schriftstellerinnen schreiben ja eigentlich immer. An was arbeitest Du denn derzeit?
Konkret schreibe ich an der Laudatio für die Preisträgerin des Johann-Gottfried-Seume-Preises 2015, Susanne Schädlich. Darüber hinaus arbeite ich momentan vor allem an Gedichten, die auf der griechischen Insel Samothraki entstanden sind, im Spätsommer 2015. Von den Mysterien der Kabiren schrieb Goethe in Faust II. Das Geheimnis der Menschwerdung soll auf dieser Insel verborgen sein. Und ich muss gestehen: Ich bin noch auf der Suche.
Danke, Constanze, für die Antworten.
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