Samstagmorgen: Mein 9-jรคhriger Sohn und ich sitzen noch etwas verpennt am Frรผhstรผckstisch, da summt mein Telefon. Unsere Elternvertreterin der Schule schickt eine SMS: Guten Morgen allerseits, viele Bewohner in der Notunterkunft sind sehr aufgeregt, wegen der Demos heute. Wer hat heute Nachmittag spontan Lust auf Kinderbetreuung, damit wenigstens die Kids ein bisschen Ablenkung haben? LG Manuela.
Stimmt, heute sind hier in der Sรผdvorstadt die Demos angekรผndigt, wollten eigentlich auf die Straรe โ Flaggeโ zeigen, aber das klingt nach einer sinnvolleren Aufgabe. Wir รผberlegen nicht lange, sagen zu und ziehen um 13 Uhr los. Am Eingang des Heims werden wir von den Herren der Security schon erwartet, wir sind angemeldet nur so dรผrfen wir heute in den abgeriegelten Bereich โ keiner rein โ keiner raus โ Safety first.
Ein groรer Typ mit Funkgerรคt empfรคngt uns sichtlich erleichtert: โGut, dass ihr kommt, alle sind hier ziemlich nervรถs, die Kinder wissen gar nicht, was los istโ Nur noch die Personalausweise abgeben und los gehtโs.
Vier Frauen haben sich spontan bereit gefunden. Ich bin zum ersten Mal hier, meine Freundin kennt sich schon aus. Als wir den ehemaligen Schulhof betreten, werden zahlreiche Fenster geรถffnet und plรถtzlich strรถmen aus allen Richtungen Kinder. 30 ,40 ich weiร es nicht genauโฆ โHallo, Halloโ sie ergreifen die Hand meiner Freundin, dann auch meine und ziehen uns zu dem Container, in dem sich das Spielzimmer befindet. Wie kleine, junge, wilde Hunde belagern die Kinder dann das Zimmer: die Bรคlle aus dem Bรคllebad fliegen durch die Luft, Spiele werden aus den Regalen gezerrt und mindestens fรผnf Kinder halten mir Spiele unter die Nase, das hier spielen? Wo anfangen? Egal einfach machenโฆ Ich spiele los, die Situation beruhigt sich langsam, die Kinder werden ruhiger.
Erste Sprachversuche mit einem kleinen Mรคdchen: Ich Steffi und Du?
Die Antwort รผberrascht mich: Ich heiรe Berim und bin 9 Jahre altโฆ Ich muss schmunzeln: Ok, der Sprachfortschritt ist weiter vorangeschritten, als ich dachte, schรถn das Eis ist gebrochen. Vor dem Fenster des Containers tigern die Vรคter nervรถs auf und ab, rauchen und werfen immer wieder Blicke auf ihre Smartphones. รber uns kreist der Hubschrauber. โHelikopter, Helikopterโฆโrufen die Kinder. Das monotone Gerรคusch beginnt mir auf die Nerven zu gehen, noch stundenlang wird er weiterkreisen. Dann plรถtzlich kommt Bewegung auf, Polizeistaffeln mit Blaulicht fahren durch die Straรe, wir kรถnnen einige wenige vermummte Menschen durch die Straรen rennen sehen. Die Vรคter und die Security schicken die Kinder in den Container: Bleibt drin, verriegelt die Fenster, zieht die Jalousien runterโฆ!
โWas ist denn los?โ frage ich. Keine Antwort, unsicheres Achselzucken. Es zieht eine Polizeikolonne durch die Straรe, niemand weiร was passieren kannโฆ Einige Kinder schauen verรคngstigt, ein kleines Mรคdchen zieht mich am Arm: โhier auch Krieg?โ Ich schlucke, nehme sie in den Arm: โNein, Sรผรe hier nicht, ihr seid sicher hier!โ Sind Sie das wirklich?, denke ich, ich weiร es nicht und schlucke noch mal! Normalitรคt ist anders, wir puzzeln trotzdem weiter. Manuela schneidet Obstsalat, eine andere Mutter bastelt Adventssterne, die Luft wird stickig, wir รถffnen doch wieder die Fenster und lassen Licht rein, wieder eine Polizeistaffel mit Blaulicht, die Kinder werden neugierig, die Vรคter wollen nicht, dass sie rausgehen, es ist schwer, Ruhe zu behalten, langsam steigt meine Wut, ist denn diesen Menschen nicht schon genug angetan worden? Ich schwanke im Gefรผhlschaos machtlos zwischen Wut und Traurigkeit gefangenโฆ
Kurz vor fรผnf holen die Eltern ihre Kinder, die Lage drauรen scheint sich zu beruhigen. Eine syrische Bewohnerin sagt zum Abschied zu uns: โNicht so schlimm wie in Syrien!โ โNa primaโ, denke ich, sollte dieser Vergleich zwischen Syrien und Deutschland nicht eigentlich schwer hinken? Muss ich das alles noch verstehen? Wir brechen auf. Am Ausgang bedanken sich die Kollegen von der Security bei uns: โWir hรคtten die kleine Meute hier drauรen nicht im Zaum halten kรถnnen!โ Dafรผr nicht! โฆIch fรผhle mich ausgelaugt und ein bisschen entmutigt.
Mein Sohn fragt: Kann J. (Manuelas Sohn), noch mit zu uns kommen? Ja, klarโฆ! Die zwei sind aufgeregt, zeigt sich uns auf dem Rรผckweg auf der Karli ein Bild der Verwรผstung: Baustellen sind geplรผndert, Gerรผste liegen auf den Schienen, abgebrannte Mรผlltonen sรคumen die Straรe, die Glascontainer sind ausgekippt, der Scherbenhaufen ausgebreitet auf der Straรe. Zementsรคcke der Baustelle sind aufgerissen und eine grau weiรe Staubschicht liegt auf der Straรe. Wir wollen noch schnell etwas einkaufen, an dem kleinen Konsum steht eine Mitarbeiterin an der Tรผr und schlieรt fรผr jeden Kunden einzeln auf und zu. Dรผrfen wir rein? Ja, klar kommt rein, hier seid ihr sicher.
Sicher? Vor wem eigentlich?
Wieder drauรen auf dem Schlachtfeld der Karli sind die Jungs verwirrt und neugierig zugleich:โ Dรผrfen wir auf den Schienen laufen?โ Ja, dรผrft ihr! Mein Sohn bรผckt sich, hebt etwas auf: Was ist das denn? Ich drehte mich um, ein Schlagstock! Wirf das weg! โฆIch will nur noch nach Hause.
Wir balancieren die Schienen entlang in Richtung Kreuzung Karli, Kurt-Eisner-Straรe. Die Kreuzung steht voll mit schwarz gekleideten Menschen. Was ist da los? Ich dachte die Demos und die Straรenschlachten sind durch, die Straรe ist doch schon verwรผstet.
Wรคhrend wir auf den Schienen der Karli, auf der Hรถhe des Schรผtzplatzes, stehen und auf die Kreuzung schauen, sehen wir plรถtzlich von rechts den Wasserwerfer ins Bild fahren. Kurz stehe ich neugierig und wie versteinert auf den Schienen und dann geht plรถtzlich alles ganz schnell. Der Mob setzt sich in Bewegung und rennt auf uns zu. Bis ich endlich reagiere, vergehen wertvolle Sekunden. Ich schnappe mir die Jungs rechts und links und wir rennen los, quer รผber den Schรผtzplatz, wir wollen nach Hause, Kochstraรe hinterm Kant-Gymnasium. Aber das ist die falsche Richtung, rennen wir doch dem Mob direkt entgegen. Plรถtzlich ist der Schรผtzplatz voll mit schwarzen rennenden Menschen.
Jetzt bekommen wir Panik, Ruhe bewahren, nur Ruhe bewahren und weiterlaufen. Ich drรผcke meine Hรคnde fester zu, bloร jetzt nicht die Jungs loslassen und weiterrennen nur schnell nach Hause, schnell in Sicherheit sein. Wir erreichen den Zebrastreifen Kochstraรe, noch 30 Meter bis zu unserer Haustรผr, aber davor ist alles voll mit Menschen und Rauch, eine Frau schreit: Weg mit den Kindern, lauft, die haben Reizgasโฆ
โWohin Mama?โ hรถre ich die brรผchige Stimme meines Sohnes. Ich schlage einen Haken, der Schulhof ist offen, schnell aufs Gelรคnde. Kommt, Jungs gleich sind wir in Sicherheit; รผber die Mauer in unseren Gartenโฆwir habenโs geschafft, schnell ins Haus und in die Wohnung.
Wir keuchen, wir husten, unser Puls rastโฆโMama, mir ist schlecht.โ Unsere Augen brennen, die Nase brennt, wir mรผssen Reizgas abbekommen haben. Nur langsam kommen wir wieder zur Ruhe, immer wieder mรผssen wir wiederholen und uns erzรคhlen, was wir erlebt und gesehen haben.
Eine fette Portion Spaghetti mit Tomatensoรe und ganz viel Parmesan hilft erst einmal รผber den schlimmsten Schrecken hinweg.
Aber die Frage nach dem Warum bleibt? Wem hat das Ganze jetzt etwas gebracht?
Gute Frage: Der linken gewaltbereiten Szene, die unter der Rechtfertigung des Antinazibekenntnisses und ausgerechnet unter dem Deckmantel des Antirassismus in blanker Zerstรถrungswut durch die Straรen zieht und eine Spur der Verwรผstung hinterlรคsst, immer nur anti ist aber keine Lรถsung fรผr ein Dafรผr parat hat?
Oder der Polizei, die mit ihrem Rรคuber- und Gendarmspiel, die Eskalation bewusst in Kauf nimmt und die Kontrolle รผber die Sicherheit verliert? Oder gewinnen am Ende 150 Neonazis, die sich ins Fรคustchen lachen, weil ihnen mit solchen Aktionen eine optimale Bรผhne bereitet wurde?
Dem kleinen syrischen Mรคdchen, den anderen Kindern und ihren Familien in der Notunterkunft hat es โ auรer erneuter Angst โ gar nichts gebracht.
Denkt doch da mal drรผber nach, die ihr auf den Straรen seid und gegen Rassismus und Fremdenhass eintreten wollt. Aber das Denken wurde offensichtlich an diesem Samstagnachmittag in allzu vielen Kรถpfen ausgeschaltet.
Schade, hatte Intelligenteres von dir erwartet โ Leipzig!
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Es gibt 2 Kommentare
Und diese Autonomen zu den Linken zu zรคhlen halte ich seit Jahren fรผr einen Fehler. Das wรผrde suggerieren dass diese Krawallbrรผder eine politische Botschaft hรคtten. Davon habe ich am 12.12. aber nichts gemerkt. Da waren im Straรenkampf erprobte Intensivtรคter am Werk denen der politische Diskurs vรถllig piepe ist, die aber keine Gelegenheit auslassen um โKrieg zu spielenโ.
Vielen Dank fรผr diesen Beitrag und den Versuch die Irrationalen doch mit dem Schluss ein wenig zum Nachdenken zu bringen. Ich stimme vollends zu, diese Gewaltausbrรผche haben maximal den Rechten fรผr Ihre Propaganda etwas gebracht. Die Autonomen zu den Intelligenten in Leipzig zu zรคhlen, halte ich schon seit Jahren fรผr einen Fehler. Sie beweisen zu oft das Gegenteil und machen so den friedlichen Protest der wirklich Intelligenten zu Nichte.