„Ich komme aus Leipzig, damit bin ich automatisch cooler als du“ heißt eine frische kleine Facebookseite, auf der man sowohl einem ausgewachsenen Stadtpatriotismus als auch einer kleinen Leipzig-Liebe vorwiegend mittels Fotografien nach Herzenslust frönen kann. Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was es genau heißt, "Leipziger" zu sein. Ich habe nur diffuse Vermutungen.
Als gesichert gilt, dass der gemeine Leipziger zunächst einmal seine adrette, aber winzige Innenstadt liebt – eine zugegebenermaßen so winzige Innenstadt allerdings, dass sie sich bequem in einen herkömmlichen Tagesausflug einer japanischen Reisegruppe (Berlin, Leipzig, Heidelberg, Närmberch) integrieren ließe, und seinen architektonisch pittoresken und gleichzeitig modernen Zoo, in dem man vor allem an Sonn- und Feiertagen einen Besucherstrom erleben kann, der das Elephant-Tiger-&-Co-Prinzip in Personalunion optisch erfolgreich an sich selbst vollzogen hat.
Aber auch anderweitig punktet die Stadt bei ihren Einwohnern auf ganzer Linie: Neben den Bachgebeinen haben wir einen Oberbürgermeister, den man nicht nur in Wurzen und Oschatz, sondern in der ganzen Welt bei Tageslicht vorzeigen kann. Nicht zuletzt, weil er schöner ist als der junge David Hasselhoff – nur ohne Locken- und Alkoholproblem. Außerdem können wir auf die Hausgarten-Freizeit-Auto-Geschenke-Gourmet-und Buchmesse stolz sein, fast so sehr wie wir es im Bezug auf die Games Convention gewesen waren und verweisen trotz der weltberühmten Thomaner Gott sei dank noch immer auf keine Päderasten-Messe.
Lange Zeit waren wir sogar eine Stadt mit wenigstens diffus spürbarer Wärme: Wir hatten einen Führer, der Pfarrer war, was tatsächlich viel cooler ist als andersherum und anderswo. Diese Zeiten sind leider längst vorbei. Nicht erst seit gestern – nach den üblen Ausschreitungen linker Spaßguerillas in Connewitz muss es auch heißen: „Ich komme aus Leipzig, wo es genauso aggressiv und arschgeigenmäßig krawallig zugeht wie sonst überall in der Welt auch.“
Und nicht nur das. Es ist auch doch längst fast so kalt geworden wie in Frankfurt-Höchst oder Bielefeld-Brackwede. Und das merkt man nicht erst in der dunklen Jahreszeit, wenn man um sieben Uhr in der Früh fast mutlos durch Leipzig zu fahren beginnt. Nicht erst, wenn einem ein fisseliger Nieselregen scharf ins Gesicht weht, während man straff in die Pedalen kämpfen muss.
Irgendein beißender Wind versucht einen immer herauszufordern.
Trotzdem kriegt man das Gefühl nicht los, dass die Menschen auf den Straßen, die man dabei passiert, zunehmend fertig aussehen – so, als könnten sie allesamt ein paar Wochen Urlaub, eine Kur, eine warme Hand gebrauchen, die ihnen mal über die Wange streicht oder wenigstens ein warmes Wort, mal grundlos, zwischendurch. Stattdessen: Graue Gesichter, rotgeränderte Augen, unwirscher Blick unterm Augenbrauen-Piercing. Frauen mit tausend Farben im Haar und kratzigen Stimmen, die erledigt wirken und fahrig rauchend in einem Hauseingang einer Versicherungsgesellschaft stehen. Fünf Minuten Zigarettenpause bevor sich das Hamsterrad weiterdreht.
Autofahrer, die Krieg spielen am Montagmorgen, mit der einzigen Waffe, die ihnen geblieben ist. Alle scheinen irgendwie etwas Diffuses ausdrücken zu wollen, aber es gelingt nicht gut. Die Mittel fehlen vielleicht mittlerweile. Vielleicht ist es das, was man als PERSPEKTIVE bezeichnet?
Mensch, Leipzig, das doch irgendwie schon immer meine Stadt gewesen war! Ich habe das Gefühl, dass die Stadt nicht mehr gut zu ihren Menschen ist. Zumindest nicht zu all ihren Menschen. Und das macht mich automatisch uncool. Und zwar richtig.
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