Eines vorweg: Zweifelsohne ist das mit Paris ein großes Unglück. Auch möchte ich keinesfalls als finsterer autistischer Kümmerling gelten, der sich heute Morgen trotz oder wegen der Anschläge in Paris noch einmal heimlich im Bett umgedreht hat oder gar beim Bäcker Brötchen holen war.
Trotzdem: Ich schreibe diesen Text weder wegen noch trotz der Katastrophe in der französischen Hauptstadt, sondern einfach so. Völlig unpolitisch. Nichts hilft bei einer derart desaströsen politischen Großwetterlage nämlich mehr als der Rückzug ins Private. Deshalb also: Der Größe nach aufstellen, alles gedanklich Quälende ausblenden und Augen geradeaus zum Nestbau. Ein Besuch in einem bekannten Möbelhaus am Rande der Stadt kann da bekanntlich noch immer Wunder wirken, trotz Edward Norton und Fightclub.
Wer allerdings behauptet, ausschließlich der Einrichtungsgegenstände wegen bei IKEA einzukehren, lügt wie die Presse oder ist tatsächlich gerade erst umgezogen. Ein IKEA-Besuch ist und bleibt vor allem eine Sozialstudie par excellence – ein kommerzielles, kulinarisches und linguistisches Event unter dem löchrigen Deckmantel des Mobiliar-Interesses.
Wir fuhren also aus vielerlei Gründen hin, brauchten aber eigentlich nur eine neue Lampe: Unmittelbar nach unserer Ankunft ruft mein Begleiter schon unschuldigen Blickes “Guck mal, da gibt es VIREN!” Was für eine gelungene Bezeichnung für eine Klobürste! “Ha!”, frohlocke ich nur wenige Minuten später und lasse lässig den Hobbymediziner raushängen: Ein Abtreter, der KOLON heißt, aber warum nur soll man sich auf einem Dickdarm die Füße reinigen?
So geht es weiter: Warentitel wie LEKSVIK und LEKMAN bringen manch möbelbegutachtende Dame schon mal ins Träumen. Der domestizierte Depp neben ihr kriegt ihre auffordernden Blicke meist aber gar nicht mit, weil er nur sorgenvollen Blickes die überdimensionierte blaue Plastiktasche über der Schulter seiner Liebsten immer praller werden sieht: Sieben Kilo Teelichter. Was sie damit nur will? Er kann doch auch ohne …?
Genießen kann der männliche Möbelhaus-User sowieso erst, wenn er an Waren vorbeistreift, die ENGER (ein Spiegel) und BUSIG (eine Besteckserie) heißen. Wenn auch das nichts hilft, tut es dann spätestens das Hotdog am Ausgang, das unabdingbar eingenommen werden muss, als gliche der Trip durch die Möbelhallen mindestens dem Anstrengungsgrad einer Wanderung von Nordschweden bis Lappland.
Auch ohne Hotdog aber bin ich ein bekennender Fan: Die meisten Produktnamen helfen einem schlichtweg über alle Alltagssorgen hinweg. So umwerfend zahlreich sind die Anzüglichkeiten zwischen den BILLYs – Sie wissen schon, den Regalen für die Kondome. Nur Hardcore-Katholiken kriegen hier noch ein Pokerface hin, wenn Sie auf ALSVIK (einer Mischbatterie für die Küche) stoßen oder auf FIXA (einem Dampfschutz). Alle anderen frivolisieren wohl haltlos in Gedanken herum.
Das ist natürlich Teil der Verkaufsstrategie unserer nördlichen Brüder. Denn auch wir kamen nach nur viereinhalb Stunden mit den folgenden neuen Bewohnern schwedischer Herkunft in der braunen Papiertüte zuhause an:
– mit DROPS – also etwas zum Anschauen – (Collage-Rahmen)
– mit dem GATTEN – etwas zum darauf Herumtreten – (Teppich)
– mit EDIT – etwas zum Kuscheln (Kissenbezug)
– mit REKTANGEL – nein nichts aus der Apotheke (ein Vasenset) und
– mit FIGGJO – weil uns ANUS zu teuer erschienen war (ein Spiegel).
Eigentlich hatten wir noch mit einem formschönen Barhocker geliebäugelt, der uns beiden sehr gut gefiel, aber dessen Name ging uns dann doch entschieden zu weit: Der Hocker hieß wie einer meiner besten Freunde – BOSSE. Da auf diesem aus Pietätsgründen jedoch ausschließlich seine Liebste Platz nehmen darf, holten wir für die beiden noch rasch KORKEN, die praktische Flasche mit Verschluss, und verbrachten zu viert einen prächtigen Abend bei flackerndem Kerzenschein.
Die Lampe nämlich hatten wir vergessen.
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