Als wenn es nicht schon reichte an Schreckensszenarien: Mit der 26-jährigen Hasna Ait Boulahcen hat sich auch noch die erste Selbstmordattentäterin in unser Bewusstsein gesprengt. Gut, das also auch noch. Das ließ natürlich auch nicht Franz Josef Wagner kalt, der sich in einem seiner täglich erscheinenden "Herzlichst"-Texte mit dem Fall und den Fragen beschäftigte, die dieser auch zweifellos aufwirft: Wie kann das Böse eine Frau sein?
Man kann Wagner beshitstormen wie man will, seine simple Sprache und seine meist noch simpleren Rückschlüsse hinsichtlich des Weltgeschehens und gesellschaftlicher Trends auslachen und sein – wie aus Marika Rökks Zeiten wirkendes – Frauenbild kritisieren, er schafft es, zu polarisieren, Diskussionen zu entfachen, Gemüter zu erhitzen. Und manchmal stellt er sogar die richtigen Fragen, wie eben diese: Ja, wie kann eigentlich das Böse eine Frau sein?
Ganz so einfach, wie er selbst es sieht “Frauen sind heute böse wie Männer. Sie haben die Gleichberechtigung zu töten wie Männer” ist es zweifellos nicht, aber dran sein könnte dann doch ein bisschen was. Vielleicht kann man es mit der leicht abgewandelten These umreißen: Frauen haben sich im Zuge der Gleichberechtigung in die gleichen Wälder vorgekämpft, in denen Männer seither alleine wilderten, oft aggressiv, skrupel- und bedenkenlos, machtgierig – eine Haben-Wollen-Horde. Wenn Frauen das nun auf ihre Weise versuchen, einer Weise, die, wie wissenschaftlich erwiesen, als empathischer, weniger aggressiv, kooperativer und kommunikativer gilt, dann muss das Ziel, das es zu erreichen gilt, nicht zwangsläufig weniger unmoralisch sein. Vielleicht haben manche noch nicht einmal ein Ziel, sondern wollen nur zielstrebig sein.
Mit anderen Worten: Frauen machen den gleichen Mist wie Männer, nur anders.
Da muss man gar nicht Plattitüden bemühen wie “Die Frau ist ein Gefühlswesen, der Mann ein Vernunftwesen.” Das würde sich vermutlich nicht einmal mehr ein BILD-Kolumnist wagen.
Fakt aber bleibt, dass wir aus der Andersartigkeit und der zweifellos auch notwendigen Entwicklung sämtlicher feministischer Anschubkraft noch immer nicht die wünschenswerten Schlüsse ziehen. Nachdem man die so positiven weiblichen Eigenschaften wie Kommunikationsstärke und Einfühlungsbereitschaft doch zumindest halbwegs gesellschaftlich anzuerkennen bereit ist, klopft man das Ganze umgehend auf seine Verwertbarkeit für den Arbeitsmarkt ab, nicht selten sogar fürs Karrieremachen. Ein bedauerlicher Irrweg.
Ich erinnere mich dabei an einen Artikel, letztes Jahr in der ZEIT erschienen. Es handelte sich dabei um ein ausholend angelegtes Gespräch mit dem Titel “Zuhause war ich diese Woche gar nicht”.
Es ging einmal mehr um das leidige Dilemma der spätkapitalistischen Gesellschaft, nämlich darum, ob und in welchem Ausmaße nun eine Mutter auf dem Felde des Arbeitsmarktes aufmarschieren sollte. Beteiligt an dem Gespräch waren vier westdeutsche Frauen zwischen 36 und 46 Jahren, die in Frankfurt/Main, in München oder Düsseldorf irgendwelche leitende Posten innehatten – meist bei Firmen, bei denen ich nach dem Namensbestandteil CONSULTING oder INVESTMENT oft schon aufhöre zu lesen.
So weit, so besonders. So sollte es zumindest verstanden werden, denn diese Frauen gingen ja als Kinderhabende nicht irgendeinem Teilzeit-Hobby nach, sie waren weder Boutique-Besitzerinnen für Kunstgewerbe oder italienische Zwiebelzöpfe, sie waren auch keine Schmuckdesignerinnen, sondern Chefinnen mit ratternden Rollköfferchen, die zwischen den Flughäfen dieser Welt abgepumpte Muttermilch schmuggelten.
Die Frauen sahen – ihrem abgebildeten Konterfei nach – weder missgestaltet aus noch waren ihre Aussagen zu ihrer familiären Situation absolut abstrus zu nennen. Zwar halten sich meine Sympathien in Grenzen für Menschen aller Art, die ihr Leben ebenfalls wie ein Unternehmen zu führen scheinen und z.B. andere Mütter verlachen, die anrufen, um den Nachwuchs einzuladen (Zitat: “Wenn Mütter bei mir anrufen, weil es um irgendwelche Verabredungen für Spiele-Nachmittage oder andere Kinderaktivitäten geht, dann rufen die genau einmal an. (… alle lachen …). Weil ich ihnen dann sage: Wenden Sie sich bitte an meinen Mann! Er kümmert sich um Schule und das Nachmittagsprogramm. Ich bin für unser soziales Leben zuständig. Wer kommt Samstagabend zu uns? Wann gehen wir ins Kino? Wo gibt’s eine Party?”), jedoch möchte ich keinen Lebensentwurf infrage stellen, in denen der Lebensentwurf-Inhaber angibt, er sei damit zufrieden.
Die Frage, ob Frauen mit Kindern arbeiten gehen dürfen/sollten/müssen, ist ohnehin obsolet und langweilig überdies. Interessanter ist doch vielmehr die Frage nach dem richtigen Ausmaß. Aber das gilt bekanntlich in allen Sparten des Lebens. Die Dosis, die das Gift macht, die hat uns der liebe Gott in einem Streiche-Spiel-Anfall offenbar gut verstärkt.
Trotz alledem beschlich mich nach der Lektüre des Gesprächs ein leises Gefühl des Befremdens
Ich stellte fest: 1. Die Frauen hatten Kinder. – Das finde ich wunderbar. 2. Die Frauen hatten eine Arbeit. – Das kann ich nachvollziehen. 3. Den Frauen war eine Karriere in Form einer leitenden Tätigkeit eines Unternehmens oder einer Behörde wichtig. – Hey, warum nicht? Wer es mag … 4. Die Frauen haben nicht ein einziges Mal erwähnt, dass sie in ihrer Tätigkeit an sich einen Sinn erkennen, einen Mehrwert für die Gesellschaft gar oder einen Akt der Barmherzigkeit, der Fürsorge, der sozialen Verbesserung der Zustände. – An dieser Stelle setzt mein kleines Hirn aus.
Kein einziges Mal das Wort “Berufsethos”, “Leidenschaft” oder “Vision” zu erwähnen für das, was man tut und was einem jene kostbare Zeit stiehlt, seine Kinder groß werden zu sehen, sie kennenzulernen und zu verstehen, das halte ich doch zumindest für ein klein wenig traurig. Weil die erwähnten Begriffe es vielleicht rechtfertigten, dass man diesen Preis (irgendeinen zahlt man immer, nicht?) zahlt. Schade. Ich bin sicher, die Frauen haben Freude an ihrer Tätigkeit im weitesten Sinne, aber in ihren Worten blitzte immer nur auf: ‚Es geht. Ich kann es beweisen. Man kann nach oben kommen. Auch mit Familie.’
Was diese “da oben” allerdings soll und was es bringt für die Menschheit, das benannten sie nicht.
Nicht mit einer Silbe. Und das ist das Bedrückende an diesem Artikel. Dass er anderen Frauen keinen Mut macht, sondern dass er auf sie denselben sinnlosen Druck ausübt, der schon auf den Männern seit Jahrhunderten lastet.
Lassen wir uns doch nicht so verrückt machen von dieser leicht irre wirkenden Welt. Immer schön durch die Hose atmen und das Wesentliche im Blick behalten: eine Leidenschaft haben der Sache wegen und Liebe zum Detail, vor allem aber Liebe zum Nächsten, besondere Liebe gern dem Allernächsten. Dann braucht man vielleicht für diesen heiklen Balance-Akt auf dem Drahtseil zwischen den Potenzen der Geschlechter gar kein Sicherheitsnetz mehr. Dann könnte man ein bisschen mit den Beinen baumeln und ohne Helm und ohne Gurt auf eine Welt schauen, in der genügend Platz und Verständnis ist für alle: für Männer, die gar keine Karriere machen wollen, sondern nur den Kanarienvogel füttern, für Frauen, die in Hosenanzügen ihr Baby zudecken und sogar für Franz Josef Wagner.
Der Artikel in der ZEIT:
http://www.zeit.de/2014/43/vereinbarkeit-familie-beruf-berufstaetige-muetter
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