Jetzt wo es wieder so zeitig dunkel wird, fallen mir immer diese hell erleuchteten Fitness-Center-Schaufenster in den Innenstädten auf, hinter denen sich der Mitmensch zahlreich und tapfer an Crosstrainer, Ergometer, Laufband und Abduktoren-Maschine abarbeitet. Ich fühle mich dann in der allerersten Sekunde immer ein bisschen verwirrt, weil ich mich kurz in dem Zwang wähne, ich müsse mir jemanden aussuchen. Menschen wie eine Ware auszusuchen wirkt ja immer ein bisschen heikel.
An solcherlei Aussuch-Vorgänge wird man auch stets erinnert, wenn man stadtauswärts in der Torgauer Straße unterwegs ist. Dort ist bekanntlich der Club mit den drei Buchstaben zuhause, der im Stadtgebiet zu jeder Jahreszeit ein äußerst engagiertes Marketing fährt und bevorzugt vor Kindergärten und Grundschulen plakatiert, auf dass wirklich ein jeder wisse, dass Ostern wieder Eier gesucht werden oder der Weihnachtsmann eigentlich gerne einen roten Minirock und ein grenzdebiles Lächeln mit leicht herunterhängendem Unterkiefer unter der Weihnachtsmannmütze trägt. “Laufhaus” steht dort seit einiger Zeit am farbenfroh gestrichenen Gebäude in großen Lettern zu lesen. Was das genau zu bedeuten habe, wusste ich unlängst einen Begleiter zu fragen, der mich kundig davon in Kenntnis setzte, dass man dort eben durchlaufe und sich die Chicas aussuche. Aha.
Man verstehe mich nicht falsch: Ich halte Sexualität für eine prima Erfindung. Geradezu dankbar bin ich, dass es sich in der Evolution so ergeben hat, dass zwei Menschen ihre Zuneigung nicht ausschließlich durch das gemeinsame Züchten von Königspudeln ausdrücken müssen. Aber es existieren Dinge zwischen Himmel und Erde, mit deren Nachvollzug ich vermutlich noch lange hadern werde. Dazu gehört die Frage, warum es seit Menschengedenken manch Artgenossen offensichtlich große Freude bereitet, im Austausch gegen die Manipulationsmasse Geld bei einer Zweitperson unverbindlich einzuchecken, ein bisschen hektisch rumzuzappeln und sich flugs wieder zu unpluggen.
Natürlich bin ich mir darüber im Klaren, dass diese uralte Tradition auch ohne meine ausdrückliche Billigung stoisch weiterbestehen wird, nur optimistischer stimmt mich dies alles nicht, vor allem in Bezug auf einen eventuell wachsenden Wert der Menschenwürde.
Fakt bleibt lediglich mal wieder: Die Würde des Menschen ist untastbar.
Was man aber in einer vorgeblich aufgeklärten, zivilisierten Welt ändern kann, ist die Sichtweise auf die Beteiligten in diesem Business. Auf Aussucher und Ausgesuchte.
Aber schon bei der Kontroverse “Prostitutionsverbot oder nicht” wird unsere Gesellschaft noch immer schnell zu einem peinlichem Schauplatz aufgebrachter und ungeordneter Gedanken hervorstoßender Schreier- und Zeterei. Wenn es ganz schlimm kommt, wird solch eine Diskussion auch noch im Fernsehen übertragen, vor deren Karren man sich gerne die graue Eminenz aller moralischen Fragen, die nur noch schwer auszuhaltende Alice Schwarzer spannt.
Dabei ist zur Thematik doch längst alles gesagt: “Heute ist es (das Bordell) Schauplatz der Dürftigkeit. Da geht dann der Mann aus seiner quotierten Firma, steigt in sein emissionsarmes Auto, fährt durch verkehrsberuhigte Straßen, um schließlich in einem Bordell eine Frau dafür zu bezahlen, dass sie verschwindet, während er sie penetriert, um eine Sau rauszulassen, die wahrscheinlich schon lange nicht mehr in ihm ist”.
Besser geht es nicht. Und wem das nicht genug ist, der kann sich ja gerne mal am Abend eines jeden Tages fragen, wie viel Prostitution er im Tagesverlauf selber so absolviert hat. Die nicht arbeitende Ehefrau zum Beispiel, die sich immer wieder gern von ihrem angetrauten -Politikpfau aufklären lässt. Die selber sehr dumm ist, aber intelligent zu fragen weiß. Die auf keinen Fall IST, sondern ausschließlich REFLEKTIERT, um ihn das Spiegelbild seines eigenen Wunsches werden zu lassen.
Ist das moralischer als Prostitution?
Oder die Lehrerinnen, die am Nachmittag ohne Arg, aber mit großen Augen einer Schulbuchverlags-Außendienstmitarbeiterin bei deren über zweistündigen Power-Point-Vortrag folgen, dessen einziges Ziel es angeblich sei, ein Lehrwerk erklären (!) zu müssen und bei dem kostenlos und ungefragt Latte Macchiato, Mohn- und Zupfkuchen gereicht sowie Frühstücksbrettchen mit dem Verlags-Logo zugesteckt werden. Die auch noch wissend nicken als diese sagt: “Sie müssen diese Online-Unterrichts-Assistenten-Maske bedienen als bestellten Sie Schuhe bei Zalando.”
Ist so viel Bereitwilligkeit, ein hochgepuschtes, über die Gebühr überflüssiges Spielchen mitzuspielen nicht erbärmlicher als das Anbieten von klar umrissenen Dienstleistungen im Laufhaus – Freiwilligkeit (aus unerfindlichen und vielleicht naiven Gründen) mal vorausgesetzt?
Die aufgeführten Beispiele sind selbstredend hochgradig ungerecht ausgewählt und vor allem unzureichend. Es ist wie nur einmal kurz mit der Taschenlampe über den Himmel unserer Widersprüchlichkeiten im Bewerten der Dinge und des Mitmenschen geleuchtet zu haben.
Aber das Leben ist vielleicht auch nichts mehr als ein Laufhaus der Möglichkeiten. “Da kann man nüscht machen!” müsste deshalb für immer aus dem aktiven Sprachschatz der Menschheit ausscheiden. Man hat immer eine Wahl.
Und nebenbei: Die “Finest Selection” kostet nicht immer extra.
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