Wenn's mal wieder kracht in der Stadt werden gerne Schuldige gesucht. Das viele Probleme gar nicht erst entstehen müssten, wenn sich die Gesellschaft - das heißt wir alle, auch Du, lieber Leserschaftler - verantwortungsbewusst mit anderen Menschen auseinandersetzt, hieße jetzt dem intelligenten Menschen Eulen nach Athen nachschleppen.
Nun sind nicht immer alle Entscheidungsträger allumfassend intelligent, manche haben sogar Kompetenzprobleme – und deshalb wird es einigen Helfenden eben auch schwer gemacht, zu helfen. Tanner traf Holger Kappe und sprach mit ihm über das Ende des “Schulclub am Adler” und was danach kam. Ausgiebig! Auf zu Teil zwei.
Nicht mehr direkt in einer Schule verankert zu sein verändert ja auch das Aufgabengebiet. Welche Themen sich derzeit bei Euch die zu Beackernden?
Da wir bis Oktober 2013 ja ein stadtteiloffener Schulclub waren, hatten wir natürlich auch schon immer ein Ohr für die Probleme im Stadtteil. Im Prinzip war der “Schulclub am Adler” ja auch ein offener Freizeittreff, der sich halt allerdings in einer Schule befand.
Aber als Schulclub – ob nun stadtteiloffen oder nicht – ist man nun einmal ein wichtiger Teil der Schule und richtet seine Angebote eher auf die Bedarfe der SchülerInnen und Lehrer aus. Ganztagsangebote, Projektwochen, Tage der offenen Tür sowie das Schülercafé in der Hofpause waren über Jahre wichtige Bestandteile unserer Arbeit.
Aber auch jetzt, nach unserem Umzug, ist die Schule ein wichtiger Kooperationspartner für uns. Lehrer und die Schulsozialarbeiterin haben bereits im letzten Schuljahr angefangen, Schulprojekte in unseren Räumen durchzuführen. Und seit diesem Schuljahr bieten wir als Jugendclub wieder Ganztagsangebote für die Schule an und stellen speziell den 5. und 6. Klassen im Rahmen des Unterrichts den Jugendclub vor.
Was hat sich aber ganz konkret geändert?
Natürlich hat sich die Altersstruktur unserer BesucherInnen geändert. Während es im Schulclub hauptsächlich SchülerInnen der 5. – 8. Klassen waren, die am Nachmittag zu uns kamen, finden jetzt natürlich wieder verstärkt ältere Jugendliche den Weg zu uns. Klar, dass wir da auch mit anderen Problemen konfrontiert werden. Viele haben keine abgeschlossene Berufsausbildung, schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben, haben Probleme im Elternhaus und noch so gar keinen Plan für ihre Zukunft.
Und umso unzufriedener man mit dem eigenen Leben ist, umso eher sucht dann der eine oder andere natürlich nach den Ursachen und denjenigen, die daran Schuld sein könnten. Flüchtlinge, Asylbewerber, Ausländer sind da mitunter eine geeignete Zielscheibe. Zurzeit vergeht kein Tag, an dem dies nicht Thema im Jugendclub ist und wir nicht versuchen, Einstellungen bei den Kindern und Jugendlichen zu ändern und zum Nachdenken anzuregen.
In erster Linie sind wir aber ein Ort, an dem man seine Freizeit verbringt, es geht bei uns nicht 24 Stunden am Tag darum, Probleme zu bearbeiten. Kinder und Jugendliche sollen bei uns unbeschwert Zeit verbringen und Dinge tun können, die für sie ansonsten nicht möglich sind. Darum sind unsere Angebote in der Regel kostenfrei: vom Essen, das wir einmal wöchentlich bei der “Tafel” holen bis zum Gitarren- oder Klavierkurs. Und wer sich engagieren möchte, der kann zurzeit beim “Hoch vom Sofa” – Projekt mitmachen, bei dem wir unseren Bandraum in neuem Glanz erstrahlen lassen werden.
Wenn Kinder, Jugendliche oder ihre Ernährer viel Geld in der Tasche haben, sind sie auch vielumworben und werden mit Aufmerksamkeit nur so überschüttet. Ist Ebbe in der Kasse fallen sie jedoch aus dem Blickfeld der Bunte-Welt-Mit-Feuerwerk-Enthusiasten. Wo setzt Du mit Deiner Arbeit an? Sind nicht wir alle die Gesellschaft, die eben jedem Menschen das Recht auf Stadt und auf Menschenwürde zugestehen müssen? Wie könnt Ihr helfen?
Gerade in den letzten zwei Jahren nehme ich verstärkt wahr, dass Kinder und Jugendliche, sobald sie sich im öffentlichen Raum bewegen, ganz oft eher als störend betrachtet werden. Da kann der Spielplatz, der Schulhof einer Schule, die Straßenecke, an der sich Jugendliche treffen, nicht weit genug weg sein von der eigenen Haustür. Aber natürlich hat ja keiner etwas gegen Kinder und Jugendliche, aber… In diesem Sinne ist wohl vielen nicht klar, dass die Stadt, der öffentliche Raum, allen gehört und jede Gruppe von Menschen, egal wie klein oder auch alt sie auch ist, ein Recht auf diese Stadt hat. Warum heißt es auch sonst “öffentlicher Raum”?
Jene Regeln, welche bestimmen, wer, wann und wie diesen Raum zu nutzen hat, stellen Erwachsene auf. Tun sie dies, um ein harmonisches Zusammenleben aller zu gewährleisten oder handeln sie weitestgehend doch nur in eigenem Interesse? Zum Glück gibt es in Leipzig zahlreiche Institutionen und Angebote, welche versuchen, Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben. Hierzu zählen u.a. das Kinderbüro, der Stadtjugendring, das Jugendparlament, aber natürlich auch die Einrichtungen, in denen sich Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit treffen.
Wenn wir einen Teil unserer BesucherInnen als “benachteiligt” bezeichnen, beziehen wir uns auf deren familiären Background, welche ihnen den Zugang zu Bildungsangeboten, dem kulturellen und sozialen Leben etc. zumindest erschwert oder gar unmöglich macht. Dem möchten wir etwas entgegensetzen. Das ist unser Anspruch! Die Bedeutung der Angebote der Kinder- und Jugendförderung für die Gewährung dieser Zugänge kann im Prinzip gar nicht hoch genug bewertet werden. Hier braucht es stabile und bedarfsgerechte Rahmenbedingungen. Auch dafür setzen wir uns ein.
Wie kam es eigentlich, dass Du diese Arbeit ergriffen hast? Es gibt ja auch Jobmöglichkeiten, da geht Mensch arbeiten, verdient einen Haufen Schotter, macht sich null Gedanken und verreist viel. Angeln ginge ja auch – warum aber die Arbeit mit Menschen und ihren Bedürfnissen? Was treibt Dich?
Ruhm, Ehre und das große Geld sind es sicherlich nicht. Dann wirst du nicht Sozialarbeiter und arbeitest jahrelang im Keller einer Schule. Darum hab ich zunächst auch versucht, Chemie zu studieren…Spaß! Als ich da aber wieder einmal abends allein mit meinen Reagenzgläsern im Labor stand, konnte ich mir plötzlich nicht mehr vorstellen, dass meine Zukunft so aussehen sollte. Ich glaube, dass mir damals zum ersten Mal so richtig bewusst geworden ist, dass ich eigentlich mit Menschen, speziell Kindern und Jugendlichen, arbeiten möchte. Glücklicherweise hab ich dies bereits im ersten Semester bemerkt…
Nachdem ich dann Anfang 1990 schon die Zulassung für Lehramt “Mathematik / Physik” in der Tasche hatte, habe ich noch im gleichen Jahr angefangen, Sozialarbeit und Sozialpädagogik zu studieren. Trotzdem vergingen noch einmal fünf Jahre Studienzeit und danach sechs Jahre in der Suchtkrankenhilfe, ehe ich beruflich “angekommen” war. Und obwohl ich mich mittlerweile manchmal frage, ob ich nicht so langsam zu alt dafür bin, kann ich mir beim besten Willen keinen anderen Job mehr vorstellen. Was gibt es auch schöneres, als seinen Arbeitstag mit Kindern und Jugendlichen zu verbringen, die zu dir kommen, weil sie sich bei dir wohlfühlen und ihr Tag dadurch besser wird?
Übrigens: den “Familienjahresurlaub” und mehr oder weniger ausgefallene Hobbys kann ich mir auch als Sozialarbeiter leisten. Aber das mit dem “sich null Gedanken machen” bekommst du in meinem Job einfach nicht hin! Würde ich aber auch nicht wollen.
Können andere Menschen Euch helfen? Wenn ja, wie?
Aktuell sind wir gerade auf der Suche nach Schränken, Regalen und Stühlen. Ansonsten freuen wir uns immer, wenn Eltern oder Anwohner einfach mal vorbei schauen und Interesse dafür zeigen, was in einem Jugendclub so tagtäglich passiert. Dabei kommt man ins Gespräch und das eine oder andere ergibt sich vielleicht. Am Ende haben alle gewonnen!
Danke, Holger. Und weiterhin der Humanität zu ihrem Recht verhelfen. Anders wäre alles nichts!
Das kann man so stehen lassen, Volly!
Keine Kommentare bisher