Wenn laut grölende Festivalkonsumisten irgendwo auftauchen oder irgendwelche Irren ganz besonders Irres tun oder reden, dann stürzt sich die mediale Aufmerksamkeit ausgehungert drauf und frisst alle Inhalte. Deshalb interviewt Tanner ja so gern andere Menschen, die leisen Handelnden, die Machenden und Verändernden. Barbara Röhner und ihre Freunde von der Bürgerinitiative Kleinzschocher machen, wie der große Rainer Müller so gern sagt: Grabe, wo Du stehst! Und schau, was Du tun kannst.
Einen wundervollen Tag, Frau Barbara Röhner, schön mit Dir ins Gespräch zu kommen. Du bist Teil der Bürgerinitiative Kleinzschocher, die am 30. August zum Bürgerfest einlädt. Auf dem Vorplatz der Taborkirche geht es 15 Uhr los. Kannst Du uns etwas zum Programm erzählen?
Da das Fest nachmittags startet, gibt es erst einmal Kaffee und Kuchen. Wer aber schon mit gefülltem Bauch kommt, kann sich gleich von zahlreichen Angeboten verlocken lassen. Die reichen vom Ton- und Stempelbau, einem Rätselspiel, Geschichten für die Kleinen, Malmöglichkeiten, Kreatives mit Kräutern bis hin zur Führung zum Rittergut, Schloss und Schlosspark um 16 Uhr und Turmbesteigung der Taborkirche um 17 Uhr.
18 Uhr gibt es ja die Bauernkantate von Bach. Wer macht es denn? Und warum gerade dort?
Für die Aufführung der Bauernkantate konnten wir gleich Jeroen Finke begeistern. Er hat die Musiker zusammengetrommelt und mit Andreas Mitschke als Kantor der Taborkirche einen erfahrenen musikalischen Leiter gewinnen können. Alle Mitwirkenden sind übrigens unter http://buergerinitiativekleinzschocher.blogspot.de verzeichnet. Dort findet man zugleich auch Noten und Text des letzten Satzes der Bauernkantate, der zum Schluss mit dem Publikum gemeinsam gesungen werden soll. Musik und Text sind einfach so großartig, eigentlich müsste man dazu auch noch tanzen …
Ja und warum gerade dort in der Taborkirche am 30. August? Ganz einfach, weil vis-á-vis der heutigen Taborkirche auf dem Rittergutsgelände vor genau 273 Jahren diese Kantate uraufgeführt wurde. Und zwar zur Huldigung des Guts- und kurfürstlich-sächsischen Kammerherrn Carl Heinrich von Dieskau zu seinem 36. Geburtstag von keinem geringeren als Johann Sebastian Bach.
Eure Bürgerinitiative – wer ist denn da genau involviert?
Also wer zum Fest kommt, kann schon die meisten Bürgerinitiativler persönlich kennenlernen. Viele von uns wohnen oder arbeiten in Kleinzschocher oder fühlen sich mit dem Stadtteil eng verbunden. Einige kennen Kleinzschocher noch aus ihrer Kindheit, andere sind erst vor kurzem hinzugezogen. So verschieden wir herkunfts- und altersmäßig aber auch sind, scheint doch der Wunsch, gemeinsam etwas für die Allgemeinheit zu machen, uns zu verbinden.
Was habt Ihr denn noch so vor? Bürgerfest ist ja schon mal gut – aber nur Bürgerfest ist eben auch etwas wenig. Erzähl doch mal bitte.
Ursprünglich haben wir uns ja aus einer Veranstaltung zur Straßensanierung zusammengefunden. Demzufolge sind wir alle an einer verbesserten Verkehrssituation in Kleinzschocher interessiert. Die Dieskaustraße samt Parallel- und Nebenstraßen ist einfach eine Katastrophe. Hier gibt es keinen einzigen Fahrradweg. Das wollen wir ändern.
Dann gibt es hier einfach zu viele Müll- und Dreckecken, wofür sich keiner verantwortlich fühlt. Auch hier gibt es großen Handlungsbedarf. Gerade der Verkehrsknotenpunkt “Adler” als einstiges Zentrum der Gastwirtschaft Kleinzschocher verwahrlost zusehends. Dazu gibt es gerade Vorschläge aus der Bürgerschaft, wozu ein Projekt der Oberschule am Adler, der IG-Buch-Kleinzschocher und der Kunstverein ars avanti e. V. aufgerufen hat. Deren Ergebnisse sind übrigens noch bis zum September im Stadtteilladen des Leipziger Westens zu sehen und am 3. September lädt auf Initiative von Annelis Tienelt zu diesem Thema das ASW im Technischen Rathaus um 14 Uhr zu einer Gesprächsrunde.
Des Weiteren liegt uns der Erhalt von Pumpen, Brunnen und Telefonhäuschen am Herzen. Letzteres eventuell als Tauschbörse für Bücher oder als Stadtteil-Infohäuschen, wenn das Stündlein der Telekommunikation geschlagen haben sollte. Es gäbe noch mehr aufzuzählen, aber das sollte man sich dann doch mal lieber vor Ort anhören. Wir treffen uns jeden ersten Donnerstag des Monats meist um 16:30 Uhr in der Dieskaustraße 63. Alle interessierten Leute sind herzlich eingeladen, einfach mal vorbeizukommen. Der genaue Termin steht auch immer unter der oben genannten Internetadresse.
Du selber hängst ja mit Deinem Mann in der Alten Handelsschule drin. Kannst Du den Leserschaften, die noch nie davon gehört haben, ein bisschen etwas über dieses Projekt vorschwärmen? Wer ist im Boot, welche Ausrichtung haben die Segel, wer rudert, wer lenkt und wer spuckt nur über die Reling?
Oh je, das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Die alte Handelsschule ist heute ein Ort, indem vorwiegend Künstler und Künstlerinnen noch bezahlbaren Arbeitsraum finden. Mit der Schließung zahlreicher Atelierhäuser ist die Situation für Leipziger Künstler schon ziemlich prekär geworden. Hier bauen wir an einer Stätte, wo Kunst und Kultur wachsen kann und auch in die Umgebung ausstrahlen soll. Dazu dienen u. a. regelmäßige Ausstellungen in der großen Aula, am 5. 9. um 17 Uhr sei hiermit schon mal gleich zur nächsten Ausstellungseröffnung mit Bildern und Objekten von Aki Benemann eingeladen. Auch entsteht in einer ehemaligen Turnhalle derzeit ein Gemeinschaftsatelier, das sich an Veranstaltungen wie den 14. Offenen Ateliers in ganz Leipzig am 11. 10. 2015 beteiligen wird. Der Kunstraum Otto Herz im Obergeschoss bietet nicht nur einen wunderbaren Blick über Leipzig sondern lässt Kunst und Bildung aufeinanderprallen.
Bildung steht auch bei der hier beherbergten Leipzig School of Design an oberster Stelle. Hier werden die Basics für Design und Kunst vermittelt. Zudem beherbergt die Alte Handelsschule eine kleine, im Aufbau befindliche, Präsenzbibliothek mit Schwerpunkt bildende Kunst und Geschichte. In einer Autorenlesung für die ganze Familie zum bundesweiten Tag der Kreativwirtschaft am 4. 9. wird diese erstmals der Öffentlichkeit zugänglich sein. Fast hätte ich noch unseren kleinen Chor vergessen, der seit einigen Monaten immer montags in der Aula trällert.
Dieses Konglomerat aus Kunst, Kultur und Bildung funktioniert jedoch nur, wenn alle in die gemeinsame Richtung segeln. Aber ich denke, das klappt schon ganz prima.
Was geschieht eigentlich beim Bürgerfest zwischen den Programmpunkten noch?
Ich hoffe, es entsteht eine ganz entspannte Atmosphäre zum gegenseitigen Kennenlernen, Diskutieren oder einfach nur Genießen.
Ich denke, wir sehen uns am 30.08. vor der Taborkirche – und Danke für Deine Antworten.
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