Es ist ein hochemotionales Thema, wenn Menschen sich selbst umbringen. Gerade dann, wenn Angehörige betroffen sind. Seit Jahren gibt es intensive Präventionsprogramme, die wesentlich dazu beigetragen haben, die Suizidraten in Deutschland bis 2008 deutlich zu senken. Doch seitdem verändern sich die Raten kaum noch. Und Sachsen bleibt weiterhin das Bundesland mit der zweithöchsten Suizidrate.
Für Volkmar Zschocke, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im sächsischen Landtag, folgt daraus natürlich eine wichtige Frage: Erreichen die Präventionsprogramme überhaupt die Menschen, die besonders betroffen sind? Denn auch wenn es in allen Lebensaltern Menschen gibt, die eine Selbsttötung versuchen, steigt die Rate mit dem Lebensalter deutlich an. Was natürlich die Vermutung nahelegt, dass der Suizidversuch aufs engste verbunden ist mit dem Sinn und der Erfülltheit des Lebens.
Nach wie vor ist die Suizidrate in Sachsen hoch. Im Jahr 2013 ist sie gegenüber dem Vorjahr leicht angestiegen und war damit nach der Rate von Sachsen-Anhalt die zweithöchste im Bundesvergleich. So geht es aus der Antwort von Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) auf die Antwort des Abgeordneten Volkmar Zschocke, Faktionsvorsitzender von Bündnis 90 / Die Grünen im Sächsischen Landtag, zu Suizidraten und Suizidpräventionsmaßnahmen in Sachsen hervor (Drs. 6/2027). Zahlen für das Jahr 2014 zu Suiziden in Sachsen liegen noch nicht vor.
“Im Jahr 2013 haben sich 664 Menschen in Sachsen das Leben genommen. Nach einem leichten Rückgang 2012 wurde leider wieder das Niveau von 2011 erreicht”, zeigt sich Zschocke besorgt. “Es fällt auf, dass die Suizidfälle im Alter deutlich zunehmen und mit Renteneintritt nochmals ansteigen. Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen Suizidgefährdung und Alter. Wir brauchen deshalb mehr Aufmerksamkeit für alte Menschen, die nicht mehr leben wollen. Suizidprävention darf nicht bei Krankheit und Alter enden.”
Das Problem formuliert auch die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention:
“Der Suizid wird zunehmend ein Phänomen des höheren Lebensalters. Im Jahre 2013 betrug das durchschnittliche Lebensalter eines durch Suizid verstorbenen Menschen 57,6 Jahre. Das durchschnittliche Sterbealter steigt, 1998 lag es noch bei 53,2 Lebensjahren. Besonders bei Männern stieg es von 51,6 (1998) auf 56,7 Lebensjahre (2013). Bei Frauen stieg es im gleichen Zeitraum von 57,6 auf 59,4 Lebensjahre.”
Was natürlich noch ganz andere Fragen aufwirft in einer Gesellschaft, in der die Menschen immer älter werden und immer längere Zeit in einem Ruhestand verbringen, der nicht immer schön ist, der für viele Menschen auch deutliche gesundheitliche Einbußen, Einkommenseinbußen und Verluste an Lebensqualität bedeutet. Auch viele Selbstmorde jüngerer Menschen haben ja so profane Gründe und gehen mit dem Erlebnis auswegloser Lebenszustände einher. Die selbst durchaus Auslöser psychischer Probleme sein können. Sachsen-Anhalt und Sachsen gehören andererseits schon seit Jahrzehnten zu den Bundesländern mit den höchsten Selbstmordraten.
“Trotz einer Vielzahl präventiver Maßnahmen, zum Beispiel an Schulen, in der Jugendhilfe und in stationären Pflegeeinrichtung war die Suizidrate in Sachsen 2013 nach Angaben des Nationalen Suizid-Präventionsprogramms im Bundesvergleich am zweithöchsten”, kommentiert Zschocke den Befund. “Selbsttötung ist immer noch ein tabuisiertes Thema, Suizidgefährdung wird oft nicht erkannt. Die Sozialministerin muss kritisch prüfen, ob die Präventionsangebote in Sachsen tatsächlich die Menschen erreichen, die ein erhöhtes Suizidrisiko haben.”
Was ist denn eigentlich ein erfüllter Lebensabend?
Vielleicht aber ist auch eine gesellschaftliche Debatte überfällig über die Sinngebung im Alter, wenn eine Gesellschaft Menschen nach wie vor frühzeitig aus dem Arbeitsleben entlässt – manche freiwillig, viele unfreiwillig – aber eigentlich keine sinnvollen Strukturen geschaffen hat, älteren Menschen weiterhin die aktive Beteiligung an gesellschaftlichen Prozessen zu ermöglichen. Denn wenn wir ehrlich sind, gehört die Sinnstiftung durch Arbeit ganz elementar zum Selbstbild des heutigen Bundesbürgers. Arbeit schafft Strukturen und Wertschätzung. Und selbst wenn man nur ein paar Minuten darüber nachdenkt, wird einem die Lücke bewusst, die entsteht, wenn Menschen ohne gestalteten Ãœbergang mit 60 oder 65 einfach “in den Ruhestand” gehen – in ein Meer von Tagen unstrukturierter Zeit, was in der Regel gleichzeitig mit dem Verlust eines der wichtigsten Lebenskreise einhergeht, dem Kreis der Kollegen. Und Männer stürzen sich nun einmal – ganz anders als Frauen – lebenslang in ihre Arbeit, stellen das Prestige ihres Jobs oft auch weit über das Prestige ihres Daseins als Familienmensch. Der Single-Faktor verschärft das Ganze noch, denn wenn Alleinstehende in den Ruhestand gehen, verlieren sie in der Regel fast alles, was vorher für sie Gesellschaft war.
Eigentlich eine gewaltige gesellschaftliche Arbeit, die da ungetan geblieben ist. Und die beginnen muss mit der Frage: Was ist denn eigentlich ein erfüllter Lebensabend?
Denkt man darüber ein Weilchen nach, werden die steil ansteigenden Suizidkurven bei den über 60-Jährigen sehr plausibel.
Was tun, fragte sich auch Zschocke.
“Auch die Wartezeit auf einen Ersttermin beim Psychotherapeuten sollte das Sozialministerium erfassen. Dazu können derzeit keine aktuellen Angaben gemacht werden”, kritisiert der Grünen-Abgeordnete. “Eine Möglichkeit der Erfassung wäre die ‘Zentrale Servicestelle für Facharzttermine’ der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS). Hier sollte erfasst werden, wie schnell die Vermittlung der Anfragen im Bereich Psychotherapie gelingt.”
Es gibt 2 Kommentare
Ja Monika, da stimmt was nicht, allerdings nur aus der Sicht der vernünftigen Menschen.
Aus der Sicht eines Gesundheitsökonomen und die Gesundheit ist längst ökonomisiert durch und durch, ist alles gut wie es ist.
Jeder weitere Psychotherapeuten könnte sicher dem wachsenden Bedarf entgegen wirken und dem Menschen, der Gesellschaft nützen, doch wer trägt die Kosten?
Jeder fehlende Psychotherapeuten ist so gesehen ein guter Psychotherapeuten, könnte man zynisch meinen. Traurig aber wahr.
Ãœbrigens gibt es derer Berufsgruppen im Gesundheitswesen viele, zu viele.
Osteopath z.B. ist ein solcher Beruf. Sie helfen erfolgreich wo Physiotherapie endet, gilt offiziell jedoch noch als „Alternativmedizin“ und wir leben leider in einem Land welches alternativlos aufs Meer schaut und denkt, am Horizon höre das Meer auf, denn schließlich kann man dort ja kein Wasser mehr sehen oder so 😉
Es gibt lange Wartezeiten auf einen Termin beim Psychotherapeuten, aber neu ausgebildete Psychotherapeuten bekommen keine Zulassung und müssen ihren Unterhalt mit Gelegenheitsjobs verdienen.
Da stimmt doch was nicht? Oder?