„Interaction Leipzig“ möchte auf Augenhöhe gemeinsam mit Flüchtlingen zusammenarbeiten, Projekte gestalten und dies nicht im Sinne von einer einfachen Hilfestellung. Einen Vorgeschmack bekamen die Besucher des Penckstraßenfests am vergangenen Freitag. An der Gestaltung wirkten ebenfalls viele Flüchtlinge mit, unter anderem aus der angrenzenden Asylunterkunft in der Torgauer Straße 290.
Ein paar Menschen steigen an der Haltestelle „Arcus Haus“ aus der Bahn und laufen eine kleine Straße entlang. Es ist ein abgelegenes Gebiet. Gerade einmal 100 Meter entfernt hat der Versandhändler Amazon eine große Halle. Einige Schilder an der Ampelkreuzung weisen auf das „Penckstraßenfest“ hin. Direkt daneben ist die Massenflüchtlingsunterkunft Torgauer Straße 290. Von den alten, zurzeit in Sanierung befindlichen, Wohnblöcken sieht man nur die obersten Teile der Fassade und ein paar Baugerüste hervorragen.
Auf dem Straßenfest bieten mehrere kleine Stände Essen an, Kinder können sich die Gesichter bemalen lassen. Mittendrin sitzt Roman Grabolle am Stand vom “KunZstoffe e.V.” an dem Kinder immer wieder die Plätze tauschen. „Basteln mit Stoffen, die als Müll erklärt wurden“, fasst er die Aktivitäten seines Vereins zusammen.
Aus alten Fahrradschläuchen werden kleine Taschen mit ein paar Knöpfen gebastelt. Ein Mädchen fädelt ein paar Perlen an einem Plastikfaden auf. Später lässt sich ein älterer Junge für die Bastelei begeistern, obwohl er sich zunächst etwas zurückhaltend zeigt. „Alles erklärt sich von selbst“, erklärt das Vereinsmitglied. Von großartigen Erklärungen oder Anleitungen sieht man am Stand nichts. „Sie probieren aus und sie wissen was sie wollen.“ Dafür braucht es auch nicht viele Worte. Eine Frau am Stand zeigt ein paar Handgriffe und schon geht es bei den Kindern los. „Es entsteht durchs machen.“
„Wir haben vom Straßenfest gelesen“, erzählt Grabolle. „In unserer Umgebung ist ein Haus für Geflüchtete“, da habe man sich gedacht, dass man hier mitmachen könnte. „Vielleicht ist es einfach nur Zerstreuung, Spaß oder Ablenkung.“ Ein ganz normales Straßenfest eben. Für die Flüchtlinge gebe es hier kaum Abwechselung, schätzt er ein. „Die Torgauer Straße ist am Rande des Nichts.“
Vom Raum zur Sprache
Ein paar Meter weiter vom Stand sprechen sich mehrere Frauen über die Besetzung der Bar ab. Wer kann wann den Limo-Verkauf übernehmen, stellt sich die Frage. Mit ein paar Bröckchen Deutsch geben zwei Frauen mit Kopftüchern Bescheid, wer am Abend übernehmen will.
Verständigung – das wird beim Initiator „Interaction Leipzig“ groß geschrieben, auch wenn es manchmal schwierig ist, gibt Julia zu. Sie, Lilly und Alfred gehören zu dem Verein, der sich gerade in Gründung befindet.
Alfred selbst kommt aus Syrien und ist Architekt. „Es ist sehr gut für mich und die Flüchtlinge“, charakterisiert er das Projekt. Vor circa sieben Monaten habe man sich das erste Mal getroffen, viel Hilfe erfahren und seit dem arbeite man zusammen. „Wir machen alles zusammen.“
„In unserer Gruppe sind Menschen mit und ohne Fluchtbiographien“, stellt Julia die Gruppe vor. Bei der gemeinsamen Arbeit ist natürlich die Sprache sehr entscheidend. Französisch, Englisch und Arabisch wird unter anderem gesprochen, erzählen die Drei.
Genauso vielfältig wie die Sprache setzt sich auch der bald entstehende Verein zusammen. Berufstätige, Flüchtlinge, Ältere und Jüngere, Personen mit und ohne Erfahrung in ehrenamtlicher Arbeit sind hier involviert.
Der Verein soll dabei nicht die klassische Flüchtlingsarbeit übernehmen. „Es geht darum, die Dichotomie zwischen Helfer und Geholfenen aufzuheben“, hebt Lilly hervor. Dafür müssen natürlich auch Veranstaltungskonzepte vorhanden sein, die man gemeinsam erarbeiten will. Auf gleicher Augenhöhe versteht sich, darauf wird in der Gruppe Wert gelegt.
„Viele wollen sich engagieren, aber wissen nicht wie sie sich engagieren sollen“, verweist Julia auf ein grundlegendes Problem. Eine Webplattform soll später die Vermittlung übernehmen, über die Geflüchtete und Nicht-Geflüchtete Workshops, Veranstaltungen oder simple Begegnungen initiieren. Interessierte können darüber dann gewonnen werden. Für die Umsetzung habe man bereits IT-Fachleute mit und ohne Fluchtbiographie in der eigenen Gruppe, die bei der Umsetzung mit anpacken, freut sich Julia.
Dass nicht nur die Sprache eine Barriere ist, das wissen auch die Veranstalter. Ziel von „Interaction Leipzig“ ist es, Kontaktbarrieren abzubauen. Deshalb findet das Straßenfest auch bei der Torgauer Straße 290 statt. „Wahrscheinlich waren 90 Prozent noch nie hier“, vermutet Lilly über die Besucher.
Langsam trudeln immer mehr Besucher ein. Flüchtlinge sind hier nicht nur Besucher, sondern gestalten aktiv mit. Über die kommenden Projekte von „Interaction Leipzig“ kann man zumindest gespannt sein. Vielleicht ist es bei solchen Projekten wie beim Basteln: Es geht darum, es einfach zu machen.
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