Leipzigs Lichtfest ist berühmt. In Israel, in Stuttgart, in Karlsruhe - selbst im durch sein Lichterfest bekannten Lyon schaut man mit Hochachtung nach Leipzig. Zumindest auf das, was Jürgen Meier hier seit acht Jahren anstellt. Er ist der künstlerische Kopf hinter dem, was seitdem am 9. Oktober in Leipzigs Innenstadt passiert. Er besorgt - wenn es mal wieder wie 2009 und 2014 um den Ring geht - die Installations-Künstler, Performance-Artisten und Musiker.

Die verwandeln den Leipziger Ring in ein rundes Kunst-Happening. Er besorgt die Videos, die auf dem Augustusplatz die Geschichte der osteuropäischen Revolutionen lebendig werden lassen. Er holt die Tänzer, Sänger, Schauspieler und Sprecher ins Boot, baut die Choreographie des Abends und sagt dann bei einer Pressekonferenz beiläufig Sätze wie diesen: “Erinnerung funktioniert nur durch Inspiration.”

Das hätte er am Donnerstagmittag eigentlich gleich sagen können. Dann hätte man sich einen guten Teil der Pressekonferenz zum Leipziger Lichtfest am 9. Oktober 2015 sparen können. Die ganzen Zahlen zu Artikeln in Zeitungen, Sendebeiträgen, Internet-Reichweite, all dem technischen Marketing-Kram, den LTM-Chef Volker Bremer immer parat hat, wenn es darum geht, das einzigartige Leipziger Fest am 9. Oktober irgendwie auch gegenüber den Geldgebern zu begründen – den Leipziger Steuerzahlern zum Beispiel, die jedes Jahr 500.000 Euro beisteuern, damit das Fest stattfinden kann. Aber auch den Sponsoren gegenüber, die das Budget aufrunden oder einfach irgendwie huckepack mitschwimmen.

Auf 5 Millionen Euro schätzt Bremer die Werbewirkung der Presseberichterstattung zum Lichtfest 2014. Wenn man das recht bedenkt, sind Journalisten also die größten Sponsoren dieses Festes. Man vergisst so was ja leicht. Dass es wahrgenommen wird und (vom LTM geschätzte) 200.000 Teilnehmer auf den Augustusplatz und den City-Ring spülte, hat mit Medienberichterstattung zu tun. Dieser Selbstverständlichkeit, die auch Touristiker gern hinnehmen, als würden Journalisten nur Brot fressen.

Danke. Bitte. Weiter so.

Fest steht: es wird weiter gefeiert. Auch am nächsten Leipziger Feiertag am 9. Oktober gibt es wieder ein Lichtfest, wieder ein etwas kleineres auf dem Augustusplatz. Mit bis zu 40.000 Besuchern rechnet Bremer. Diesmal beginnt ein neuer Zyklus. Von 2010 bis 2014 standen die großen revolutionären Bewegungen in Osteuropa im Mittelpunkt: Polen, Tschechoslowakei, Ungarn.

Welche Werte haben wir eigentlich?

Wie nun weiter, fragte sich die Initiativgruppe “Herbst ’89”, die sich die Inhalte der Lichtfeste ausdenken muss. Man einigte sich darauf, bis 2019 einen neuen Zyklus zu machen. Diesmal soll es um Werte gehen: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit usw. Die ganzen Träume des revolutionären Bürgers, die immer aktuell werden, wenn man ein altes Regime nicht mehr aushält. So wie 1989, als die Leipziger für Meinungs-, Presse- und Reisefreiheit auf die Straße gingen.

Oberbürgermeister Burkhard Jung dazu: „Unser diesjähriges Motto ‚Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit‘ ist älter als 200 Jahre und hat doch nichts von seiner Bedeutung verloren. Die ‚Freiheit‘ steht zum Herbst ’89 natürlich im Zentrum. Aber wenn wir heute über die Grenzen Europas schauen und das Elend zehntausender Flüchtlinge sehen, dann gewinnt ganz zwingend auch die ‚Brüderlichkeit‘ an Gewicht. Im Flüchtenden den Bruder oder die Schwester sehen – das soll im Herbst dieses Jahres ganz besonders im Fokus stehen.“

Kleine Korrektur: Das Motto lautet “Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit?” Das Fragezeichen ist wichtig. Denn alle Freiheitswerte stehen in der Diskussion. Und zur Disposition. Und nicht nur in den Diktaturen ferner Länder, sondern auch mitten in Europa – man schaue nur nach Ungarn, wo Pressefreiheit auf der Abschussliste steht, man horche in die Diskussion um Überwachung und Ausspähung, Vorratsdatenspeicherung … und das ist nicht irgendwo, sondern in Deutschland Thema, von Politikern, die sich sonst gern für Freiheit feiern lassen, vorgebracht, als könne man nur so die Demokratie retten – indem man ihre Werte abschafft.

Freiheit ist kein Geschenk

Es ist vielleicht eine der wichtigsten Lehren von 1989, dass die bürgerlichen Freiheiten kein Geschenk sind und nicht nur in Diktaturen in Gefahr sind.

Marit Schulz, die bei der Leipzig Tourismus und Marketing (LTM) GmbH die Organisation des  Lichtfestes steuert, betont eine wichtige Frage: “Wie steht es um die Zivilgesellschaft heute?”

Das solle mit den Leipziger Lichtfesten thematisiert und diskutiert werden, ergänzt Burkhard Jung.

Etwas verschwiemelt aus der Pressemitteilung: “Die Identität des Einzelnen im einst geteilten und seit 25 Jahren wieder geeinten Deutschland ist gedanklicher Ausgangspunkt des Abends.”

Meine Freiheit, nicht deine Freiheit?

Aber um Identität geht es. Und Identitäten summieren sich aus Freiheiten – Freiheiten zum Denken, Handeln, Sichbewegen, Arbeiten, Lieben, Reisen, Heimischwerden.

Und – ein Name, der am Donnerstag bei der Vorstellung des Programms erstaunlicherweise gar nicht fiel: Rosa Luxemburgs gültige Feststellung gehört hierher: “Freiheit ist immer auch die Freiheit des anderen.” Ein Spruch, den einige wütende Sachsen heute schon wieder vergessen haben.

Aber damit fängt es an: Frei ist nur, wer auch fähig ist, anderen Menschen ihr Freisein zuzugestehen.

Die Zeit hat Diskussionen nötig, nicht nur Dialoge.

Was passiert nun am 9. Oktober 2015?

Die Leipzig Tourismus und Marketing GmbH und der künstlerische Leiter des Lichtfestes, Jürgen Meier, haben für die Umsetzung prominente Mitstreiter gewonnen: Der Schauspieler Florian Lukas (unter anderem bekannt aus „Weissensee“ und „Grand Budapest Hotel“) schlüpft stellvertretend in die Rolle derer, die zurückblicken. Vor dem Hintergrund historischen Ton- und Bildmaterials liest er literarische Sequenzen des Abends vor. Aktuelle Bezüge dazu stellen die von der Journalistin und TV-Moderatorin Pinar Atalay vorgetragenen Nachrichten her. Dafür wird auf der geplanten Bühne ein Fernsehstudio aufgebaut. Für die Bühne gibt es schon einen schönen Entwurf – die Ausschreibung aber läuft noch. Noch weiß die LTM also nicht, wer die Bühne baut.

Die soll diesmal mitten  auf dem Augustusplatz stehen, der sowieso schon etwas eingeschränkt ist, denn auf der Nordseite baut die Oper ja ihr Spiegelzelt auf, in dem sie spielt, so lange das große Opernhaus saniert wird. Der Platz wird also noch etwas schmaler. Die Bühne wird dafür breit. Es wird es eine riesige Videowand gaben, auf der die Videosequenzen des Abends gezeigt werden, aber auch die Live-Bilder von Florian Lukas, Pinar Atalay und dem Chor der Oper Leipzig.

Erste Visualisierung: So könnte die Bühne zum Lichtfest 2015 aussehen. Foto: Ralf Julke
Erste Visualisierung: So könnte die Bühne zum Lichtfest 2015 aussehen. Foto: Ralf Julke

Der wird der eigentliche Star des Abends, denn unter Leitung von Alessandro Zuppardo wird er als musikalisches „Wir“ die Gesellschaft repräsentieren und ein Gegengewicht zu persönlicher Rückschau und schnelllebigen Nachrichten schaffen. Man merkt die Intention von Jürgen Meier. Und man merkt, dass er im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise seinen Euripidus wieder gelesen hat: Sprecher und Chor agieren vor Leinwänden, auf die historische Szenen, Live-Bilder vom Augustusplatz und aktuelle Nachrichtenbeiträge projiziert werden. Im Zusammen- und Wechselspiel von Text, Bild und Musik entsteht ein spannungsreiches Panorama.

Vergessliche Demokratie?

Oder eben mit den Worten von Jürgen Meier: “Erinnerung funktioniert nur durch Inspiration.”

Sage das mal einer dieser Troika-Truppe.

Und sage nur einer, Demokratie dürfe vergesslich sein.

Obwohl: Darüber wird auch in Leipzig gern diskutiert. Zu jedem einzelnen Lichtfest: Ist das die richtige Art von Erinnerung oder nur reines Marketing? Marketing ist doch nichts Schlechtes, sagt Burkhard Jung. Und es werde außerhalb Leipzigs durchaus gewürdigt, dass die Leipziger ihr Lichtfest thematisch untersetzt haben. Und: wenige Lichtfeste in der Welt sind so mit der Erinnerung an konkrete Ereignisse vor Ort verwoben.

Die irgendwie weiterleben und weiterwirken.

“70.000 der Gäste von 2014 kamen von außerhalb”, erzählt Volker Bremer aus seiner Statistik. “10.000 kamen aus dem Ausland.”

30 Prozent der Festteilnehmer waren so jung, dass sie das Jahr 1989 gar nicht bewusst miterlebt haben. Es ist also auch eine Art Vergewisserung in der Geschichte. Mit künstlerischen Angeboten, die zum Denken anregen können. Aber nicht müssen. Schon gar nicht so, dass hinterher alle dieselbe Meinung haben. Was dann das Fragezeichen noch einmal unterstreicht, denn Freiheit und Gleichheit stehen auch heute genauso unter Beschuss wie dermaleinst. Und Brüderlichkeit hört bei manchen Zeitgenossen schon bei der Hautfarbe auf – oder beim Geschlecht – die Schwesterlichkeit fehlt hier schon seit über 200 Jahren.

Und wer ehrlich ist, der weiß auch, dass 1989 nicht das Ende war, sondern der Anfang.

Das Begleitprogramm:

Um 17:00 Uhr gibt es wieder das traditionelle Leipziger Friedensgebet.

Um 18:30 Uhr gibt es die “Rede zur Demokratie” in der Nikolaikirche.

Um 20:00 Uhr beginnt das einstündige Programm zum Lichtfest auf dem Augustusplatz. Auch wieder mit 10.000 Kerzen, die von den Teilnehmern angezündet werden können.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar