Leipzig ist deshalb nicht Dresden, weil es sich glücklicherweise nicht völlig losgelöst versteht. So kommen Menschen her und gehen wieder weg. Oder sie lebten hier und gingen weg und kommen kurz mal wieder nach Leipzig, weil hier der Fachtag Literatur des Sächsischen Literaturrats stattfindet. So geschehen mit Fabian Plank, den Tanner schon Jahre kannte und Jahre vermisste. Nun trafen sie wieder aufeinander - und Fabian konnte erzählen vom Zustand der Kultur in anderen Städten.
Hallo Fabian Plank. Wir treffen uns hier beim Fachtag Literatur – ausgerichtet vom Sächsischen Literaturrat – im Deutschen Literaturinstitut zu Leipzig. Dabei hatten wir uns jahrelang aus den Augen verloren. Was treibt Dich denn wieder nach Leipzig und was ist das für ein Flugblatt in Deinen Händen?
Ja, ich war lange nicht mehr in der Heldenstadt, mich hat es ins Grenzgebiet verschlagen, nach Görlitz-Zgorzelec an der Neiße. Da begann ich 2004 bei der Kulturhauptstadtbewerbung zu arbeiten und bin dann nach kurzen Gastspielen in Kempten, Pécs und Kirschau wieder dorthin gezogen. Gerade bin ich beim ideenfluß e.V., einem Görlitzer Verein der recht rege ist, unter anderem mit den KunzTagen. Die werden von der Kulturstiftung des Freistaates gefördert und so bekam ich auch eine Einladung, hier am Fachtag Literatur teilzunehmen. Die Gelegenheit habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen, und jetzt bin ich hier, zusammen mit dem Programmheft unserer ersten KunzTage-Veranstaltung vom Mai.
Du bist der Projektkoordinator der KunzTage in Görlitz. Um was geht es bei den KunzTagen?
Wenn ich heute jemanden frage, ob er von Ludwig Kunz und seinen Flugblättern “Die Lebenden” schon mal etwas gehört hat, dann höre ich meistens “Ludwig Who?”. Dabei war der gute Mann – der mit 23 Jahren begann, seine Flugblätter “Die Lebenden” in Görlitz herauszugeben – ein Wegbereiter der neuen Sachlichkeit und einer der Ersten, die Texte von Alfred Döblin oder Robert Musil veröffentlicht haben.
Die Flugblätter liegen heute in der postexpressionistischen Sammlung des MoMa in New York, Kunz starb im Exil in den Niederlanden. Und auch dort hat er Wichtiges geleistet: “De Kim”, sein dortiges Literaturmagazin, war wegweisend, was die Veröffentlichung afroamerikanischer Autoren anbelangt. Wir wollen Ludwig Kunz wieder ins Gedächtnis rufen und auch sein Vermächtnis fortführen. Deshalb haben wir die Programmhefte auch so aufgemacht wie die damaligen Flugblätter und stellen junge Künstler und Literaten aus Görlitz vor. Dabei fällt die Auswahl schwer, denn Görlitz hat eine unglaublich lebendige, kreative Szene. Schlussendlich wollen wir mit den KunzTagen auch Literatur in die Bevölkerung tragen, das machen wir mittels eines Künstlerfrühstücks mit Open Stage.
Im Juli begeht ihr das zweite Veranstaltungswochenende – es folgen noch im September und November zwei Wochenenden mit KunZtage-Veranstaltungen. Kannst Du uns bitte etwas zu dem Juli-Wochenende erzählen, wann, wer, was und wieso???
Am 11. Juli werden wir im Barockhaus in Görlitz sein, am Nachmittag um 15:00 Uhr wird es dort einen Vortrag zu Ludwig Kunz’ Wirken und Leben geben. Am Abend geht es dann in das Literaturhaus in der Alten Synagoge, wo wir uns mit einer Lesung und Diskussion mit dem Thema “Der Übersetzer als Brückenbauer in Wort und Schrift” befassen. Am Sonntag, den 12. Juli, gibt es dann wieder in der Alten Synagoge einen Brunch mit Open Stage. Es sind also alle Literaten, Dichter und Geschichtenerzähler eingeladen, ihre Werke vorzutragen. Honorar wird es dafür zwar nicht geben, aber lecker Frühstücksbuffet!
Du bist – das hab ich im Netz recherchiert – auch beim Kondensator Magazin beschäftigt. Was ist das denn für ein Magazin? Mein Abiturwissen Physik gibt folgende Erläuterung: Kondensatoren sind passive elektrische Bauelemente mit der Fähigkeit, elektrische Ladung und damit zusammenhängend, Energie zu speichern. Wer interessiert sich denn dafür? Ist eine an Kondensatoren interessierte Zielgruppe nicht recht klein um dafür ein extra Magazin herauszugeben?
Das Internet vergisst nichts… Der Name des Magazins rührt aus dem Görlitzer Kondensatorenwerk, einer Perle der Industriearchitektur, direkt an der Neiße. Leider verfällt das Gebäude gerade und wir wollten darauf aufmerksam machen, dass man das Gebäude wieder ordentlich nutzen sollte. Während der Kulturhauptstadtbewerbung war das Objekt fest eingeplant als Literaturhaus, seitdem hört man immer mal wieder von Plänen etwas zu tun, aber es ergibt sich nichts Konkretes. Das Magazin hat sich leider auch nie wirklich ergeben, aber es war ein Versuch, die Görlitzer und Zgorzelecer “Szene” zu kartographieren und vorzustellen. Im Grunde genommen Aufbauarbeit, und der Versuch, den Kreativen im Dreiländereck eine Stimme zu geben. Der erste Versuch ist grandios danebengegangen, aber wir bauen weiter.
Du hast auch an “Vagabond Stories” von Christine Comeau aus Kanada teilgenommen. Performance in Kunst in Görlitz? Funktioniert das? Der Volksmund sieht ja in Görlitz eher Seniorenanstalten, Warenhäuser mit rassistischen Besitzern und Dauerangst vor polnischen Entwendern. Liegt der Volksmund da gar falsch? Ist Görlitz hip? Und was für Stories waren das da aus Kanada (das reimt sich und alles, was sich reimt ist gut, sagte schon einst ein kleiner Kobold aus München)?
Görlitz ist eine ziemlich ambivalente Stadt. Was der Volksmund da so von sich gibt, ist zu großen Teilen wahr, schau dir nur mal an, was in Görlitzer Facebookgruppen diskutiert wird. Andererseits stimmt auch der Satz von Johannes Wüsten: “Görlitz besaß von jeher etwas, das sich weder erwerben noch beschreiben lässt: Jene Atmosphäre, in welcher der Künstler sich wohlfühlt.” Du hast hier – und ich sage das noch mal – eine unglaublich lebendige kreative Szene. Das beste Beispiel dafür ist das sogenannte “Bone-Haus” am Obermarkt 26. Das ist nicht saniert und wenn du reingehst, bist du wie in einer anderen Welt. Bone, der Bewohner des Hauses hat da neun Jahre Arbeit reingesteckt und es zu einem Environment gemacht, das wirklich jeden aus den Schuhen haut. Abends trifft man sich dort und sitzt am Küchentisch und redet über Gott, die Welt und das Leben. Wer was trinken will, holt es sich im Späti gegenüber.
Roland Günter, der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Werkbund, widmet dem Haus in seinem neuen Buch viel Platz und nennt es “einzigartig in Europa”. Trotzdem kommt alle paar Monate das Bauamt vorbei und versucht, das Haus dichtzumachen. Vor drei Wochen hat das Bauamt alle Jugend- und Kulturzentren, die nicht in städtischer Obhut sind, kontrolliert. So ungefähr musst du dir die Atmosphäre in Görlitz vorstellen. Du hast unzählige Möglichkeiten, aber man guckt dir ganz genau auf die Finger und wartet darauf, dass du Fehler machst. Dabei ist die Stadt selber ja auch ein Vorreiter was die Soziokultur angeht: Nachdem Görlitzer Jugendliche mit einem Flashmob im Rathaus auf ihre Situation aufmerksam gemacht haben, wird gerade eine leerstehende Industriehalle zu einem Soziokulturellen Zentrum umgewidmet. Für drei Millionen Euro. Das Bone Haus kostet die Stadt nichts, und Leute aus der ganzen Welt berichten darüber.
Kannst Du bitte noch ein bisschen auf die Vagabound Stories eingehen?
Was die Performancekunst angeht: Natürlich geht das in Görlitz. Hier steigt jedes Jahr eines der größten Straßentheaterfestivals in Europa, das viaThea, an dem wir ja auch mit Christines Performance teilgenommen haben. Der Wildwuchs e.V. hatte Christine Comeau eingeladen, hier eine Residenz zu verbringen und sie kam und hatte das Konzept der Vagabond Stories überlegt. Ihre Idee war, Fremde mit mobilen Unterkünften durch die Stadt zu schicken. Um das Fremde zu betonen, trugen wir Kostüme und benahmen uns, als wäre alles, was wir sehen komplett neu und ungewohnt für uns. Das ergab eine ganze Menge absurder, aber auch sehr witziger Situationen.
Zurück zu den KunzTagen – da geht es ja um die Idee des schon toten Ludwig Kunz und seiner Freunde, dass im damaligen Literaturbetrieb lebende und lebendige Autoren keinen Rückhall fanden und dass man da etwas dagegenstellen muss. Heut ist es eher so, dass das Literaturfunktionärs-Theater immer denselben angepassten Autoren die Kohle einwirft. Staatsdichter – von Biermann bis zu den Poesie-Schwurblern um Angela Krauß oder dem Quoten-Krawallo Clemens Meyer. Die leben zwar noch, bewegen sich aber völlig angepasst als Feigenblätter des Literaturbetriebs stromlienförmig. Wen wollt Ihr sichtbar machen?
Vor allem diejenigen, die noch nicht im Literaturbetrieb angekommen sind. Die aus sich selbst heraus schreiben, ohne dass sie am Literaturinstitut studiert haben. Bone zum Beispiel, von dem ich gerade schon sprach, ist gelernter Tischler und Restaurator. Und er schreibt wunderbare Sonette und Moritaten. Oder Tom Hohlfeld. Hat gerade Abitur gemacht, aber schon seinen ersten Erzählband veröffentlicht. Es gibt hochwertige Literatur auch außerhalb dessen was man in diesen heiligen Hallen hier wahrnimmt, und die wollen wir sichtbar machen.
Wir sollten öfter ein Bierchen trinken gehen, Fabian. Ich komme Euch jedenfalls mal besuchen in der Europa-Stadt. Meine Gattin hat da nur gute Erfahrungen gemacht, bei ihrer Arbeit als Kinderbuchautorin. Und viel Aufmerksamkeit Euren KunzTagen.
Es war gut, wieder in Leipzig zu sein, wenn auch leider nur kurz. Grüße an Anke und auf hoffentlich bald in Görlitz!
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