Seit ein paar Wochen weiß man wieder: Lokführer sollte man besser da abholen, wo sie stehen. Am besten am Bahnhof. Die Gelegenheit schamlos ausnutzend, dass die Deutsche Bahn offenbar plante, an einem ganzen Wochenende im Einsatz zu sein, hatte auch ich eine kleine Bahnreise anberaumt. Zum österreichischen Nachbarn sollte es gehen, subtropisch war die Wetterlage und der Dax einigermaßen stabil. Nicht die übelsten Startbedingungen also.
Auch als rasch zutage trat, dass die Bahn – vermutlich um die Kundschaft nicht unnötig zu weiteren Reisen zu animieren – vorsichtshalber einen unklimatisierten Zug gen Süden bereitgestellt hatte, blieb meine Stimmung fidel. Vor mir türmten sich etwa 30 Kilo teils grobe, teils feine Tageszeitungen auf, ein noch jungfräuliches Heftchen für Notizen daneben, vorm Fenster lag frühsommerlich-sattgrüne Landschaft herum. Es konnte losgehen. Und es sollte eine gute Fahrt werden.
Mit der Jungfräulichkeit allerdings war es alsbald vorbei, denn schon die erste Meldung in der Süddeutschen brachte mich auf andere Gedanken: “Viagra für Frauen kurz vor der Zulassung”. Also kurz vorm Kommen gewissermaßen.
Viagra für Frauen heißt auch Flibanserin und soll jenen helfen, die “unter medizinisch begründeter Unlust auf Sex leiden. Laut Sprout Pharmaceuticals, ein Unternehmen aus North Carolina, das wohl extra für die Entwicklung von Flibanserin von zwei alten Pharma-Hasen gegründet worden ist, leiden nämlich mindestens 7 % aller Frauen vor den Wechseljahren unter “einer Störung der Libido, die nicht durch Krankheiten erklärt werden kann.” Deshalb sei es ratsam, dass diese von nun an allabendlich die rosa Tablette einnähmen.
Abgesehen davon, dass ich gern wüsste, wie viel Prozent der Frauen weltweit “Libido” für ein italienisches Seebad oder ein nordafrikanisches Gesellschaftsspiel halten, kenne ich Unlustgefühle sehr gut: Oft habe ich zum Beispiel keine Lust, Fenster zu putzen. Wenn es eine Pille gäbe, die Lust auf Fensterputzen machte, ich würde, … nun, ja … zumindest darüber nachdenken.
Im Ernstfall schrecken viele ja immer noch ein bisschen davor zurück, irgendetwas einzuwerfen, dass obenrum eingreift. Und genau da soll “Pink Viagra” wie Flibanserin auch schmeichelnd genannt wird, im Gegensatz zum Viagra für den Mann auch ran. Denn selbst die Pharmaindustrie hat begriffen: Die größte erogene Zone der Frau befindet sich zwischen deren Ohren.
Über die genaue Wirkweise von Flibanserin weiß man natürlich offiziell nichts. Nur, dass das Medikament zum einen die Aktivität von dem als Glückshormon bekannten Dopamin und von Noradrenalin erhöht und die von Serotonin senkt. Frauen mit schwacher Libido sollen dann im richtigen Moment mehr Lust auf Sex haben, wenn sie das geile Zeug regelmäßig schlucken. Prima! Man könnte das ja ins Vorspiel einbauen: Sie reicht ihm liebevoll sein Viagra, er schiebt ihr zärtlich Flibanserin in den Mund. Beruhigend auch, dass man sich auch hier auf die Bauernregel verlassen kann: Jungs tragen blau, Mädchen gehen in rosa.
Doch lassen wir uns noch etwas Zeit: Bei neumodischer Meduzin, wie Pippi Langstrumpf immer so schön sagte, guckt man vorher besser mal auf den Beipackzettel. Und der ist bei “Pink Viagra” eben ziemlich voll, was dem Medikament bisher übrigens auch die Zulassung gekostet hatte. Die Liste umfasst in erster Linie nämlich Schwindel, Müdigkeit und Übelkeit. Damit sei auch das Unfall- und Verletzungsrisiko gesteigert. Na bravo! Das “fare l’amore” mit einer sedierten, desorientierten Dame, die sich alle paar Minuten zu erbrechen droht, muss unglaublich spannend sein. Die fährt man dann auch gerne heim.
Außerdem soll bei einigen Probandinnen Mundtrockenheit, Verstopfung und Stress als Nebenwirkung beobachtet worden sein. Ich kann mich täuschen, aber ich meine ein paar Leute zu kennen, die angesichts dieser Termini zumindest nicht sofort an Erotik denken.
Deshalb: Nein, nein, und nochmals nein! Lasst die Frauen einfach ein bisschen mehr in Ruhe. Vielleicht gibt es sogar welche, denen die fehlende Lust gar keine Last ist. Und jene, die gerne Lust hätten, aber keine haben, die haben vielleicht wenigstens Gründe dafür. Viele Frauen müssen nämlich ganz schön viel nebenbei: Sich um die Steuer kümmern. Die Gesetze kennen und die Beförderungsrichtlinien der öffentlichen Verkehrsmittel, den Kindern Hausaufgabenhilfe geben, im Auge behalten, wann das Auto in die Inspektion muss, wissen, in welchem Laden es lactosefreie Milch am billigsten gibt, sich innerhalb von 30000 Telefontarifen zurechtfinden, den günstigsten Stromanbieter finden, wissen, was man wann wo und wie beantragen muss, welche Leistungen ihr, ihm und den Kindern zustehen.
Sie muss nicht nur ihren idealen Trainingspuls kennen, sondern auch wissen, wie lange man auf dem Stepper stehen muss, um endlich in die fettverbrennende Zone zu kommen, wissen, ob Spinat mehr Nährwerte hat oder Brokkoli, sich fortbilden, damit sie für den Arbeitsmarkt vermittelbar bleibt und – natürlich! – ihr Äußeres pflegen und den Garten.
Viele sinken deshalb am Abend dann schon ganz ohne Flibanserin todmüde ins Bett.
Ein wenig mehr Ruhe könnte also helfen. Eventuell sogar in Kombination mit einem uralten Hausmittel: ein Mann, der einen schwindlig küsst.
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