Ich sag es voraus - er hat das Zeug zum Wort des Jahres: der GREXIT. Oder besser zum Unwort. Die Übergänge sind da ja oft gleitend. GREXIT, was beim ersten Hören so scheußlich klang, als hätte die Liga menschenfeindlicher Zuckerausstauschstoffe in Erfrischungsgetränken einen weiteren Zugang erhalten, entpuppte sich bald als die wohl treffendste Beschreibung für den Zustand unserer Zeit. Man kann auch einfach sagen: Wer schwierig wird, fliegt raus.
Aber so einfach ist es ja nun wieder auch nicht. Die Welt wird eben immer komplizierter. Oder wir immer schlichter. Aus diesem Grunde lasse ich mir die Dinge gerne mal auf KiKa erklären. Bei LOGO z.B., einer ganz hervorragenden Sendung, wo man ohne Schwafelei die Dinge knapp und locker erklärt, auf sympathisch aufrichtige Weise. Auch dann, wenn Erwachsene in einer Problemlage offensichtlich mal wieder keinen Schimmer haben, wie es weitergeht. Die kindgerechte KiKa-Erklärung des Grexit jedenfalls fand mein absolutes Wohlwollen.
Der Grexit sei “Griechenlands Ausstieg aus der sogenannten Euro-Zone.” Was das heißt, wurde gleich hinterhergeschoben: “Das würde bedeuten, dass die Menschen in Griechenland in Zukunft nicht mehr mit dem Euro bezahlen würden.” Dann wurde der Finger in die Wunde gelegt: “Was wäre, wenn es wirklich zu einem Grexit kommt?” Just tauchten in dem Spot vier Figuren auf, die mit den Schultern zuckten und ahnungslos das Gesicht verzogen. Kommentar des Logo-Teams: “Das weiß im Moment eigentlich niemand.” Besser kann man es nicht erklären.
Gut ist auch, die Kinder nicht mit Meinungen von Grexit-Befürwortern oder -gegnern zu überschütten. Halten diese sich in puncto Schlüssigkeit oder Schwachheit doch allzu sehr die Waage. Da ich nun mal Sternzeichen Forrest Gump bin, fände ich es sehr schön, wenn man mit vereinten Kräften den Grexitus verhinderte und die Griechen ein bisschen bei uns in der EU behielte.
Ich will das durch die Blume erklären. Genauer gesagt durch die Rose:
“Im Namen der Rose unterwegs” … las ich gestern im Straßenverkehr auf einem Transporter. Dabei handelte es sich aber nicht um einen Wochenendausflug fanatischer Umberto-Eco-Enthusiasten, sondern um einen Werbeschriftzug für eine regionale Biermarke.
Die arme Rose!
Seit die griechische Dichterin Sappho die Rose erstmals als Königin der Blumen bezeichnet hat, hat das Gewächs eine immense Karriere quer durch die folgenden Jahrhunderte, quer durch Europa gemacht.
In der seit eh und je pulsierenden Akquise-Frage zwischen den Geschlechtern lag die Rose bekanntlich lange Jahre in den Flora-Top-Ten auf Platz 1, Millionen verliebter Männer mit Zielorientierung wussten mittels Rosensträußen Herzen und Beine zu öffnen. Der berühmte Ausspruch Gertrud Steins zum Ende des 1. Weltkrieges “Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose” brachte zwar eine gewisse Interimsversachlichung der Zeiten mit sich, das mochte aber auch daran liegen, dass es nach Weltkriegen bekanntlich schlecht um die Männer bestellt ist. In Nachkriegszeiten jedenfalls vermochte die Rose ihren Status rasch zu restabilisieren bis man sie auf dem Schlachtfeld der Gleichstellungskriege einer erneuten Entmystifizierung opferte und sie für lange Zeit als Diddl-Maus unter dem Anbagger-Grünzeug abstempelte.
Frauen wollten auf einmal nicht mehr mit der Rose als Symbol Aphrodites gleichgesetzt werden und damit für die Ressorts Schönheit und Anmut verantwortlich sein. Das war natürlich zu kurz gedacht. Wir Frauen haben möglicherweise mehr mit der Rose gemeinsam als uns lieb ist. Oder biologisch ausgedrückt: “Die bodennahen Bereiche sind oft besonders reich an Stacheln.” Davon lebt schließlich die gesamte Waxing-Industrie.
Statt diese Gemeinsamkeiten zu respektieren, gab man die Rose als Missbrauchsopfer für Finsterlinge unterschiedlichster Sparten preis. Politiker im Wahlkampf lauerten auf einmal in Fußgänger-Zonen arglosen Passanten auf, um diese zur Mitnahme einer einzelnen, vermutlich in Kenia beschnittenen Blume zu nötigen. Akademisch unverbrauchte Jungmänner, die sich trotzdem Bachelor nannten, fragten verzweifelt auf RTL in einem Harem junger Frauen herum: “Möchtest du diese Rose haben?” Der ganze weibliche Balkan rieb sich weiterhin traditionell mit Rosenöl ein, vielleicht weil die einheimischen Bachelor weiterhin traditionell stark nach Mastika rochen. Wozu auch immer man die Rose entfremdete, was immer man ihr antat: Sie machte alles mit. Manchmal wehrte sie sich und stach. Aber Weh und Ach halfen ihr bekanntlich nicht.
Trotz all dem gibt es sie noch, inklusive aller Bedeutungsschwangerschaften: Die Rose ist eine Steherin.
Und genau wie mit der – über die Zeit geretteten – Symbolik dieser kleinen, betörend duftenden, farbenprächtig-fragilen Pflanze verhält es sich mit den Säulen unserer europäischen Kultur. Die beiden wichtigsten Säulen europäischer Identität sind nun einmal Israel und Griechenland. Dort finden wir die Wiege von fast allem, was uns heute noch treibt, in unserem Bildungskanon, in der Politik, in der Kunst, in unserer Art zu leben.
Von dort kommen die Worte, die Geschichten, die eine Kultur zum Leben erwecken und erhalten. Ein Schatz von Mythen, Erzählungen und Geschichten, der dazu gehört, wenn eine Gesellschaft nach ihren Ursprüngen sucht. Und das muss sie wieder tun. Und zwar dringlichst. Gerade in Zeiten, in denen ein ängstliches, wackeliges Gebilde wie die EU zur Stunde die einzigartige Gelegenheit besitzt, auch einmal zu zeigen, dass es neben allen ökonomischen Belangen auch eine Seele zusammenhalten kann.
Ein Europa, das gemeinsam mit dem Land Homers, kritisch zurückblickt auf seine Vergangenheit und hoffnungsvoll zum Aufbruch bläst. Mit Menschen, die nicht einem irrationalen Wirtschaftswachstumsfanatismus hamsterradelnd hinterher hecheln, sondern aufgehen in Wissenschaft, Kunst, Musik und menschlichem Miteinander.
Aber das wäre ja eine Vision.
Und damit konsultiert man laut Volksmund absurderweise ausgerechnet jene Berufsgruppe, die einen Eid eines Griechen zu schwören hat.
Hoffen wir, dass Kika nicht demnächst den kollektiven Ausstieg aus der Vernunft erklärt.
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