Am Donnerstag, 18. Juni 2015, wurde Thomaskantor a. D. Prof. Georg Christoph Biller im Rahmen eines Festaktes in der voll besetzten Thomaskirche Leipzig offiziell verabschiedet. Neben Pfarrerin Britta Taddiken von der Thomaskirche, Oberbürgermeister Burkhard Jung und dem Präfekten des Thomanerchores Friedrich Praetorius habe ich für die Stiftung Chorherren zu St. Thomae und den forum thomanum Leipzig e.V. ein Grußwort gesprochen. Der Thomanerchor Leipzig sang unter Leitung des amtierenden Thomaskantors Gotthold Schwarz die Motette "Der Geist hilft unser Schwachheit auf" BWV 226.
Im Jubiläumsjahr 2012 hast Du, lieber Christoph, auf die Frage eines Journalisten, ob denn ein Knabenchor nicht völlig unzeitgemäß sei, geantwortet: “Ja, wir sind unzeitgemäß, wir sind der Zeit voraus.” Gestern hast Du hier in der Thomaskirche mit der Uraufführung “Haddock” eindrucksvoll bewiesen, was das bedeutet, der Zeit voraus zu sein. So wird Vieles von dem, was Deine 22-jährige Tätigkeit als Thomaskantor ausgemacht hat, erst nach Generationen seine wahre Würdigung erfahren – auch deshalb, weil Du, lieber Christoph, durch Dein großartiges Wirken den Thomanerchor, aber auch die Tradition der THOMANA nachhaltig gestärkt und gefördert hast. Gut genährt kann der Thomanerchor nun ohne Dich weitergehen. Am Ende Deiner bedeutenden Amtszeit können wir sagen: Das Tor der THOMANA ist durch Dich weit aufgestoßen worden – nicht zuletzt deshalb, weil Du Dich der zeitgenössischen Musik zugewandt und dazu selbst kompositorisch viel beigesteuert hast. Vor dem Chor liegt eine verheißungsvolle Zukunft.
Dafür können wir Dir nur danken – auch dadurch, dass wir uns heute vergegenwärtigen, was Dein Thomaskantorat ausgemacht hat:
1. Du bist der kongeniale Kirchenmusiker, der geistliche Tiefe, liturgisches Gespür und musikalische Professionalität miteinander verbindet. Dadurch hast Du nicht nur die Motetten und Gottesdienste profiliert, sondern lässt jedes Konzert zu einem geistlichen Ereignis werden.
2. Du bist der unbequeme, kantige, widerständige, vor allem aber ideenreiche Vordenker der THOMANA – und darum vor allem von den Thomassern respektiert und im besten Sinne geliebt. Dass der Chor eines Umfeldes bedarf, in dem Kinder und Jugendliche umgeben sind von musikalischer Bildung, hast Du früh erkannt und in einem Memorandum zur “wohlbestallten Kirchenmusik” niedergelegt. Daraus ist die zunächst belächelte Vision “forum thomanum” entstanden. Es ist Dein Verdienst, dass Du die Realisierung des musikalischen Bildungscampus eingefordert, vorangetrieben und verteidigt hast. Dein Name wird mit dem forum thomanum immer verbunden bleiben.
3. Du hast Dich keiner Initiative verschlossen, die das Erbe Bachs in seinen geistlichen Bezügen zum Ziel hatte. Deinem Insistieren ist zu verdanken, dass seit 1999 die Bachfeste in Leipzig jährlich stattfinden und in den Gottesdiensten ihren Nukleus haben. Nach dem großen Bachfest 2000 warst Du der Ideengeber für die Stiftung “Chorherren zu St. Thomae”. Du hast vorgeschlagen, an die alte Tradition der Augustinerchorherren anzuknüpfen. Heute können wir dankbar feststellen: Diese Idee hat wesentlich dazu beigetragen, dass mit dem Kauf der villa thomana, Amtssitz des Thomaskantors, der Bildungscampus forum thomanum entstehen und das Bachfest sich hervorragend entwickeln konnte.
So danke ich Dir namens der Stiftung Chorherren zu St. Thomae und des forum thomanum Leipzig e.V. für Dein so außergewöhnliches Thomaskantorat. Persönlich danke ich Dir, dass wir von der ersten gemeinsamen Motette am 06. November 1992 bis zuletzt so ertragreich und vertrauensvoll zusammenarbeiten konnten – mehr noch: Wir konnten uns auch in persönlich schwierigen Zeiten gegenseitig beistehen. Auch jetzt – wo Du wieder eine Lebenswende zu bewältigen hast – hoffe ich, dass wir nah beieinander bleiben, und Du mit der Sprache, die Du beherrschst, nämlich der musikalischen, uns in Leipzig und weit darüber hinaus noch ganz viel zu sagen hast.
Mose, der das Volk Israel durch die Wüste führte, konnte bekanntlich den Einzug ins gelobte Land nicht mehr erleben. Das schmälert nicht die ungeheure Leistung eines Mannes voller Überzeugungskraft und Selbstzweifeln. Dass wir Menschen das Begonnene nicht selbst vollenden können, sollte uns nicht betrüben. Das bleibt dem gnädigen Gott vorbehalten, der unsere Lebensfragmente eines Tages zu einem Ganzen zusammenfügt. Doch wenn wir schon jetzt in den Fragmenten den Abglanz des Ganzen zu erkennen vermögen, wie wir das bei Dir spätestens in den Motetten und Konzerten erleben konnten, dann können wir nur noch einmal sagen: Danke, Danke, Danke für dieses große Geschenk! Gottes Segen für Dein weiteres Wirken und Euer gemeinsames Leben – und “Willkommen” (das letzte Wort aus der gestrigen Uraufführung): Willkommen in der neuen Zeit, die getragen sein möge von dem Geist, der unser aller Schwachheit aufhilft.
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