Seit 2009 hat Leipzig seine Disputation. Nach dem Vorbild der großen Disputation zwischen Luther und Eck 1519 in der Hofstube des Kurfürstlichen Schlosses zu Leipzig gehen jeweils im Juni zwei streitbare Geister in den Disput. Und zwar über die großen Themen. Die richtig großen. Wie 2015 nun: "Du sollst Dir (k)ein Bild machen." Ein uralter Streitfall. Ganz modern wieder, weil selbst in Europa die Welten aufeinander prallen.

Rigoros, tödlich, wie zuletzt beim Anschlag auf “Charlie Hebdo” in Paris gesehen. Dabei ging’s ja auch in der Reformation um Bilder. Das war Programm. Spätestens seit Lucas Cranach zum großen Maler und damit zum Marketing-Mann der Reformation wurde. Er hat nicht nur Luther, Katharina, Melanchthon und all die anderen Köpfe der Wittenberger Reformation gemalt und diesen Ruhelosen damit ein Gesicht gegeben. Er hat auch den Bildkanon geschaffen, der die zuweilen nicht einfachen Botschaften Luthers in alle Welt gebracht hat. Anschaulich greifbar. Lebendig.

Geht es nur darum?

Neun Thesen haben die Organisatoren der Leipziger Disputation diesmal verfasst. Sie sind seit Donnerstag, 11. Juni, an der Tür der Thomaskirche angeschlagen. Ganz nach dem Vorbild der Luther-Thesen von 1517, auch wenn niemand wirklich weiß, wo er die 95 Thesen tatsächlich angeschlagen hat und ob überhaupt. Denn ihre Wirkung entfalteten sie erst, als sie gedruckt in alle Welt gingen.

Bei den vorherigen Disputationen durften die eingeladenen Redner selbst sich Thesen ausdenken. Das war oft herrlich kontrovers. “Das hat aber auch oft das Problem mit sich gebracht, die Disputation auf den Punkt zu bringen”, sagt Thomaspfarrerin Britta Taddiken. Auch die Moderatoren hatten so ihre Probleme, die beiden Diskutierenden zueinander zu bringen.

Was tun, fragten sich die Organisatoren der Veranstaltung, die sich regelrecht zur Leipziger Attraktion gemausert hat? “Diesmal haben wir die Thesen selbst vorgegeben”, sagt Prof. Dr. Ulrich Brieler vom Referat Wissenspolitik der Stadt Leipzig, der auch das Grundmaterial für die Thesen mitgeliefert hat. Zu dritt hat man dann weiter gefeilt: Stadt, Thomaskirche und Uni Leipzig, praktisch dieselben Partner wie 1517. Nur dass die Uni-Professoren 1517 eigentlich kniffen, als es darum ging, einen ordentlichen Herausforderer für diesen Professor Luther aus Wittenberg zu stellen. Da musste extra der Dr. Eck kommen, der zuvor schon heftig gewettert hatte gegen diesen Umstürzer.

Und 2015?

Da muss kein Reformator das Verhältnis zwischen der göttlichen Gnade und dem freien Willen disputieren. Könnte man schon. Denn mit der Freiheit und dem freien Willen tun sich die Deutschen ja bis heute schwer. Da werden sie knickerig.

Aber im Jahr 2015 geht es ums Bild. Denn es ist nicht nur ein Jahr in der Luther-Dekade, sondern auch das Jahr, in dem die großen Maler der Reformation im Mittelpunkt stehen. Nicht ganz zufällig, denn Lucas Cranach der Jüngere wird 500 Jahre alt. Das passt ganz gut. Und heißt für die Leipziger Disputation, dass man doch mal wieder nachdenken kann über die Bildersprache in Kirche und Buch. Und über ein echtes Zeitalter. Denn – These 1:

“Die Reformation war eine Schrift- und Bilderrevolution.”

Das vergisst man gern, dass das so genannte Informationszeitalter, das Zeitalter der modernen Medien praktisch zusammenfällt mit dem der Reformation. Seitdem haben Bilder auch unsere Welt verändert, wurden ganze Räume mit Bildern geflutet.

These 8 fragt nach der Aufregung ums Bild. Denn auch die Cranachs malten fleißig nackte Adams und Evas.

“Das biblische Bild muss auch heute aufregend oder sogar anstößig sein.”

Eine These im Widerspruch. Aber: Fällt man überhaupt noch auf, wenn man kein schlagendes Bild hat? Wenn man keinen Anstoß erregt?

These 9 spitzt den Widerspruch zu für eine Zeit, in der die Kulturindustrie die Menschen mit Bildern überschwemmt.

“Die Kraft der biblischen Bilder muss in der digitalen Welt der virtuellen Bilder bestehen.”

Oder?

Da können zwei sich streiten. Das sind in diesem Jahr Dr. Petra Bahr von der Konrad-Adenauer-Stiftung, ehemalige Kulturbeauftragte der EKD, und der Leipziger Maler Michael Triegel. Er hat sich auch in der katholischen Kirche einen Namen gemacht, als er Papst Benedikt XVI. ganz klassisch in Öl porträtierte. Womit auch eine Facette in der Diskussion ist, die in den Thesen noch nicht steckt: Wie setzt sich Kunst mit Religion heute auseinander? Und zwar so, dass es auch für den Betrachter noch – oder wieder – Sinn ergibt? Wird alles modern und konturlos? Oder braucht es den präzisen, erzählerischen Stil, wie er an der HGB in Leipzig gelehrt wurde? Triegel gehört ja zur Enkelgeneration der “Leipziger Schule”, die auch deshalb wirkte, weil sie in ihren Bildern ganz klassisch Geschichten erzählte. Und weil sie einen Disput eröffnete im Bild – zwischen Alt und Neu, Religion und Ideologie.

Was in These 7 anklingt:

“Die ins Bild gesetzte Bibel war der Raum der Kritik, der Utopie.”

Was aber Wissen voraussetzt. Wer nicht mal die wichtigsten Geschichten aus der Bibel kennt, kann die großen Bildergeschichten auch der Reformations-Maler nicht (mehr) entschlüsseln. Die Botschaft kommt nicht mehr an.

Aber auch die Schattenseite klingt an. Denn bedeutet “Du sollst dir kein Bild machen” nicht auch Zensur? Den Versuch einer Obrigkeit, Dinge nicht öffentlich werden zu lassen?

Ein ganz heißes Thema. Das noch ganz andere Facetten bekommt, wenn man zu den Ursprüngen zurückgeht, als eine neue Religion sich auch bestärkte in dem Wissen, dass man sich von Gott gar kein Bild machen kann. Und soll. Auch weil die konkurrierenden Religionen der anderen ihre Tempel vollgestopft hatten mit Gottesbildern. Man denke nur an das Goldene Kalb. Ob aber Petra Bahr und Michael Triegel am 30. Juni, wenn die Disputation in der Thomaskirche stattfindet, auch noch auf diese Vor-Geschichte kommen, ist wohl eher zweifelhaft. Die 9 Thesen allein geben schon Stoff genug, sich ernsthaft Gedanken zu machen über die Macht der Bilder heute – und zwar nicht nur im religiösen Kontext.

Moderiert wird die Veranstaltung von Dr. Sebastian Hesse-Kastein, Chefreporter vom MDR INFO. Die Leipziger Disputation selbst wird am Dienstag, 30. Juni, um 20.00 Uhr in der Thomaskirche stattfinden.

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