Die Sonne scheint, die Parks füllen sich mit schwarzen Farben, es ist Pfingsten, es ist „Wave Gotik Treffen“ - Zeit in Leipzig. Tage des Flanierens und der großen Bildergalerien in den Gazetten, die das organisierten Schaulaufen rings um die Konzertnächte in der nachrichtenarmen Zeit bereitwillig spiegeln. Bekannte und obskure Bands haben sich die Macher auch 2015 wieder eingeladen und ein bisschen Tabubruch muss nach der „Schwarzen Sonne“ auf der Campingkarte 2009 offenbar auch 2015 mal wieder sein. Dieses Mal geht es um das SS-Konzentrations- und Vernichtungslager im polnischen Majdanek. Eine gleichnamige Band lädt jedenfalls mit deutlichen Texten auf dem WGT am Samstag zum Walzer.
Zu Beginn ist wohl das Lied des WGT-Veranstalters kurz abzusingen, welches seit Jahren immer ertönt, wenn die Frage nach rechtem Gedankengut in der schwarzen Szene auftaucht: „Wir sind ein unpolitisches Festival.“ Punkt. Als 2009 schwere Bedenken zu dieser Aussage innerhalb der Szene auftauchten, wurden die Debatten abgewürgt, eine wirkliche Erklärung für die Einbindung der von den Nationalsozialisten kreierten „Schwarzen Sonne“ auf der Zeltplatzkarte gab es nicht. Wie das erstmals 1936 in der von Heinrich Himmler zum Sitz seines SS-Ordens auserkorenen Wewelsburg im Saalboden eingelassene Symbol eins zu eins auf der sogenannten „Obsorgekarte“ kommen konnte, blieb weitgehend offen im Raum stehen.
Die Erklärungsversuche seitens des WGT versuchten die übliche urgermanische Herleitung, welche jedoch unglaubwürdig blieb. Die spezielle Form des Sonnenrades gab es in den Zeiten vor dem NS-Regime bei keinem bekannten germanischen Volksstamm. Entstanden ist es im rechtsesoterischen Umfeld des “Reichsführers SS” und Innenminister Heinrich Himmler. Heute ist es verboten, das Symbol in politischen Zusammenhängen zu zeigen.
Den Rest des Konfliktes regelte die Liebe der Fans zu ihrem Wave Gotik Treffen in Leipzig, während sich Bands wie ASP abwandten und den Hokuspokus um verklausulierte NS-Symboliken nicht mehr mitmachten. 2013 kooperierte die Stadt Leipzig mit dem Festival im Wagnerjubiläumsjahr, die Querelen rings um das zunehmend in die Neofolk-Ecke abgedrifteten Treffens interessierten niemanden mehr. Seither gilt offenbar die Regel: Hier und da ein kleiner Tabubruch, der eine oder andere „Uniformfetischist“ geriet unter Verdacht, mehr als nur den militärischen Dresscode sexy zu finden, aber das WGT blieb betont unpolitisch. Der jährlich Stand des rechtsextremen Verlages VAWS, welcher vom Verfassungsschutz beobachtet wird, auch.
Die Stadt Leipzig hingegen erkannte nach dem finanziellen Zusammenbruch des Treffens und den Übergang der Veranstaltung an neue Veranstalter im Jahr 2000 den finanziellen Nutzen der schwarzgewandeten Szenerie, von 5 Millionen Umsatz in jedem Jahr ist seither die Rede. Wer das Wave Gotik Treffen kritisiert, erhält einfach keine Akkreditierung mehr vom Veranstalter. Fotografiert man zum Beispiel den Verkauf von Devotionalien rings um die “Schwarze Sonne” ruft der Sicherheitsdienst des Veranstalters die Polizei. Um sich von dieser erklären zu lassen, dass Pressefreiheit auch im Jahr 2011 in Leipzig nicht an der Eingangstür des Agra-Geländes endet.
Text und Ton im “Majdanek Walzer”
Eine Presseanfrage zur Buchung der russischen Dark-Neofolk-Band „Majdanek Waltz” beim Veranstalter ist demnach (ausnahmsweise) logisch sinnlos, die Antwort bekannt und die Einladung der Band durch die Macher des WGT Aussage genug. Denn wäre die Benennung der 2001 entstandenen russischen Band „Majdanek Waltz“ um den Sänger Pavel Blyumkin eine skurrile Brechung des Grauens an einem Ort, wo nach neueren Schätzungen 78.000 Menschen, darunter 59.000 Juden umgekommen sind, würde die Musikgruppe kaum mit Texten agieren, welche zwei in Leipzig lebende Muttersprachler unabhängig voneinander und reichlich entsetzt für die L-IZ aus dem Russischen ins Deutsche übersetzten.
So finden sich auf der 2004 erschienenen CD „Небо Рейха“ (The Sky Of Reich / Himmel des Reiches oder Himmel Reich) folgende Zeilen im Song, welcher den Titel „Wir“ trägt: „Überall versteckt die Stadt unsere Spuren, Verbrennungen auf Beton und Plastik, Wie die Kratzer von den Kometen, Entstehen die Zigzags der Hakenkreuze. Es kommt die Stunde – Stunde der Vergeltung!“ (orig. Russisch am Ende). Dass diese Zeilen bei aller Sinndeuterei wenig Interpretationsspielraum haben, zeigt ein anderes Lied der Band, in welchem sie „Mein Hakenkreuz“ (Моя Свастика / My Swastika) besingt. Hier heißt es: „Wie großer Glaube in die bessere Zeit, Leuchte mein Hakenkreuz, sing in mir, Meine Schneesonne, mein ewiger Stolz, Mein Schwarzes Hakenkreuz, sing in mir.“
Szenetypisch werden solche Texte bei Youtube durch User mit „Schwarzen Sonnen“, also dem esoterischen Neonazisymbol bestehend aus 12 Sigrunen illustriert. Die Band selbst hat neben den bedeutungsschwangeren Nebelwäldern und traurigen Landschaften der Neofolker bei Liveauftritten gern mal die üblichen Runen im Backdrop und unter anderem ein Cover mit einem deutschen Soldaten im Angebot. Der Texter des titelgebenden Songs der CD „Himmel des Reiches“ und des Liedes „Wir“ ist nach Bandangaben der Autor Alexey Shiropaev. Der stramme Nationalist tritt in seiner russischen Heimat für die Trennung Kern-Russlands von allen anderen Völkern ein und engagiert sich gegen den Westen. Auf einem Bild von einer Demonstration fordert der politische Aktivist ein „Ende von Reparationszahlungen an den Kaukasus“ (gemeint offenbar russische Transfergelder an Tschetschenien, Abchasien und Südossetien).
An der Violine der Band „Majdanek Waltz“ betätigt sich unterdessen ein Musiker, welcher in der Diskographie der vergangenen Jahre den schmissigen Künstlernamen „Maxim NS“ führt und die aktuelle Platte „Nachtlied“ trägt einen deutschen Titel. Begeisterte Anhänger findet die Band vor allem in Foren wie „Die Militärmusik“, welches vorrangig von Neofolkfans aus Russland frequentiert wird. Offenbar hat man den deutschen Markt bei der bislang weitgehend erfolglosen Nischen-Band also mittlerweile erkannt, eine Einladung durch das Wave Gotik Treffen folgte.
Eine Sekte in einer winzigen Szene
Der Auftritt von Majdanek Waltz ist am Samstag, den 23. Mai 2015 im Rahmen des unpolitischen Wave Gotik Treffens um 19.40 Uhr im „Alten Landratsamt“ am Tröndlinring 3. Nach Auskunft der sonst in der Leipziger Location agierenden Veranstalter haben die Festivalveranstalter das Haus direkt vom Eigentümer gemietet. Weitere Bands des Neofolk-Abends werden Roma Amor aus Italien, Blood And Sun (USA), While Angels Watch und Sol Invictus aus Großbritannien sein.
Tony Wakeford, Frontmann der Headlinerband Sol Invictus an diesem Abend, hat in einem denkwürdigen Interview mit dem Leipziger Szenekenner Alexander Nym über seine Wege in die rechtsradikale, englische “National Front” und dann wieder heraus aus der rechten Ideologie im Jahr 2014 bei 3Viertel berichtet. Sein Fazit: “Neofolk ist eine winzige Musikszene, und diejenigen in ihr, die tatsächlich mit der extremen Rechten zu tun haben, sind eine winzige Sekte. Was nicht heißt, dass man die krude Ansammlung religiöser Spinner, Schwulenfeinde und Holocaustleugner nicht kritisieren sollte.”
Das Interview mit Tony Wakeford von Sol Invictus zum Thema Rechte in der Neofolkszenerie
My Swastika von “Majdanek Waltz” bei Youtube
Zum Forum “Die Militärmusik” / Band Majdanek Waltz
Der MDR mit einer aktuellen Zusammenfassung zum Thema Braun im Schwarz
Eine kleine Abhandlung zum Thema „Schwarze Sonnen“ auf der Szeneseite „Grabsteinschubser.de“
Der Schriftwechsel zwischen der Band ASP und den Veranstaltern des Wave Gotik Treffens zur Schwarzen Sonne 2009
„Wir“ (Мы, We) von Majdanek Waltz auf Russisch
Всюду город таит наш след.
Обжигая бетон и пластик,
Как царапины от комет
Возникают зигзаги свастик.
Час придет – воздаянья час!
“Mein Hakenkreuz” (Моя Свастика, My Swastika) von Majdanek Waltz auf Russisch
Как большая вера в лучшее время
Воссияй моя свастика, пой во мне!
Мое снежное солнце, моя вечная гордость,
Моя черная свастика, пой во мне!
Hintergrund (Quelle Wiki)
Das KZ Majdanek (offiziell KL Lublin, KZ Lublin, auch in der Schreibweise K.L. Lublin; Majdanek ist ein Vorort von Lublin) war das erste deutsche Konzentrationslager der SS-Inspektion der Konzentrationslager (IKL) im besetzten Polen. Wie Auschwitz-Birkenau wurde Majdanek zeitweise auch als Vernichtungs-/Todeslager genutzt. Es bestand von Oktober 1941 (zunächst als „Kriegsgefangenenlager der Waffen-SS Lublin“, ab Februar 1943 als „Konzentrationslager Lublin“, bis das großteils geräumte Lager am 23. Juli 1944 von der Roten Armee befreit wurde. Die Zahl der im Lager untergebrachten Häftlinge schwankte meist zwischen 10.000 und 15.000 und erreichte im Sommer 1943 eine Zahl von 25.000.
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