Irgendwie muss es doch noch etwas anderes geben als diesen zerstörerischen Kapitalismus. Tanner sucht weiter und findet hin und wieder kleine Ansätze, die das System des "Schneller, Mehr und Lauter" hinterfragen. Zum Beispiel traf er Tops und Andi, die einen Laden betreiben, in dem Klamotten nach Kilo verkauft werden. Dazu noch Radio, spanische Mediathek, Geschichten und Märchen und konsequentes Leben. Interessant und nachahmenswert.
Hallo Andi, hallo Tops. Fein, dass Ihr mich auf der Straße angesprochen habt. Nun bin ich hier in Eurem “Kiloladen” und bin sehr angetan vom Konzept. Für wen macht Ihr das denn? Und was ist das Konzept – damit auch alle Anderen auf meinen Wissenstand kommen?
Tja, für wen machen wir das? Zuerst ist der Kiloladen der Versuch, zumindest einen Teil des Lebensunterhalts zu verdienen. Das selbstbestimmt und mit einer Idee, die wir vertreten können. Da bietet sich der Verkauf von gebrauchter Kleidung geradezu an. Die muss nicht extra produziert werden, sondern ist schon vorhanden. Sozusagen als Abfallprodukt der Überflussgesellschaft. Viele Dinge, die gedankenlos weggeworfen werden, sind noch brauchbar, auch Kleidung. Z. B. haben 80 % der Kleidungsstücke, die im Müll landen, gerade mal 1/4 ihrer Lebenszeit erreicht. Aber der reine Horror, was die ökologischen und sozialen Faktoren betrifft, offenbart sich erst, wenn man sich die Produktion von Textilien im globalen Maßstab anguckt.
Und zum Konzept: Die Kleidung im Laden wird nach Gewicht verkauft. Zumindest 98 % der Sachen. Schuhe, Krawatten, Gürtel, Taschen und einige wenige Kleidungsstücke ausgenommen. Der Kilopreis beträgt 20,- oder 25,- Euro, je nach Kleidungsgruppe. Manchmal denken die Leute, sie müssten mindestens ein Kilo kaufen. So ist es nicht, fasst alle Kleidungsstücke wiegen zwischen 150 und 600 Gramm. Im Laden steht eine Waage und daneben eine Umrechnungstabelle. Der Kilopreis hat den Vorteil, dass man sich nicht ständig Gedanken darüber machen muss, was dieses oder jenes Kleidungsstück konkret wert ist. Auch wenn es im Laden ne Menge sogenannter Markenklamotten gibt, sie sind genau so billig oder teuer wie alle anderen Stücke. Wichtig ist, dass die Kleidung noch tragbar ist.
Nur um die Vorstellung etwas zu schärfen – bei einem Sommerkleid sind wir mit Euren Preisen bei so 4 Euro, bei einer festen Jeanshose bei so 12 Euro… wird Euer Angebot angenommen?
Ja, es kommen immer mal wieder Leute rein. Manche verbringen hier Ewigkeiten, andere nutzen die Zeit zwischen zwei Straßenbahnen, wieder andere fragen erst einmal ganz neugierig. Kleidung, die nach Gewicht verkauft wird, ist für viele Menschen eine merkwürdige Vorstellung. Aber es macht auch Spaß, die Kleidungsstücke auf die Waage zu legen und so erst den Verkaufspreis zu erfahren. Die Vorstellungen wie schwer ein Teil ist, sind sehr unterschiedlich. Auch bei uns. Manchmal sind wir selbst erschrocken, wie schwer und damit auch teurer als erwartet etwas ist. Da denken wir uns dann gleich: nee, jetzt gibst du mal direkt nen Rabatt. Die Kleidung die verkauft wird würde ich mal als die normale Durchschnittskonfektion bezeichnen, also nix mit Vintage oder so was. Für Frauen, Männer und Kinder. Es macht auf jeden Fall Spaß!
Andi, Du bist ja auch Ideengeber des Umsonst- und Verschenkemarktes rund um die Könneritzstraße. Wann ist’n der wieder und was ist denn da die Philosophie dahinter?
Es ist die Holbeinstrasse. Das Fest findet am 14. Juni ab dem frühen Nachmittag statt. Ein Tag völlig ohne Geld. Es wird keinerlei Verkaufsstände geben, auch keine Essens- oder Getränkestände, stattdessen die Möglichkeit zum Tauschen und zu Verschenken von Dingen die Sinn machen, die man aber selbst eben nicht mehr braucht … und auch ein Tag um sich zu treffen. Schön, wenn die Holbeinstraßenbewohner Tische und Bänke rausstellen und ihre Freunde einladen (und Fremde auch) und vor den Häusern brunchen. Schön, wenn auf dem Spielplatz am Ende der Straße bei Musik und Kleinkunst gepicknickt wird. Jeder bringe etwas zu Essen und zu Trinken mit, selbstgemachte Kuchen, Pizza, Salate und dann tauscht man mit dem auf der Nachbardecke, den man bis gerade noch nicht kannte. Eine Möglichkeit sich auszutauschen … ohne Geld …
In Kürze alles zu erklären ist vielleicht ein bisschen zu komplex. Aber im Internet stehen auf www.holbeinstrassenfest.wordpress.com weitere Informationen.
Und bei Dir, lieber Tops – machst Du eigentlich noch Radio und Konzerte?
Ja, die no eXotik! no turistiK! Sendung läuft regelmäßig auf Radio Blau und beim letzten Konzert war Bassekou Kouyate aus Mali im UT Connewitz. Der Raum der Kulturen ist ja mittlerweile Geschichte und deshalb werde ich zukünftig etwas weniger Konzerte organisieren. Aber am 16. Mai findet im Erythrosin in der Eisenbahnstraße mal wieder eine Disco statt. Musikalisch wird dort das gespielt, was in der Radiosendung läuft.
Hier wächst ja langsam auch eine spanische Mediathek heran. Könnt Ihr schon mehr erzählen? Für wen, von wem und wie soll das funktionieren?
Ja, im Kiloladen befindet sich jetzt auch die Mediathek der deutsch-spanischen Freundschaft e.V.. Einfach aus dem Grund, weil der Laden regelmäßige Öffnungszeiten hat und ich mit Marissa, die die Mediathek betreut, den Raum der Kulturen organisiert habe. Es gibt spanischsprachige Filme und Bücher, die die Mitglieder der DSF kostenlos ausleihen können. Wer keinen Mitgliedsausweis hat, kann im Laden direkt Mitglied werden. So einfach ist das.
Ein Laden muss sich ja auch rechnen – also sollte auf jeden Fall kein Minus machen. Funktioniert das mit Euren Öffnungszeiten ausreichend? Und könnt Ihr die bitte noch mal sagen.
Der Kiloladen ist Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag geöffnet. Wir haben festgestellt, dass die Georg-Schwarz-Straße nicht unbedingt eine Einkaufsstraße ist. Die große Mehrheit der Leute kommt erst ab 15:00 Uhr in den Laden. Nach der Arbeit, der Uni oder wenn die Schule aus ist. Deshalb ändern wir die Öffnungszeiten jetzt erneut. Von Mittwoch bis Freitag ist der Kiloladen zwischen 15:00h und 18:00h geöffnet. Am Samstag von 10:00h bis 14:00h.
Von der Idee versucht Ihr ja dem Immermehr etwas Langsamkeit und etwas Nachhaltigkeit entgegenzusetzen. Ist damit das Konzept der zerstörerischen und inhumanen Maximalgewinnorientierung zu kippen?
Nein, darauf haben wir nur einen begrenzten Einfluss. Das Konzept Second-Hand Kleidung kann im besten Fall, wie schon anfangs gesagt, die Leute zum Nachdenken bringen. Wie wird die Kleidung produziert, von wem, welche Ressourcen werden dafür verschwendet, wie oft kaufe ich Kleidung oder wie viele Kleidungsstücke benötige ich eigentlich?
Andi, Dich gibt es meines Wissens auch als Geschichtenerzähler – erzähl doch bitte mal, was es damit auf sich hat.
Ja… seit einiger Zeit bin ich auch als Geschichten und Märchenerzähler Andiareas unterwegs – für Groß und Klein – eben nicht nur für Kinder. Ein Gegenpunkt zur schnellen heutigen Welt des Internets und der Smartphones. Ein Versuch – auch für mich selbst – zur Ruhe zu kommen… nur den Geschichten zu lauschen… Geschichtenerzählen war früher eine wichtige Sache, Botschaften und Informationen weiterzugeben. Und das ist auch mir wichtig, nicht nur ein schönes Märchen zu erzählen, sondern eben etwas zu vermitteln, mal ganz einfach gesagt, Geschichten um die Themen Frieden und Glück beispielsweise.
Als Geschichtenerzähler bin ich nun auch immer mehr unterwegs. Das geht bei privaten Feiern los, über Auftritte in Schlössern, auf Märkten und Festivals, in diesem Sommer auch an nordostdeutschen Strandpromenaden. Diesen Mai geht’s u. a. nach Österreich. Im Sommer werde ich auf elektronischen Festivals, auf denen ich als DJ Andiareas auflege, auch Märchen erzählen. Und in diesem oder nächsten Jahr erzähle ich wohl auch mal in Israel, dann natürlich auf Englisch. Da war ich jetzt mehrmals als DJ bei einem Festival in der Wüste. Wie wunderbar! Ein paar israelische Musiker, die dort auch auftraten, kennen mich als Erzähler vom Ancient Trance Festival bei Leipzig und machten da so für mich Werbung, dass die Israelis nun auch unbedingt Märchen von mir hören wollen. Das wird die nächste Herausforderung. Ich freue mich darauf.
Ich wünsche Euch, dass Eure Ideen Nachahmer finden und uns allen wünsche ich etwas weniger. Danke für die Antworten.
Kiloladen Leipzig/ Georg Schwarz Straße 08.
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