Irgendwie - wenn wir es nicht völlig dusselig anstellen - werden wir alle älter. Und einige von uns, die allzusehr beim körperlichen Raubbau beteiligt waren und dem Sport und der gesunden Ernährung den Finger zeigten, werden wohl Hilfe brauchen. Dass in unserer Stadt Angebote sind sollte somit jeden Menschen interessieren. Tanner besprach dies mit Juliane Maiwald vom Seniorenbüro Alt-West und gleich dazu noch so eine überraschende Idee Kunst und SeniorInnen zusammenzubringen.

Hallo Jule Maiwald. Du bist die Chefin vom Seniorenbüro Alt-West. Und wie ich gerade erfuhr habt Ihr am 12. Mai ab 17:00 Uhr etwas wirklich Fantastisches vor. Erzähl doch mal bitte.

Am 12. Mai laden wir zum Rundgang über das Gelände der Spinnerei ein. Mit diesem Angebot für kunst- und kulturinteressierte SeniorInnen möchten wir die spannende Erfahrung dieses Ortes der Kunstproduktion und des -handels für Personen auch außerhalb der Kunstwelt öffnen. An diesem Nachmittag soll es vor allem ums Schauen, aber auch ums Reden und Fragen gehen. Und um das gemeinsame Erfahren eines neuen oder altbekannten, spannenden Ortes. Ganz nebenbei treffen SeniorInnen auch auf Gleichgesellte und knüpfen bestenfalls Kontakte, die auch über den Projektzeitraum hinaus reichen. Zudem lernen sie bei der Gelegenheit das Seniorenbüro kennen und haben den Kontakt, sobald Bedarf entstehen sollte.

“Zu Gast bei …” soll ja eine Reihe werden. Da kann mensch ja alle möglichen Menschen besuchen. Man kann zu Gast sein bei Obdachlosen, bei Hundehaltern, bei Kosmonauten, bei Destruktiven, bei Jungsprutzen, bei Menschen ohne Fernseher, bei Liebenden – bei wem wollt Ihr denn perspektivisch noch zu Gast sein in den nächsten Monaten?

Wir werden bei Künstlern und Künstlerinnen unterschiedlichen Alters und verschiedener Medien und Arbeitsweisen zu Gast sein. Im Herbst besuchen wir auch die alternativen Kunsträume in Lindenau und Plagwitz – Räume, die vielen SeniorInnen sicherlich unbekannt sind. Im Juni werden wir die Künstlerin Eva Walker in ihrem Atelier besuchen. Nach der Sommerpause geht es im September weiter. Genaue Termine stehen noch nicht fest, werden aber rechtzeitig über das Seniorenbüro Alt-West bekanntgegeben.

Wie kam es denn zum Kontakt mit der Künstlerin Constanze Müller?

Seit Bestehen der Seniorenbüros 2013 gibt es jedes Jahr jeweils 1000 Euro pro Stadtbezirk für innovative und stadtteilbezogene Seniorenprojekte. Der Antrag auf Förderung der Stadt Leipzig steht allen Akteuren im Bezirk offen und soll die Möglichkeit schaffen, kleinere Pilotprojekte zu starten. Zusammen mit dem Verein SelbstBestimmt Leben Leipzig und Umgebung e.V. sollte es im ersten Jahr ein Kunstprojekt für Menschen mit demenziellen Erkrankungen geben (das hat leider zeitlich nicht mehr funktioniert) und wir waren auf der Suche nach kunstpädagogischer Unterstützung. So entstand der Kontakt zum D21 Kunstraum Leipzig e.V. bzw. zu Constanze Müller, die mir seitdem als erfrischender Kooperationspartner erhalten geblieben ist.

Kannst Du uns ein bisschen etwas über die Geschichte der Seniorenarbeit der Volkssolidarität im Stadtteil erzählen?

Die Seniorenbegegnungsstätte der Volkssolidarität in Alt-West besteht bereits seit fast 16 Jahren mit sehr klassischen Angeboten, wie z. B. dem Gedächtnistraining, Tanzcafés oder Kreativkursen. “Also so alt bin ich ja nun wirklich noch nicht!” ist ein oft gehörter Satz von jüngeren SeniorInnen, denen man das Veranstaltungsprogramm schmackhaft machen wollte, um beispielsweise wieder neue Kontakte knüpfen zu können und Vereinsamung und Isolation entgegenzuwirken. Unkonventionelle Formate, die idealerweise auch einmal außerhalb der Einrichtung stattfinden, können so eine Brücke zu neuen Zielgruppen bauen und das etwas verstaube Image der Seniorenbegegnungsstätten etwas aufweichen.

Ein neues Projekt ist auch der Seniorenspielclub “Die Spielfreudigen”, eine Kooperation der Volkssolidarität mit dem Schauspiel Leipzig. Seit September treffen sich die junggebliebenen Senioren in unseren Räumen, entwickeln das eigene Stück “Auf gut Glück zum Glück” und bringen dieses am 19. Juni und 20. Juni auf die Bühne der Baustelle des Schauspiel Leipzig. Karten gibt’s beim Besucherservice des Schauspiels…

Du erzähltest mir auch von anderen Aktivitäten des Seniorenbüros Alt-West – zum Beispiel von Modenschauen. Das find ich ja interessant. Wie geht so was denn vonstatten und für wen und mit wem läuft das so ab? Ich hab da ja eher Vorstellungen von spindeldürren Minderjährigen, die sich halbnackt über den Catwalk bewegen. Das sind doch aber keine Klamotten für Senioren, die da gezeigt werden… Klär uns doch bitte auf, liebe Jule.

Die Modenschauen von Herrn Kefalas sind zumindest bei den Akteuren der offenen Altenhilfe in Leipzig stadtweit bekannt. Er bringt seine Mode mit in die Einrichtungen und lässt sie von Seniorinnen, die an dem Tag Lust und Zeit haben, auf den Brettern der Begegnungsstätten humorvoll präsentieren. Natürlich geht es hier weniger um den perfekten Walk und die höchsten Heels, aber aktuelle Trends, Farben und Schnitte sowie praktische Details (der dehnbare Hosenbund oder die Kette mit dem “Ruck-Zuck-Verschluss”) spielen durchaus eine Rolle.

Grundsätzlich gehen die Bemühungen dahin, das Programm der Begegnungsstätte so facettenreich wie möglich zu gestalten, um mit diversen Freizeit-, Kultur- und Bildungsangeboten den Interessen vieler SeniorInnen gerecht zu werden. Idealerweise bringen die SeniorInnen ihre Ideen und ihr Engagement selbst ein. So funktioniert unser PC-Kurs ausschließlich mit ehrenamtlicher Hilfe eines jungen Seniors mit entsprechendem Hintergrundwissen für SeniorInnen. Der Generationsgarten der Volkssolidarität im Kleingartenverein “Westendgärten” lädt dagegen Jung und Alt zum gemeinsamen Werkeln im Grünen ein. Das läuft dann im Rahmen des Projektes “Generationendialog” mit der VS-Kita “Prisma”, dem Altenpflegeheim “Sonnenschein” und uns.

Das Seniorenbüro ist auch Beratungs- und Erstanlaufstelle für ältere Menschen im Quartier, die Fragen “rund zum Thema Älterwerden” haben. Es fällt den SeniorInnen erfahrungsgemäß  leichter das Beratungsangebot zu nutzen, wenn sie die Einrichtung bereits kennen, so dass die Kombination mit der Begegnungsstätte als Zugang durchaus sinnvoll ist.

Wenn die Seniorenschaft Hilfe braucht und sich an Euch wenden möchte – wann und wo seid Ihr denn zu erreichen?

Die Stadt Leipzig hat zehn Seniorenbüros etabliert, sodass in jedem Stadtteil eine zentrale Anlaufstelle existiert. Aufgrund unterschiedlicher Strukturen und Trägerschaft sind die Beratungszeiten verschieden, eine Gesamtöffnungszeit von 30 Stunden die Woche aber garantiert. Auf der Homepage der Stadt können die Kontaktdaten eingesehen werden. Zudem betreiben die Seniorenbüros bzw. deren Träger Öffentlichkeitsarbeit im eigenen Raum und stadtweit. Das Seniorenbüro Alt-West druckt und verteilt, neben der Internetpräsenz, zu Beginn des Monats kleine Programmhefte.

Wir haben Montag bis Freitag von mindestens 11:00-17:00 Uhr geöffnet sowie Dienstag und Donnerstag von 11:00-13:00 Uhr und nach Vereinbarung Sprechzeiten. Die Zeitschrift “Aktiv Leben in Leipzig” der Stadt Leipzig erscheint alle zwei Monate und ist der ideale Begleiter für SeniorInnen und Menschen mit Behinderung. Hier heißt es aber stets schnell sein, da die gelben Hefte unglaublich beliebt und furchtbar schnell vergriffen sind. Hier finden sich wirklich alle Informationen, Veranstaltungen und Freizeittipps!

Und was sind so die Hauptanliegen derzeit, die bei Euch so auflaufen? Ich kann mir vorstellen, dass die Schnelligkeit und der Lärm in unserer Stadt viele Senioren vor echte Probleme stellen.

Die Schnelligkeit unserer Stadt ist tatsächlich ein Problem für ältere Menschen. Das Gefühl abgehängt und zu alt für all die Komplexitäten zu sein, betrifft viele SeniorInnen. Das beginnt beispielsweise bei alltagspraktischen Problemen, wie der Teilnahme am öffentlichen Verkehr über den Umgang mit Elektronik oder bei der Suche nach dem passenden Angebot im Leistungsdschungel für SeniorInnen. Oft leben die Kinder beruflich bedingt nicht mehr in unmittelbarer Nähe, so dass helfende und pflegende Angehörige keine Selbstverständlichkeit mehr darstellen und auch die Anonymität der Großstadt wirkt sich ungünstig aus.

Gerade in Städten leben immer mehr Menschen im Alter allein, einer Lebensphase die sich auch zeitlich immer mehr ausdehnt. An dieser Stelle können die Seniorenbüros beratend zur Seite zu stehen und für Orientierung sorgen. Fragen zu möglichen Wohnformen im Alter, haushaltsnahen Dienstleistungen, zur Pflege und zu Freizeitangeboten stellen derzeit die Mehrheit der Anliegen im Seniorenbüro Alt-West dar.

Was geschieht aber mit den Senioren, die völlig überfordert sind? Wie könnt Ihr an diese herankommen? Vor kurzem sah ich in der Lützner Straße aus einem Abrisshaus eine alte Frau schauen und sie wirkte, als ob sie schon seit Jahren nur noch über ihr Fenster am Geschehen teilnahm und völlig vereinsamt war. Gibt es da überhaupt noch Möglichkeiten?

Das ist ein schwieriges Thema. Grundsätzlich sind die Seniorenbüros als sogenannte “Komm-Struktur” organisiert. Bei Bedarf gehen wir aber auch in die Häuslichkeit oder vermitteln entsprechende Dienste. Das setzt natürlich das Wissen um einen Bedarf und die Zustimmung der betroffenen Person voraus. In solchen Situationen gibt es leider kein Patentrezept und es bedarf einer individuellen Einschätzung. Manchmal melden sich aufmerksame Nachbarn oder andere Kontaktpersonen.

Im Gegensatz zur Kindeswohlgefährdung können in der Regel jedoch keine Hilfsmaßnahmen gegen den Willen des erwachsenen Menschen eingeleitet werden. Das Seniorenbüro Alt-West baut seit Anfang 2014 kontinuierlich einen Besuchsdienst für SeniorInnen auf. Mit Hilfe dieser “Gehstruktur” wurde ein neuer Zugang zu weniger mobilen Menschen geschaffen. Außerdem ist die Volkssolidarität Leipzig auch in das vom Freistaat Sachsen initiierte und geförderte Programm “Ruheständler als Alltagsbegleiter” eingebunden, das an den Seniorenbüros in VS-Trägerschaft “angedockt” ist.

In unserer jubelnden und jugendvernarrten Stadt mag man es kaum glauben – aber alle Menschen werden älter, falls sie sich nicht davor schon mit Crystal oder unter Autos Schachmatt gesetzt haben. Ist unsere Gesellschaft auf das alternde Leipzig eigentlich überhaupt vorbereitet? Wird strategisch gedacht und gehandelt?

Leipzig kann nach dem Statistischen Quartalsbericht (IV/2014) im Jahr 2014 ein Bevölkerungswachstum von 12.523 auf 551.871 Einwohner vorweisen. Zudem gab es erstmals seit dem Jahr 1965 mehr Geburten als Sterbefälle. Nichtsdestotrotz werden auch wir uns mit den demografischen Veränderungen und dem Strukturwandel des Alters auseinandersetzen müssen. Die Stadt Leipzig hat im Jahr 2012 den 3. Altenhilfeplan vorgelegt. Es handelt sich dabei um eine freiwillige Aufgabe der Kommune und ist insofern positiv hervorzuheben. Vor diesem Hintergrund wurden 28 Maßnahmen, unter anderem die Etablierung von Seniorenbüros, geplant. Ein strategisches Vorgehen ist also durchaus zu erkennen, wenngleich Theorie und Praxis kontinuierlich zu prüfen sind.

Kannst Du das bitte etwas auf den Stadtteil herunterbrechen, liebe Jule?

Viele Vereine, Verbände und Institutionen in Leipzig engagieren sich mit Herz für ältere Menschen. Nicht zuletzt ist es aber auch eine Frage der Haltung gegenüber alternden Menschen und dem Alter an sich, die das aktuelle Altersbild der Gesellschaft prägen. Hier in Lindenau, fußläufig von unserem Seniorenbüro, wird die Volkssolidarität im Juli das neu gebaute Sozialzentrum “An den Gärten” eröffnen, das vollstationäre Pflege, eine Tagespflege für Senioren, eine Sozialstation und die erweiterte Kita “Prisma” unter einem Dach vereint. Von der Kinderbetreuung und offenen Seniorenarbeit, über Betreutes Wohnen, ambulante Dienste, Kurzzeit-, Tages- und vollstationäre Pflege reicht dann die Betreuungs- und Versorgungsstruktur hier im Carré.

Danke, liebe Jule. Und weiterhin so viel Kraft bei Deiner Arbeit. Grüß mir die Kollegen.

Seniorenbüro Alt-West mit Seniorenbegegnungsstätte
Saalfelder Straße 12
04179 Leipzig
Ansprechpartner: Juliane Maiwald/Simone Winkel
Telefon: 0341/49541102
E-Mail: j.maiwald@volkssolidaritaet-leipzig.de
http://www.volkssolidaritaet-leipzig.de/einrichtung.php?id=10

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