Manchmal muss auch ein Leipziger Journalist in andere Städte reisen, um zu schnuppern, ob auch dort die Luft so beschwingt ist und die Sonne auch anderswo scheint. In Wittenberg war der Tanner, weil da in der Nähe ein Hotel steht, welches von Tannen umrundet ist und die Hotelfrau eigene Hühner hat, die Eier legen, die es dann zum Frühstück gibt. Als er dort weilte, feierte die Lutherstadt gerade irgendetwas mit Fahrrädern und Tanner hatte seine Kamera dabei. Schnippschnapp und klackeliklack und ein Gespräch später wusste Tanner mehr über Vermisste in der BRD und anderswo. Und wer hier liest erfährt eben auch, was der Tanner jetzt weiß.
Hallo Christian Geers, Du bist Gründer des Projekts “Die-Vermisstensuche” und hast hier gerade auf dem Wittenberger Markt einen Stand. Wie – jetzt wirklich in praktisch und direkt – könnt ihr denn bei der Vermisstensuche helfen?
Ich möchte mit meinem Stand die Menschen über unsere Initiative aufklären, was wir so machen. Das Projekt ‘Die-Vermisstensuche’ möchte helfen, vermisste Kinder wiederzufinden über unser Online Portal Die-Vermisstensuche.com. Die Vermissten-Meldungen werden aus sämtlichen Medien recherchiert und auf unser Portal aufgenommen, dazu zählen Online-Zeitungen, Presseportale, Zeitungen, Fernsehen und Radio. Auch können Eltern über unser Portal eine Suchmeldung aufgeben, dazu habe ich ein Suchmelde-Formular erstellt, was gerne verwendet werden kann. Daneben sind wir telefonisch, per E-Mail und über Facebook erreichbar. Wenn wir selbst mal private Meldungen bei Facebook entdecken, versuchen wir den Erziehungsberechtigten anzuschreiben, um zu helfen, denn private Meldungen dürfen nicht einfach so auf Facebook geteilt werden, da es auch schon Falschmeldungen gab. Wir persönlich wollen dann eine Erlaubnis von den Eltern haben, um die private Suchmeldung zu veröffentlichen. Wir wollen auch, dass mehrere Menschen sich mit dem Thema “Vermisste” befassen. Das passiert leider noch zu wenig. Wir wollen zeigen, dass wir für die Vermissten da sind, sowie auch für die Betroffenen.
Und was macht Ihr heute hier genau?
An diesem Tag werben wir auch für die Veranstaltung zum Tag der vermissten Kinder am 25.05.2015 in Berlin auf dem Pariser Platz. Wir möchten an diesem Tag den immer noch vermissten Kindern gedenken und zu 12:00 Uhr Luftballons mit angebunden Zettel mit vermissten Kindern steigen lassen. Dazu gibt es auch einen Infostand zum Informieren über unser Projekt. Ich und Heidi Stein, die ihren Sohn seit 36 Jahren vermisst, veranstalten zusammen diesen Tag. Sie hat ebenfalls einen Stand und stellt u. a. Kinder, die in der DDR vermisst wurden bzw. immer noch vermisst werden vor. Auch der Künstler und Sänger Rainer Garden tritt an diesen Tag ohne Gage auf mit seiner Musik.
Was war bei Dir die Initialzündung dieses Projekt aus der Taufe zu heben?
In meiner Kindheit hatte ich bis zum zwölften Lebensjahr keine gute Zeit. Meine Mutter verstarb als ich vier Jahre alt war. Mein Vater war dem Alkohol verfallen und hat mich und meine Brüder geschlagen und getreten. Mein Vater verstarb, als ich 17 Jahre alt war. Aber mit 12 war ich im Heim und die Zeit war für mich da viel besser als Zuhause. Bevor mein Vater verstarb hatte ich die letzten zwei Jahre zuvor mit ihm Kontakt und hatte ihm verziehen für die Gewalt. Darum entschloss ich mich irgendwas zu machen, um zu helfen. Kinder sollen sich wohlfühlen, wo sie sich geborgen fühlen. Auch ich selbst habe meine Schwester gesucht, die drei Jahre älter ist. Das erfuhr ich aber erst durch Akten meines Vaters, nachdem er nicht mehr war. Das Jugendamt in Wittenberg hatte mir dabei geholfen. Und es hatte ein gutes Ende. Ich habe mit meiner Schwester Kontakt. Da war ich gerade mal 20 Jahre alt. Nach drei Wochen hatte ich dann den Kontakt zu ihr und zwei Monate später war ich auch bei ihrer Hochzeit in Travemünde.
Wie können Euch Menschen unterstützen?
Die Menschen selbst können regelmäßig auf unsere Homepage schauen und sich die Meldungen ansehen und die Augen aufhalten. Jedes Auge sieht mehr und kann somit unterstützen. Sollte man etwas sehen, dann die Polizei informieren. Denn ein vermisstes Kind soll wieder in seiner Umgebung und keiner Gefahr ausgesetzt sein.
Wenn Menschen vermisst werden – gibt es da nachvollziehbare Strukturen? Ich meine – hauen Kinder meistens ab, weil’s zu Hause unaushaltbar ist? Oder gibt es da kriminelle Strukturen im Hintergrund? Was sind Deine persönlichen Erfahrungen der letzten Zeit? Was geschieht zum Beispiel, wenn eine gewalttätige Elternschaft ihr ausgebüchstes Kind sucht – und Ihr findet das dann und erfahrt, dass es zu Hause nur Dresche und Demütigung gab. Wie handelt ihr dann?
Das ist sehr unterschiedlich. Meist hauen Kinder von zu Hause ab und sind aber bereits nach ein paar Stunden wieder da. Wir haben auch Fälle, wo Kinder auch verschleppt werden oder mit älteren Personen mitgehen. Es ist alles dabei, das ist das Traurige. Aber die meisten sind schnell zurück. Sollten wir aber wirklich mal einen Fall haben, dass ein Kind von einem Elternteil gemeldet wird und wir herausbekommen, dass es in einem gewalttätigen Haushalt lebt, dann würden wir es der Polizei melden sowie auch dem Jugendamt, denn so etwas muss geprüft werden. Kinder sollen so behandelt werden, wie ich es gerne auch hätte haben wollen, Liebe, Zuneigung, Geborgenheit. Das hatte mir gefehlt.
Wie ist die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen? Erzähl mal bitte.
Es ist unterschiedlich, mal gibt es Information von Polizeirevieren, wenn es z.B. um den aktuellen Stand der Vermissten geht. Aber meist dürfen sie keine Auskunft geben, sagen sie. Ich wünsche mir hierfür mehr Zusammenhalt. Es gab auch schon Polizisten, die mir auf der Kontakt-Seite meines Suchportals reingeschrieben haben: “Sie können die Meldung löschen. Kind wieder aufgetaucht. Danke für Ihre Mithilfe.”
Danke, Christian. Und auf dass ihr möglichst wenig zu tun bekommt.
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