Das Altartuch ist weg, die Kerzen sind aus. Der Tabernakel ist leer. Die Altarreliquie ist entfernt. Alle liturgischen Geräte sind aus dem Altarraum beseitigt. Mit dem heutigen Tag beginnt die Profanierung der Propsteikirche am Rosental. 1982 wurde sie geweiht. Es ist ein wehmütiger Abschied: Viele sind hier, die mit dieser Kirche Erinnerungen an Familienfeste verbinden. Zugleich beginnt die Vorfreude auf die neue Kirche im Zentrum der Stadt.
Eigentlich ist Gott überall. Er braucht keinen festen Ort: “Der Himmel ist mein Stuhl und die Erde meine Fußbank; was ist’s denn für ein Haus, daß ihr mir bauen wollt?”, steht bei Jesaja. Insofern könnte man auch und gerade aus christlicher Perspektive den heutigen Tag gelassen sehen. Ein Gebäude, das seit 1982 als Kirche genutzt wurde, wird nun nicht mehr kirchlich genutzt. Zumindest der Hauptaltar und der Tabernakel fanden heute zum letzten Mal liturgische Verwendung. Es gibt ja noch eine Tageskapelle. Da werden noch bis zum Freitag Gottesdienste stattfinden. Dann erfolgt in einer Lichterprozession der feierliche Umzug vom Rosental an den Ring, wo am Samstag die neue Propstei eingeweiht wird.
Seit Anfang des Jahres wurde in den Gruppen und Kreisen der Propstei von der Kirche am Rosental Abschied genommen. Nun soll, so der Plan, die Vorfreude beginnen. Das ist leichter gesagt als getan, befand Propst Gregor Giele in seiner letzten Sonntagspredigt am alten Standort: “Wir nehmen einfach zu viel in unseren Herzen, in unseren Köpfen, in unseren Gedanken mit.” Es gilt also Abschied zu nehmen von einem Gebäude, das 1982 nach langen Verhandlungen mit dem Staat am Rande des Rosentals und am Rande des Gemeindegebietes gebaut wurde. Viele Erinnerungen kommen auf: an Taufen, an Konzerte, an Hochzeiten, an Trauerfeiern …
Die Profanierung am Ende des Gottesdienstes wurde durch ein Lied aus dem neuen Gotteslob begleitet: “Ein Danklied sei dem Herren, für alle seine Gnade”. Propst Gregor Giele sah in diesem Lied einen Hinweis darauf, wie christliches Abschiednehmen aussehen kann: “Erinnerung muss sein. Sie zu verdrängen, zu verbieten täte uns nicht gut. Raum muss sein für Erinnerung. Aber wir müssen entscheiden, wie wir mit ihr umgehen. Ob wir die Erinnerung nur wachrufen als Schwelgen im verklärten Vergangenem. […] Oder ob wir die Erinnerung lebendig halten, weil wir in ihr das Wirken Gottes entdecken.” Aus christlicher Perspektive sind geschichtliche Ereignisse auch immer mit Gott verbunden. Zufälle gibt es im Leben des Gläubigen nicht. Zumindest dann, wenn man als Christ von der Prämisse ausgeht, dass Gott in dieser Geschichte wirkt. Und so kann der Propst sagen: “Dass wir hier als Gemeinde zusammen sind, ist kein Zufall, sondern treues, überreiches Sorgen Gottes. Wenn wir uns erinnern, so sollte das im Blick haben: all das hat Gott für uns getan.”
Gläubige verbinden ja ihre Erfolge gerne mit Gott. Theologisch betrachtet reicht das aber nicht. Es macht zudem einen überheblichen Eindruck und ist auch durch die biblische Botschaft nicht gedeckt.
“Für unsere Feste und Feiern, für gute Gespräche und wunderbare Begegnungen, für grandios kirchenmusikalische Gestaltung des Gottesdienstes können wir leicht Gott danken. Die schönen Seiten bringen wir mit seiner Gnade gerne in Verbindung. Könnte es aber auch sein, dass mancher Konflikt und manche Auseinandersetzung, die es in den vergangenen Jahrzehnten selbstverständlich auch in einer christlichen Gemeinde gegeben hat, Gnade Gottes gewesen sind?”
Eine Situation als “Gnade Gottes” begreifen, bedeutet, sie als Möglichkeit zur Veränderung zu begreifen. Wobei manche Situationen wirklich nicht leicht zu ertragen sind. Vielleicht ist es vielfach besser zu schweigen als von Gottes Wirken zu sprechen…
Am Ende des Gottesdienstes jedenfalls wurde der Abschied handgreiflich. In katholischen Altären ist immer ein Erinnerungsstück an einen Heiligen eingelegt. Das soll daran erinnern, dass die Kirche davon lebt, dass Menschen ihr Leben für den Glauben einsetzen. In der Propstei findet sich eine Reliquie von Albertus Magnus. Diese wurde nun aus dem Altar entfernt. Bis zur Überführung am kommenden Freitag wird sie an einem sicheren Ort aufbewahrt. Die Kerzen sind gelöscht. Auch das Ewige Licht, Zeichen der liturgischen Gegenwart Gottes, ist nun erloschen. Der Tabernakel wurde geöffnet. Die heiligen Gaben rausgenommen. Ein bischöfliches Dekret wird nach der Einweihung der neuen Propstei aus der Kirche ein gewöhnliches Haus machen. So endet ein Kapitel regionaler Kirchengeschichte.
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