Vor 70 Jahren, am 9. April 1945, wurde Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), Pfarrer und Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime, nach fast zweijähriger Gestapo-Haft im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet. Man kann nicht oft genug an diesen bedeutenden theologischen Lehrer, politisch wachen Zeitgenossen und Märtyrer unserer Kirche erinnern. Denn Bonhoeffer gehörte zu den Wenigen, die von Anfang an das Nazi-Regime als verbrecherisch durchschauten, den Führerstaat als Widerspruch zum 1. Gebot analysierten und die militante Judenfeindlichkeit als Gotteslästerung anprangerten.
Außerdem verfügte Bonhoeffer über eine für damalige Verhältnisse außergewöhnliche ökumenische Weitsicht und öffnete sich dem, was wir heute interreligiösen Dialog nennen. So hatte er Anfang der 30er Jahre vor, nach Indien zu reisen und dort Mahatma Gandhi kennenzulernen.
Wer sich heute mit Dietrich Bonhoeffer beschäftigt, der muss über den Tellerrand unserer Gesellschaft und unserer Kirche schauen – insbesondere in einer Zeit, in der wir in Deutschland stark mit uns selbst beschäftigt sind. Und dies in doppelter Weise: Zum einen hat Deutschland innerhalb Europas, aber auch innerhalb der Weltgemeinschaft eine enorme politische und ökonomische Machtstellung erhalten. Dieser gerecht zu werden, bedarf eines sorgfältigen gesellschaftlichen Diskurses. Zum andern wachsen die Bestrebungen und Bewegungen innerhalb der Gesellschaft, sich aufgrund dieser starken Stellung gegen globale Einflüsse abzuschotten.
Dafür steht die aggressive Asyldebatte, wie sie derzeit von Pegida, AfD und NPD geführt wird. Beiden Entwicklungen wohnt die Gefahr inne, dass Deutschland sich überschätzt und dass die Menschen kulturelle und religiöse Vielfalt, auch die der unterschiedlichen Lebensentwürfe als Bedrohung ansehen.
Wenn wir an Bonhoeffer erinnern, dann sollte uns vor allem
- sein glaubwürdiges Christentum
- seine politische Wachheit
- seine friedenspolitischen Einsichten
- sein Interesse an anderen Religionen einschließlich der Religionslosigkeit
interessieren. Wie kaum ein anderer vermochte Bonhoeffer seine tiefe Verwurzelung im christlichen Glauben zu verbinden mit konsequenter Christus-Nachfolge und einem hohen Maß an politischer Weltverantwortung.
In einer Welt, in der sich die Gewaltpotentiale anhäufen und gleichzeitig die Bereitschaft zu kriegerisch ausgetragenen Konfliktlösungen wächst, in einer Welt, in der auf der einen Seite in den Industrienationen sich globale Vielfalt in multireligiösem Zusammenleben niederschlägt, auf der anderen Seite aber mehr denn je Christen aufgrund ihres Glaubens verfolgt werden, in einer solchen Welt gilt es, aus dem Christuszeugnis Orientierung zu gewinnen, um die Grundlagen des eigenen Glaubens nicht zu verraten. Dies ist insbesondere im Blick auf den islamistischen Terror gegen Christen und christliche Kirchen im Nahen Osten und in Afrika dringend erforderlich. Der Anschlag der Al-Shabaab-Miliz auf die Universität Garissa/Kenia und die systematische Tötung von 142 christlichen Studierenden zeigt auf erschreckende Weise die Dramatik an.
Innergesellschaftliche und außenpolitische Konflikte werden auf die Religion übertragen.
Bestimmte religiöse Überzeugungen wie der christliche Glaube werden stigmatisiert und mit brutaler Gewalt bekämpft. Dabei ist dies nicht auf den Islam beschränkt. Die katastrophalen militärischen Interventionen am Golf 1991 und 2003 wurden von der jeweiligen Bush-Administration christlich-westlich ideologisiert – mit fatalen Folgen. Kein Wunder, dass so in der arabisch-islamischen Welt kaum auflösbare, religiös motivierte Feindbilder entstanden sind und die sogenannten westlichen Werte schier irreparabel beschädigt wurden.
Allerdings: Damit kann und darf heute religiös motivierter Terror nicht beschönigt oder gerechtfertigt werden. Vielmehr haben wir zu erkennen, dass Christen immer dann verfolgt werden, wenn sie die Glaubensgrundsätze vertreten, die Krieg, Gewalt, Terror, Diktatur ausschließen und damit delegitimieren und die Religions- und Glaubensfreiheit, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Achtung des geschwächten Lebens, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewährleisten – wenn also wie bei Bonhoeffer das Gebet und das Tun des Gerechten miteinander verbunden werden.
So ist heute beides gefordert: eine klare friedenspolitische Option, die sich an der Gewaltlosigkeit Jesu orientiert, und ein sich interreligiös verstehender Widerstand gegen islamistischen, gegen jeden religiös-fundamentalistischen Terrorismus. Dabei wird es darauf ankommen, dass die grauenhaften Gewalttaten gegen Christen wie in Kenia oder Nigeria nicht dazu benutzt werden, bei uns das interreligiöse und multikulturelle Zusammenleben infrage zu stellen bzw. darin eine Rechtfertigung für antiislamische Aktionen a la Pegida zu finden. Vielmehr haben wir uns an dem zu orientieren, was in Garissa nach dem Attentat auf die Universität geschehen ist:
Ein Zusammenrücken der Menschen unterschiedlicher religiöser Überzeugungen, ein Aufruf zu einem friedlichen Zusammenleben von Christen und Moslems durch die Vertreter der Religionsgemeinschaften
So haben jetzt auch die katholischen Bischöfe in Nigeria die Wahl des muslimischen Präsidenten Muhammadu Buhari (nicht zuletzt durch viele Christen) und seine nicht-muslimische Agenda begrüßt. Das sind wichtige Signale dafür, dass in sich entwickelnden Gesellschaften unterschiedliche religiöse Ausrichtungen der Bürgerinnen und Bürger möglich sind, ohne sich gegenseitig zu diskriminieren. Allerdings müssen wir in Deutschland, insbesondere auch in den Kirchen, sehr viel offensiver die weltweiten Christenverfolgungen anprangern und sie zum Thema erheben – nicht um Gräben zwischen den Religionen zu vertiefen, sondern um die Notwendigkeit des interreligiösen Zusammenlebens zu unterstreichen und zu gestalten. Nur so werden wir vor Nabelschau und Religionsfeindschaft bewahrt und gelangen zu dem, was das Wichtigste ist: Glaubwürdigkeit in der Christus-Nachfolge.
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