Homophobe Fangesänge, antisemitische Sprüche und Sympathiebekundungen für Legida. Diskriminierendes Gedankengut ist in Leipziger Stadien vereinsübergreifend präsent. Robert Claus ist Mitherausgeber des Sammelbands "Zurück am Tatort Stadion", dessen Beiträge sich mit Diskriminierung und Antidiskriminierung in Fußball-Fankulturen auseinandersetzen. Der Fanforscher erklärt im Gespräch mit L-IZ.de, warum Politik auch in Zukunft nicht aus den Kurven zu verbannen sein wird.
In Ihrem Buch ist mehrmals von “alten Werten” die Rede, deren Aufrechterhaltung rechts offene Fangruppen einfordern. Aus welchen Eckpfeilern besteht dieser Wertekanon?
Unter dem Schlagwort der „Alten Werte“ sammelt sich in manchen Stadien eine Grauzone aus rechtsaffinen Ultras, Alt- und Junghooligans sowie extrem rechten Aktivisten. Ihr Ziel ist es, Antidiskriminierung aus dem Stadion zu verdrängen, um gewalttätiger Männlichkeit und damit einhergehenden Vorstellungen von Ehre und Dominanz ungestört fröhnen zu können.
Wie erklären Sie sich das Paradoxon, dass “unpolitische” Fans politisch aktiv werden, indem sie die Verbannung jeglicher Politik aus der Kurve verlangen?
Das Paradoxon löst sich auf zwei Wegen auf: Zum einen wird von vielen Fans Politik mit Parteipolitik verwechselt. So wollen sie Zweites nicht im Stadion haben, verurteilen das Erste aber gleich mit. Doch wenn Fans zum Beispiel gegen erhöhte Eintrittspreise protestieren, ist dies ebenso eine politische Handlung, die konkret soziale Themen – nämlich Teilhabe am gesellschaftlichen Event Fußball – verhandelt.
Ein weiterer – kleinerer Teil – an Fußballfans versucht sich darüber hinaus aktiv hinter dem Slogan „Keine Politik im Stadion“ zu verstecken, um Gewalt und Diskriminierungen ungestört ausleben zu können. Diese Fans waren somit nie unpolitisch – was sich bei HoGeSa letztlich offen zeigte.
Kann es die unpolitische Kurve, die von vermeintlich unpolitischen Fans eingefordert wird, überhaupt geben?
Nein, es kann sie nicht geben. Dafür sind der Fußball allgemein, aber auch die Bundesligastadien im Speziellen, zu prägend für die bundesdeutsche Gesellschaft. Es gibt jedoch viele Stadien, in deren Stehplatzkurven keine Parteipolitik präsent ist.
Inwieweit hat das Auftauchen islamophober und fremdenfeindlicher “Bürgerbewegungen” wie Pegida und Legida das politische Klima innerhalb von Fanszenen speziell in Ostdeutschland beeinflusst?
Es ist und bleibt eine Wechselwirkung: An einigen Standorten wären die GIDA-Demonstrationen nicht ohne die aktive Unterstützung der extrem rechten Hooliganszenen möglich gewesen. Sie erweisen sich somit, zum Beispiel durch ihre Funktionen als Ordner, als infrastrukturelles Rückrat der Demonstrationen und stellen gleichzeitig ihren Machtanspruch in den Fanszenen zur Schau.
Schauen wir an einen anderen Ort, nach Bremen: Dort sehen wir, wie eine relativ kleine, aber durch HoGeSa gestärkte extrem rechte Hooliganszene derzeit wieder versucht, die eher links orientierten Ultras anzugreifen. Sie nehmen den Rückenwind und das erhöhte Selbstbewusstsein mit, sie stellen die Machtfrage.
Zweitligist RB Leipzig hatte vergangenen Dezember seinen Ultras das Präsentieren von Tapeten mit Anti-Legida-Parolen untersagt. Ein fatales Signal in Richtung rechts offener Fans, die mit dieser “Bewegung” sympathisieren?
Unabhängig vom Standort sind Fußballvereine jeder Spielklasse gut beraten, sich aktiv gegen Rassismus und extrem rechte Demonstrationen zu positionieren. Nur so kann verhindert werden, dass das Problem irgendwann einmal im eigenen Stadion auftaucht und man es nur noch sehr schwer wieder los wird.
Vielen Dank für das Gespräch.
Robert Claus, Jg. 1983, ist seit November 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kompetenzgruppe “Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit” am Institut für Sportwissenschaft der Universität Hannover.
Martin Endemann/Robert Claus/Gerd Dembowski/Jonas Gabler (Hrsg.)
Zurück am Tatort Stadion. Diskriminierung und Antidiskriminierung in Fußball-Fankulturen
Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2015, 384 Seiten, 19,90 Euro
ISBN: 978-3-7307-0131-7
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