Crystal ist die Modedroge des 21. Jahrhunderts. Die Kristalle, die bisweilen an Kandiszucker erinnern, sind in Sachsen längst die harte Droge Nummer eins. Der Berliner Investigativ-Journalist Maik Baumgärtner hat gemeinsam mit zwei Kollegen ein Buch über das gesellschaftliche Phänomen geschrieben. L-IZ.de hat mit dem Crystal-Experten über die Gefahren der synthetischen Droge gesprochen.

Wer ist der typische Crystal-Konsument?

Den holzschnittartigen Crystal-Konsumenten gibt es nicht. Die Droge erreicht viele Altersgruppen und Schichten, die solchen Versuchungen gegenüber zuvor immun schienen. Während der Recherchen haben meine Kollegen und ich mit Arbeitslosen, Arbeitern, Studenten und Unternehmern, Soldaten und Partygängern gesprochen – nicht zu vergessen die alleinerziehenden Mütter.

Für den Konsum gibt es vielfältige Motive und Muster: Spaß haben, Party machen, hellwach und konzentriert sein oder auch nur die Langeweile überbrücken. Allerdings sind das lediglich subjektive Beobachtungen, für Deutschland gibt es bislang lediglich eine wissenschaftliche Untersuchung zum Thema.

Was macht diese Droge so gefährlich?

Das größte Problem ist die schnelle Verfügbarkeit und der vergleichsweise günstige Preis. Nie zuvor war es so einfach, an eine harte Droge zu kommen, ohne einen Dealer persönlich kennen zu müssen. In der Grenzregion zu Tschechien reicht ein kurzer Ausflug in das Nachbarland, um sie schnell und günstig zu kaufen.

Aus Sicht der Konsumenten ist Crystal Meth sehr effektiv in der Wirkung und übertrifft Kokain und klassische Amphetamine wie Speed um ein Vielfaches. Viele Konsumenten, die jenseits von Partys zu der Droge greifen, erfahren besonders zu Beginn viel Zuspruch, etwa bei der Ausbildung, im Studium und im Berufsleben, weil sie leistungsfähiger wirken. Erst bei dauerhaftem Konsum folgen Sucht und sozialer Absturz als logische Konsequenzen.

Wie wirkt der Inhaltsstoff Methamphetamin auf den menschlichen Körper?

Methamphetamin ist nichts anderes als ein Dopingmittel für das Gehirn, um schnell große Kraftreserven zu mobilisieren. Es versetzt den Körper in einen Alarmzustand. Das Nervensystem schüttet die Stresshormone Adrenalin, Dopamin und Noradrenalin aus. Dadurch können sich Konzentration, Leistungsbereitschaft, Belastbarkeit und Risikobereitschaft kurzfristig steigern. Zugleich werden Gefühle von Müdigkeit, Hunger und Durst unterdrückt.

Mit welchen Nebenwirkungen müssen Konsumenten rechnen?

Viele Konsumenten tendieren dazu, schnell eine wachsende Toleranz gegenüber dem Wirkstoff zu entwickeln, das heißt, dass immer größere Einnahmemengen nötig sind, um den Rauschzustand zu wiederholen. Deshalb ist die Gefahr, von Crystal Meth abhängig zu werden, vergleichsweise hoch.

Andere Negativfolgen sind Konzentrationsschwächen und die zunehmende körperliche Auszehrung. Bei Dauerkonsumenten trocknen die Mundschleimhäute aus und es kommt zu Zahnproblemen.

Dazu kommen psychische Probleme, etwa in Form von Psychosen und Angstzuständen, die schon bei einmaligem Konsum auftreten können. Einige Konsumenten haben das Gefühl, ohne Crystal nichts mehr bewältigen zu können, oder sind unfähig, Glücksgefühle zu empfinden.

Wie erklären Sie sich, dass speziell in Sachsen und Bayern in den letzten fünf bis sieben Jahren ein regelrechter Crystal-Boom ausgebrochen ist?

Das liegt hauptsächlich an der Nähe zur tschechischen Grenze. Dort wird in unzähligen kleinen und auch in einigen Großlabors die mit Abstand größte Crystal-Menge für den europäischen Markt produziert – das hat historische Gründe, in Tschechien hat die Droge eine langjährige Konsumtradition. In den vergangenen Jahren sind die Produktionskapazitäten in Tschechien ständig gewachsen.

Mittlerweile können Großlabore bis zu zehn Kilogramm pro Tag herstellen. Spezielles Expertenwissen ist nicht erforderlich, um in das Geschäft einzusteigen. Die Zutaten lassen sich etwa aus Erkältungsmitteln extrahieren, die chemische Synthese ist nicht weiter aufwendig. Mit der richtigen Anleitung kann es jedem gelingen, im eigenen Wohnzimmer Crystal herzustellen. Für die Produzenten ist es ein lukratives Geschäft, weil die Nachfrage in Deutschland und Österreich steigt.

Ist Crystal die Droge des 21. Jahrhunderts?

Crystal ist die Droge der Leistungsgesellschaft. Man könnte sagen: Zeitgeist zum Schniefen. Was jedoch immer vergessen wird, ist die jahrzehntelange Konsumtradition von Methamphetamin auch in Deutschland. Die Nazis haben mit dem Stoff im Zweiten Weltkrieg schon ihre Soldaten aufgeputscht. Und auch in Tschechien gibt es seit der Niederschlagung des Prager Frühlings eine aktive Meth-Szene. Nicht zu vergessen ist der weit verbreitete Konsum in den USA und Asien.

Anlass zur Sorge gibt die Entwicklung, dass weltweit Produktion und Handel von Methamphetamin zunehmen. Wie Studien immer wieder unter Beweis stellen, steigt unter der deutschen Bevölkerung die Bereitschaft zur Einnahme leistungssteigernder Mittel – sei es, um im Schichtbetrieb durchzuhalten, nächtelang ohne Schlaf für die nächste Uni-Klausur zu lernen oder von früh bis abends Leistung am Schreibtisch zu bringen.

Bei all dem darf man nicht vergessen: Es sind gerade auch die sozial Abgehängten, die auf Crystal hängen bleiben, besonders in den ländlichen Regionen – ganz anders als zur Hochzeit von Heroin. Das ist eine völlig neue Entwicklung.

Wie lässt sich dem Phänomen wirksam und nachhaltig begegnen?

Foto: Privat
Maik Baumgärtner. Foto: Privat

Die repressiven Mittel scheinen nahezu ausgeschöpft, Zoll und Polizei arbeiten an der Grenze ihrer Kapazitäten. Wird ein Dealerring ausgehoben, folgen anderswo neue nach. Denn wo eine große Nachfrage ist, gibt es auch viele Anbieter, die auf den Markt drängen. Also muss man sich im Anti-Crystal-Kampf stärker auf den Konsumenten konzentrieren.

Es ist unerlässlich, auf Prävention zu setzen und mehr Aufklärungsarbeit zu leisten. Ebenso sollte das Therapie- und Hilfesystem gestärkt werden. Es gibt viele Jugendeinrichtungen, die zwar hervorragende Arbeit in der Prävention und bei der Hilfe zur Entgiftung leisten, aber personell schlecht ausgestattet und demzufolge völlig überlastet sind. Grundsätzlich fehlt es bisher an fundierten wissenschaftlichen Untersuchungen über die Konsumentenschichten und Konsummuster, an deren Ergebnisse zielgerichtete Präventionsprogramme überhaupt anknüpfen könnten.

Der Freistaat Sachsen arbeitet bei der Jagd nach Drogenringen mittlerweile eng mit den tschechischen Behörden zusammen. Sind härtere Strafen für Dealer und Produzenten ein möglicher Lösungsansatz, um dem Problem Herr zu werden?

Das ist der falsche Ansatz. Solange die Nachfrage nicht wirksam eingedämmt wird, kann der Staat den Dealern und Produzenten nicht das Handwerk legen. Trotzdem gibt es auch im Bereich der Sicherheitsbehörden Nachholbedarf. Wichtiger als härtere Strafen ist der Ausbau der Kooperation zwischen Zoll und Polizei auf deutscher und tschechischer Seite. Auf dem Gebiet gab es zwar bereits erste Erfolge, wie das Beispiel Sachsen beweist, aber darauf sollte sich die Politik keinesfalls ausruhen.

Welche weiteren Handlungsoptionen stehen der Politik offen, um eine weitere Verbreitung der Droge zu unterbinden?

Wichtig sind ein europäischer Austausch und die Entwicklung gemeinsamer Konzepte. Zum Beispiel stammt ein Großteil der zur Produktion von Crystal benötigten Medikamente mittlerweile aus Polen. Es greift also viel zu kurz, mit dem Finger allein auf Tschechien zu zeigen.

Methamphetamin wird europaweit gehandelt, ebenso wie die für die Synthese notwendigen Ausgangsstoffe. Was spräche dagegen, einheitliche Richtlinien bei der Höhe des Wirkstoffgehalts des Ausgangsstoffs Ephedrin in frei verkäuflichen Medikamenten für ganz Europa festzulegen? Das würde den Protagonisten des Crystal-Geschäfts die Arbeit erheblich erschweren. Dafür sollte sich die deutsche Politik auf europäischer Ebene stark machen.

Trägt die kulturelle Auseinandersetzung mit dem Phänomen, etwa in der erfolgreichen TV-Serie “Breaking Bad”, zur Aufklärung über die Gefahren des Crystal-Konsums bei?

Die fiktionale Welt von “Breaking Bad” steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der realen Entwicklung und spricht ein spezielles Publikum an, das hohe Ansprüche an eine Fernsehproduktion hat. Deshalb kann man auch nicht sagen, die Serie hätte den Crystal-Konsum in Deutschland befördert. Dafür waren die Einschaltquoten dann doch zu gering. Im Gegenteil: “Breaking Bad” geht äußerst kritisch mit der US-amerikanischen Gesellschaft ins Gericht.

Thematisiert werden die Crystal-Flut auf dem flachen Land, das mangelhafte Gesundheitssystem, die grassierende Armut infolge der Wirtschaftskrise und die Brutalität mexikanischer Drogenbarone. Serien-Protagonist Walter White, der unbescholtene Familienvater, der sich nach seiner Krebsdiagnose in einen profitgierigen Meth-Koch verwandelt, taugt nicht zum Serienheld. Er ist allenfalls ein Antiheld.

Trotzdem hat sich um die Serie auch in Deutschland eine eingeschworene Fangemeinde entwickelt, was schon mal seltsame Blüten treibt – etwa wenn Internetforen damit zugeschrieben werden, wie man für Karneval am besten künstliches Meth aus Zucker herstellen könne. Zweifelsohne ist Crystal durch “Breaking Bad” vielen ein Begriff geworden, dabei ist die Droge schon seit Jahrzehnten Gegenstand der kulturellen Auseinandersetzung, wie Songs von Pop- und Rockgrößen wie Motörhead, Guns ‘N’ Roses und Lana Del Ray zeigen.

In der Tschechoslowakei, also noch zu Zeiten des Eisernen Vorhangs, erschien mit “Memento” eine Art Schlüsselroman, der das Elend von Meth-Süchtigen beschreibt und bis heute nicht an seiner Aktualität eingebüßt hat.

Vielen Dank für das Gespräch.

Maik Baumgärtner, Mario Born, Bastian Pauly
Crystal Meth. Produzenten, Dealer, Ermittler

224 Seiten, Ch. Links Verlag, 16,90 Euro
ISBN: 978-3-86153-820-2
Erscheint 22. April 2015

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