Das Jüdische Museum Frankfurt und das Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig wollen zukünftig eng zusammenarbeiten. Dazu passt diese Personalentscheidung: "Prof. Dr. Raphael Gross wird zum 1. April 2015 Direktor des Simon-Dubnow Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig." Der Schweizer Historiker bleibt bis zum 30. April 2016 Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt. Auch in London ist er vorläufig noch beschäftigt.
Der Schweizer Historiker ist seit 2006 Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt. Seit 2001 leitet er das Leo Baeck Institut in London. Bis an beiden Orten die Nachfolger feststehen, wird er diese Stellen neben seiner neuen Tätigkeit in Leipzig beibehalten. Der Frankfurter Kulturdezernent Felix Semmelroth stellt ihm vor dem Wechsel ein gutes Zeugnis aus: „Raphael Gross hat nicht nur mit großartigen Ausstellungen das Bewusstsein für die jüdische Kultur- und Geistesgeschichte und deren unschätzbaren Beitrag zur europäischen Kultur geschärft, sondern auch das Verhältnis von Geschichte und Gegenwart des Judentums verdeutlicht und so Verbindungen für die Zukunft gestiftet.”
Besondere Aufmerksamkeit erhielt der Historiker 2010 für sein Buch “Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral”. Darin blickt er in unterschiedlichen Perspektiven auf Moralvorstellungen im Dritten Reich: “Im Nationalsozialismus haben Sie schon auf der ideologischen Ebene, wenn Sie sich die Reden anschauen, eigentlich alles Moralische – Tugenden, Kameradschaft, Treue, Ehre – das heißt es ist eine unglaubliche Moralisierung, die stattfindet. Und die bezieht sich praktisch auf alle Lebensbereiche, auf ganz banale, ob sie jetzt sozusagen ein ‘deutsches’ Giebeldach haben und deswegen sozusagen mitfühlen, oder einen Gartenzwerg vorne haben, bis zu ihrer intimsten Sphäre, dass man Ihnen eben vorschreibt, mit wem Sie Sex haben dürfen und mit wem nicht.”
Diese partikulare Moral, die nur innerhalb der eigenen Gruppe galt und die anderen nicht zugänglich war, führte zu bizzaren Reden. Berühmtestes Beispiel ist die Posener Rede von Heinrich Himmler, in der er sagte, es sei “ein Ruhmesblatt der Geschichte, dass seine SS-Männer trotz der Massenmorde und Leichenberge in den KZs anständig geblieben seien.” Auch das ist Thema des Buches. Ebenso wie die Wirkungsgeschichte über das Ende des Dritten Reiches hinaus. Die “Anwendung des Blutschutzgesetzes” sei damals “ohne Zweifel zu Recht erfolgt” urteilte etwa 1950 ein deutsches Gericht.
An der Leipziger Universität ist die Freude groß, einen international renommierten Wissenschaftler gewonnen zu haben. Und auch Sachsens Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Dr. Eva-Maria Stange erklärt: “Ich freue mich sehr, dass wir mit Herrn Professor Raphael Gross einen so renommierten Wissenschaftler für das Simon-Dubnow-Institut in Leipzig gewinnen konnten. Ich heiße ihn herzlich in Sachsen willkommen und bin mir sicher, dass er die erfolgreiche Arbeit des Instituts unter der Leitung von Prof. Dan Diner weiter voranbringen wird. Er kennt die Leipziger Einrichtung, war bereits Mitglied im wissenschaftlichen Beirat und wird mit seiner Internationalität auch die Forschungszusammenarbeit mit zahlreichen wissenschaftlichen Einrichtungen in aller Welt stärken.”
Das Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur e.V.erforscht jüdisches Leben vornehmlich in Mittel-, Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa. Der Zugang ist interdisziplinär und umfasst früh Neuzeit bis in die Moderne. Es beschäftigt derzeit über 30 Personen auch in Drittmittelvorhaben und ist international dicht vernetzt.
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