Britta Taddiken ist Pfarrerin der Thomaskirchgemeinde in Leipzig. Sie ist Nachfolgerin von Christian Wolff. Mit ihr sprach ich über die geplanten Aktivitäten zum großen Reformationsjubiläum 2017, den Katholikentag 2016, das Paulinum und die Rolle der Gemeinde bei den letzten Demonstrationen für ein weltoffenes Leipzig. Ein Rückblick auf die friedliche Revolution rundete das Gespräch ab.
Zurück zur Thomaskirchgemeinde selbst. Welche anderen Projekte gibt es, in denen die Gemeinde in die Gesellschaft hinein ausstrahlen möchte.
Zum einen ist der Klassiker zu nennen. Freitag, Samstag, mit den Motetten und Sonntag mit den Gottesdiensten. Es gibt einfach ein gepflegtes, liturgisches Programm.
Da kommen ja auch viele Touristen in die Kirche.
Klar, bei einer großen, berühmten Kirche, die mitten in der Stadt liegt. Aber Touristen sind keine grünen Männchen von fremden Galaxien und Sternen, sondern das sind Leute, die durchaus einen kirchlichen Bezug haben. Wer geht denn, wenn er sonntags in einer Stadt ist, in eine Kirche? Das sind ja Leute, die das mehr oder weniger gezielt machen. Es wird manchmal so getan, als würden diese nicht richtig zählen. Aber wenn sie irgendwo in einer Stadt sind, möchten sie auch nicht so behandelt werden. Diese Touristen sind auch unsere Gemeinde. Auch für die sind wir da. Eine Kirchgemeinde wie die unsrige hat gerade auch für dieses sich findende, komplexe Abbild der Gesellschaft unter der Kanzel eine besondere Verpflichtung.
Da ist auch eine besondere Erwartungshaltung da und die ist hoch. Gott sei dank. Nicht nur an die Musik, sondern auch an das Wort. Und das ist eine besondere Herausforderung und eine besondere Ausstrahlung. Es müssen nicht alle gut finden, was wir so sagen, aber ich denke, man kriegt hier was zu hören.
Die Thomaskirche liegt mitten in der Stadt, das heißt auch mitten in den sozialen Problemen dieser Stadt.
Wir haben, denke ich, eine sehr gut aufgestellte Sozial- und Beratungsarbeit, haben auch gute Mitarbeiter dafür. Und haben jetzt auch angefangen, eine syrische Flüchtlingsfamilie zu begleiten. Wir haben jetzt über den Bundesfreiwilligendienst eine Beschäftigung als Hausmeister eingerichtet. Da muss man dann auch selber ein bisschen Geld in die Hand nehmen. Gemeindemitglieder und andere haben uns mit Spenden geholfen, so dass wir jetzt eine Familie so weit versorgen, dass der Mann nun eine Beschäftigung hat.
Ziel ist, dass sie nicht einfach nur rumsitzen, dass sie hier die Kultur kennenlernen, dass sie die Menschen kennenlernen, dass sie was zu tun haben und eben das Gefühl bekommen, sie können hier irgendwie weiterleben und müssen nicht nur warten und schauen, was sich entwickelt. Man ist ja darüber versichert. Das sind alles so Dinge, die wichtig sind. Und es gibt ja viel zu tun, im Innenbereich, im Außenbereich. Da versuchen wir auch etwas mehr zu machen. Wir wollen diese Stelle aufstocken und haben Mittel aus dem Fond “Weltoffenes Sachsen” beantragt.
Daneben sind wir auch eine ganz normale Kirchgemeinde. Wir sind sehr stark wachsend im Bereich junger Familien mit Kindern. Konfirmandenjahrgänge werden immer größer und größer. Da müssen wir die Jugendarbeit gut aufstellen. Wir haben einige mehr Angebote, etwa im Bereich Pfadfinder. Die sind im Osten noch nicht so verbreitet. Das machen wir seit zwei Jahren und es läuft ganz gut. Jetzt haben wir schon zwei ziemlich große Gruppen, die sich wiederum in kleinere Gruppen aufteilen. Man muss manches einfach machen. Und dann klappt’s oder es geht vor den Baum. Aber dann hat man es wenigstens versucht und weiß, was man das nächste Mal anders machen muss.
Anderes Thema: Ökumene. Nicht weit von hier wird ja eine große Kirche gebaut, die katholische Propsteikirche. Gibt es da schon Pläne, wie man die räumliche Nähe der zwei Kirchen nutzen möchte?
Ganz konkret noch nicht. Ich denke, da muss man sehen, wie ist das nachher, wie spielt sich das ein. Wir haben ja gute Kontakte, erst mal im laufenden Betrieb wie zum Beispiel immer wieder mal ökumenische Trauungen. Wir machen jedes Jahr den ökumenischen Gottesdienst auf dem Thomaskirchhof, das kann man dann sicherlich auch mal da machen oder im Wechsel. Aber das gehen wir dann an, wenn die Kirche fertig ist. Wir freuen uns jedenfalls über den neuen Nachbarn. Wir haben das ja auch immer wieder mal kräftig durch Kollekten unterstützt. Das war uns echt ein Anliegen, auch als Thomaskirche.
Zum Reformationsjubiläum im letzten Jahr hatten wir die ganze Kollekte dafür zur Verfügung gestellt, was uns auch sehr viel Kritik eingebracht hat. Viele Evangelische und auch aus der Gemeinde selbst fragten, ob das denn wirklich sein müsse. Und ich sagte, ja, genau an solchen Punkten muss es sein. Wenn wir irgendwie glaubwürdig in dieser Richtung sein wollen, dann muss es sein.
Ein anderer Punkt, wo die Katholiken in Leipzig auf Unterstützung angewiesen sind, ist der Katholikentag 2016.
Genau. Da sind wir ja auch mit Gastgeber. Wir haben da einige Veranstaltungen, wir wissen noch nicht genau welche, aber wir sind ja schon vor langer Zeit gebeten worden, den Saal im Dittrichring als auch am Thomaskirchhof und die Lutherkirche zur Verfügung zu stellen. Das machen wir natürlich gerne. Jetzt sind wir auch dabei, für die Leipziger Disputation, nach dem Vorbild der Disputation 1519, eine Veranstaltung zu planen, wo in der Zeit des Kirchentags dann ein hoher katholischer und evangelischer Theologe miteinander diskutieren.
Also eigentlich wird das nächste Jahr ein ökumenischer Kirchentag?
Das ist ja eigentlich das Interessante hier. Dadurch, dass man gemeinsam in der Minderheit ist, kommt man sich in vielen Themen viel näher und alles ist viel einfacher. Also anders, als wenn einer die Übermacht hat, wo dann der eine doch eher geneigt ist, dem anderen zu sagen, wo es langgeht. Das ist hier ein bisschen anders.
Das ist schön. Denn im Kernland der Reformation könnten Sie auch sagen, die evangelische Kirche hat das Sagen.
Nun, historisch stimmt das. Aber in den Zahlen spiegelt sich das nicht mehr wieder. Da ist es so, dass wir alle miteinander ein Bruchteil der Bevölkerung ausmachen.
Dementsprechend gibt es dann in Leipzig eher die Diskussion: Warum braucht man diese Religionen noch?
Deshalb sind auch interreligiöse Treffen sehr wichtig. Feiern, wo die verschiedenen Religionen, die es in Leipzig gibt, zusammenkommen und etwas vorstellen aus ihrer Arbeit, ihren Schriften, ihrem Glauben und man einander zuhört. Und da haben wir in den letzten beiden Jahren zur Eröffnung der interkulturellen Wochen im September richtig tolle Feierstunden gemacht. Die eine im Ariowitschhaus, die andere war im Neuen Rathaus, wo sieben, acht Religionsgemeinschaften sich beteiligt haben.
Man war zusammen und hat dem anderen zugehört. Hinterher gab es dann immer diesen Markt der Köstlichkeiten, wo jede Gemeinschaft auch etwas beigetragen hat und wo man dann zusammen war mit Essen und Trinken und Gesprächen. Daneben gibt es den interreligiösen Stammtisch. Das wird von uns hier organisiert und der Stadt ist das auch sehr wichtig. Deshalb unterstützen sie das auch logistisch.
Engagiert hat sich die Thomaskirchgemeinde auch bei den Veranstaltungen für ein weltoffenes Leipzig.
Wir versuchen, immer in Bewegung zu bleiben. Zu agieren, manchmal auch zu reagieren. Wir haben uns von Dezember bis jetzt an den Montagsveranstaltungen sehr stark beteiligt, also logistisch dafür zu sorgen, dass genug Ordner da sind, dass die Informationen verteilt werden. Wir haben immer hier die Pressekonferenzen gemacht und uns am nächsten Tag zusammengesetzt mit DGB, Verdi, Erich-Zeigner-Haus usw., um das auszuwerten und zu schauen, wie machen wir weiter. Das ist ein ganz gutes Netzwerk, was da arbeitet. Das ist jetzt nicht zum ersten Mal zusammengekommen. Das gibt es schon seit Beginn des neuen Jahrtausends, als die NPD versucht hat, Leipzig zu einem Stützpunkt zu machen.
Das ist damals durch die Gegenwehr aus dem bürgerlichen Lager verhindert worden. Die Bürgerschaft muss hier in Leipzig nicht erst vom Oberbürgermeister aufgefordert werden, etwas zu machen, wie etwa in Dresden, wo dann eine Demo organisiert wird – von der Stadt! Das ist dann schon anders in der Bürgerstadt, das kriegen die Bürger hier schon selber auf die Reihe. Trotzdem könnte da auch hier noch mehr passieren. Und gerade wenn ich an die Tradition denke, in der Leipzig steht, dann sind da noch ganz andere Dinge drin.
Leipzig gilt als die Stadt der friedlichen Revolution und der Montagsgebete. Pfarrer Führer betrachtete das Ereignis als biblisches Wunder. Wie deuten Sie die Ereignisse von damals?
Ich bin erst 2011 nach Leipzig gekommen, war also nicht dabei. Ich finde aber bemerkenswert, dass bei der ganzen Geschichte nichts passiert ist, dass es friedlich geblieben ist, dass nicht geschossen wurde.
Auf der anderen Seite denke ich immer, Wunder ist ein hoher Begriff. Klar ist, was keine Substanz hat, wird auch keinen Bestand haben. Und die Bibel zeigt uns: 40 Jahre ist die Zeit, nach der der Wechsel kommt und in der DDR war es genauso. Aber da müssen Sie eher mit den Kollegen, die aus dieser Region stammen, sprechen, das kann ich einfach auf einer so emotionalen Ebene nicht sehen. Ich habe aber natürlich Kontakt in der Gemeinde zu Leuten, die das sehr unterschiedlich sehen. Die einen, die mit Pfarrer Führer vom Wunder sprechen und andere, die das sehr kritisch sehen und sagen: pass mal auf, Kerzen und so, das hatten wir nicht. Was wir hatten, war Schiss.
Und wir waren jeden Moment drauf und dran, wegzurennen. Da waren viele dabei, die wollten nicht in dem Sinne Gedankenfreiheit, die wollten einfach in den Westen. Die wollten einfach die D-Mark. Machen wir uns nichts vor. Das waren alles keine Idealisten. Das waren nicht 70.000 Idealisten, die sich da an diesem einen Montag (9. Oktober 1989) getroffen haben. Da waren viele Egoisten dabei. Die wollten endlich in Ruhe gelassen werden von diesem Terrorregime. Also diese Bewegung war wesentlich vielfältiger und amorpher als es heute Viele darstellen wollen. Also alle, die jetzt sagen, dafür bin ich damals nicht um den Ring gegangen.
Da frage ich dann, ja, wofür denn? Und häufig sind das dann Leute, die erst im Dezember 89 oder Januar 90 dabei waren, die dann so tolle Geschichten erzählen, die aber zu diesem Zeitpunkt gar nichts riskiert haben. Null.
Vielen Dank für das Gespräch
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