Gestern stolperte ich über einen vergnüglichen Cartoon: Darauf begrüßte eine sich in unmissverständlicher Lage mit ihrem Liebhaber zwischen den Laken befindliche Frau ihren - zum situationsgemäß ungünstigen Zeitpunkt - zuhause erscheinenden Ehemann mit den rügenden Worten, er sei ja schon wieder zu früh gekommen. Eine zweifellos offensive Sichtweise der Dinge. Wunderbar.
Abgesehen davon, dass es stets aufs Neue faszinierend ist, wie eine kleine Zeichnung im Verbund mit oft nur einem einzigen Satz als stimmungsvoll-philosophische Starthilfe für den Tag funktionieren kann, ist es umso bedauerlicher, dass erst alle Charlie werden mussten, um Cartoonisten mal wieder als das zu würdigen, was sie immer schon waren: ein Trostpflaster für die Wunden, die wir uns regelmäßig an den scharfen Kanten des Alltags holen, eine wärmende Schutzweste für die Enterhakennasigkeit der Welt, eine weiche Landemöglichkeit, wenn uns die Opferrolle rückwärts wieder mal misslingt.
Der nach Hause kommende Mann auf dem Cartoon jedenfalls scheint Opfer von Zeitmanagement und Unpünktlichkeit geworden zu sein. Ich bestehe darauf, dass auch zu früh kommende Zeitgenossen als unpünktlich zu gelten haben. Menschen, die zu früh statt zu spät zu Terminen erscheinen, wirken in meinen Augen sogar rücksichtsloser als jene, die sich mit ihrem Auftritt gewöhnlich etwas Zeit lassen. Ich sage dies nicht aus der Selbstgerechtigkeit einer von Natur aus Zuspätkommenden, sondern aus Mitleid für die von Frühkommern Belästigten. Der Frühkommer hinkt schließlich in dem Sinne dem Spätkommer moralisch hinterher, da er sich offenbar gar nicht vorzustellen vermag, dass der Mitmensch seine Zeit ohne ihn sehr genau geplant haben könnte, eventuell gar genießt, während der Spätkommer den Wartenden sogar zugesteht, prächtig ohne sein Zugegensein auskommen zu können.
Das trifft natürlich nur zu, wenn er nicht Chef ist. Chefchen verkörpern diesbezüglich leider eine Ausnahme, eine eher unschöne Ausprägung von Unpünktlichkeit, die bestenfalls Ignoranz, meist aber nur Machtdemonstration darstellt. „Wer warten muss, hat Zeit, sich seiner eigenen Unwichtigkeit bewusst zu werden“, denkt sich der CEO unbeschwert und prüft vor dem Meeting noch einmal eingehend seine Büroausstattung samt Sekretärin. Um der Belegschaft später etwas von effektiverer Zeitnutzung zu erzählen.
Zeitersparnis ist heute jedoch nicht nur im Beruf angesagt, sondern auch auf den Gebieten der Freizeit und der Körperpflege.
Dass Körperpflege am zeitsparendsten wäre, würde man diese gänzlich vernachlässigen, will aber manch Lebenspartnerin und vor allem die Kosmetikbranche nicht akzeptieren und zaubert deshalb für den waschwilligen Konsumenten geduldig weitere Wunderprodukte aus dem Hut.
So hatte sich auch das Nivea-Team im vergangenen Jahr während des Brasilienaufenthalts seines Pflegecoachs Jogi Löw mal wieder etwas Feines, etwas Neues zusammengebraut. IN-DUSCH hieß das neue Baby der Pflegeserie und meinte mit diesem wohl so etwas wie ein Duschgel und eine fettende Patina in einem. Bei ersterem bin ich mir nicht mal sicher. Was an IN-DUSCH allerdings erfreulich, neu oder verführerisch sein soll, blieb dem aufmerksameren Bad-User leider verborgen.
Als Duschen noch nicht IN-DUSCH hieß, war dies an sich eine prima Sache. Der Mensch sieht sich dabei mal wieder unbekleidet und kann darüber in unterschiedlichem Ausmaß aus dem Häuschen geraten. Mir gefällt auch der “Irgendwie-geläutert-sein”-Gedanke danach. Bisschen eincremen und in frühkindliche Verhaltensmuster fallen, z. B. im lockeren Nachtgewand eine Folge “Rauchende Colts” gucken und ein Salamibrot essen. Klare Angelegenheit. Fetzt!
Jetzt aber kommt die Kosmetikindustrie an und sagt, ich müsse auch dabei Zeit sparen. Zeit sparen sei eben wichtig heutzutage. Wer keine Zeit spart, gehört in die letzte Reihe. Der wird immer noch am “Zauberberg” lesen, während andere längst Blut husten.
Leider ist oft nicht klar, was der Mensch sonst noch mit all der gesparten Zeit anstellen soll.
Soll er noch mehr laktosefreien Latte-Macchiato mit Schablonen-Herzchen auf dem Milchschaum in sich hineinleiten? Und soll er dabei vielleicht wiederum ein bisschen Zeit gewinnen, indem er das Glas dabei schon mal in die Spülmaschine räumt? Dabei muss man sich erfahrungsgemäß oft hinunterbeugen, da könnte man doch eigentlich auch gleich mal wieder …? Doch halt! Es ist schließlich noch nicht Weihnachten.
Spätestens Weihnachten oder an dem Punkt, wo man beginnt, Witze trockenwohnen zu müssen, sollte man zurückkehren zur Thematik. Zurück also ins Bad. Zurück zu IN-DUSCH, das wie folgt benutzt zu werden wünscht:
“1. Duschen Sie wie gewohnt mit Ihrem Duschgel.
2. Cremen Sie anschließend Ihre nasse Haut noch in der Dusche mit der In-Dusch Body Milk ein.
3. Duschen Sie sich erneut mit warmem Wasser ab.
4. Abtrocknen und fertig: Sie können sich sofort anziehen!“
Abgesehen davon, dass dies in keiner Weise nach Zeitersparnis klingt, sondern nur nach einer örtlichen Verlagerung des Einfettvorgangs, bleibt hier der Eingeseifte nicht ein bisschen ratlos zurück? Soll er nun bereits im Bad mit dem Fernsehen anfangen? Und was macht er nun mit dem restlichen Abend?
Da liegt vielleicht das Grundproblem: Wer ständig gegen die Zeit lebt und nicht in ihr, der wird wohl zu keinem Wohlfühlstatus mehr gelangen. Vermutlich spart man am meisten Zeit dadurch, dass man sich das Zeitsparen spart. Die Natur schert sich ja auch einen Dreck um Pünktlichkeit und Zeitmanagement. Die macht einfach. Kein Mensch würde einem plötzlich auf der Matte erscheinenden Frühling ein tadelndes „Immer kommst du zu früh!“ entgegenrufen, oder?
Vielleicht besteht Pünktlichkeit einfach nur darin zu kommen, bevor der andere geht.
Wichtig vor allem aber bleibt, dass man sich die Zeit dazwischen nicht hätte sparen können. In diesem Sinne: Machen wir was draus!
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