Im Windschatten von Legida/Pegida ist einiges durcheinander geraten. Die montägliche Bündelung von altbekannten Stammtischparolen konnte sich mit einem Wahrheitsanspruch versehen, der seinen Widerhall fand in den Verständnisritualen derer, die gar nicht traurig darüber sind, dass nun bestimmte Grundsätze unserer Verfassung zur Disposition gestellt werden können. Darum gilt es, sich der politischen Essentials zu vergewissern, ohne die sich ein friedliches Zusammenleben der Verschiedenen nicht gestalten lässt.
Wenn die Debatte um Legida/Pegida eines bewirken kann, dann sind es diese Klärungen. Zuerst und vor allem: Wer mit einem nur annähernd globalen Blick auf Legida/Pegida schaut, dem fällt ein krasser Widerspruch auf: Da demonstrieren nun seit vier Monaten einige Tausend Menschen und tun so, als befinde sich Deutschland im Niedergang, und sie seien die ersten Opfer. In ihren Augen versteht sich Deutschland zu sehr als Teil Europas, sieht – im Blick auf die eigene Geschichte – eine Verantwortung für Pluralität, also kulturelle und religiöse Vielfalt, durch die man sich verängstigt fühlt, und hat Asyl als Grundrecht in der Verfassung verankert, was eigentlich überflüssig ist.
Anhänger von Legida/Pegida wollen kulturelle Einflüsse abwehren und treten darum für ein „unter sich bleiben“ ein
Dass im Gefolge von Islamophobie, Rüstungsexporte, die Russlandpolitik der EU, militärische Interventionen Amerikas kritisiert werden, hat nichts mit friedenspolitischen Überzeugungen zu tun, sondern entspringt einzig dem Wunsch, von weltpolitischen Verwerfungen unbehelligt zu bleiben.
Gesellschaftliche Missstände und Fehlentwicklungen (von GEZ-Gebühren bis zur Unterbringung von Asylbewerbern) werden zur Systemfrage erhoben. Hinter dem Schlachtruf „Lügenpresse“ verbirgt sich die Kritik an einer offenen Gesellschaft, in der Minderheiten den gleichen Schutz genießen wie die Mehrheitsgesellschaft. Und der Ruf „Wir sind das Volk“, verbunden mit dem Anspruch, die Wahrheit zu vertreten, bedeutet: Entweder „Ihr da Oben“ folgt uns, oder ihr bestätigt uns, dass ihr „Volksverräter“ seid. Das ist die eine Seite.
Die andere sieht so aus: Von außen betrachtet, aber auch im Vergleich mit anderen Gesellschaften, leben wir in Deutschland in einer funktionierenden, freiheitlichen Demokratie, in der sich jede und jeder an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens beteiligen kann und die nach der Friedlichen Revolution 1989 die Vereinigung der beiden deutschen Staaten erstaunlich reibungslos vollziehen konnte. Die Bürgerinnen und Bürger des vereinten Deutschlands werden nicht von einem übermächtigen Staat, von Oligarchen und einem korrupten Beamtenapparat drangsaliert. Es gibt – gerade durch das Internet – einen freien Informationsaustausch, der allerdings niemanden von der Aufgabe befreit, Informationen kritisch zu hinterfragen.
Jeder einzelne kann in Deutschland relativ sicher sein Privatleben gestalten
Unabhängig davon, dass es in der Gesellschaft durch soziale Ungleichheiten und dem damit zusammenhängenden Bildungsgefälle genügend Ungerechtigkeiten gibt, die auch Unterschiede in der gesellschaftlichen Teilhabe verursachen. Dennoch funktioniert das Gemeinwesen – auch dank der Parteien, Institutionen und Vereine, die sich der Demokratie verpflichtet sehen, und dank der Menschen, die sich darin engagieren.
Insofern ist es schon ziemlich grotesk, wenn eine nicht unerhebliche Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern im Umfeld von Legida/Pegida so tut, als würden wir in einem Verbrecherstaat leben, kaum besser als die DDR, der uns an die Islamisten verrät bzw. sich selbst unterwandern lässt, in dem nichts mehr funktioniert und die meisten Politiker nur in ihre eigene Tasche wirtschaften, während „das Volk“ darbt und sich selbst überlassen bleibt. Das sagen Menschen, die gleichzeitig alles als selbstverständlich hinnehmen: dass die Energieversorgung klappt, dass wir uns einigermaßen sicher auf den Straßen bewegen können, dass die Mülleimer geleert werden, dass wir über ein funktionierendes Gesundheitswesen verfügen und vieles andere mehr. Wobei „funktionieren“ nicht bedeutet, dass es nicht an vielen Stellen Veränderungsnotwendigkeiten gibt.
Aber darum geht es Legida/Pegida nicht
Ihr Ziel ist nicht, mehr Beteiligungsmöglichkeiten zu erstreiten. Ihr Ziel ist der „Systemwechsel“, also die Umsetzung des „Volkswillens“ durch eine autoritäre zentrale Macht.
Das erklärt auch die in sich ge- und verschlossene Protesthaltung bei Legida/Pegida. Viele Menschen, die sich den Gedanken von Pegida verbunden fühlen, vermissen einen Staat, der sich ihrer Bedürfnisse annimmt. Nach wie vor wird von diesen Menschen der Staat als ein Gegenüber zum „Volk“ gesehen. Dabei ist in der Demokratie der Staat die Summe dessen, was sich in einer Gesellschaft durch eine Vielzahl von (Wahl-)Entscheidungen und Initiativen der Bürgerinnen und Bürger auf den unterschiedlichsten Ebenen in einem streitigen Prozess als Konsens herauskristallisiert – unter Beachtung der Grundrechte, wie sie im Grundgesetz festgelegt sind.
Das zu akzeptieren, setzt aber die Erkenntnis voraus, dass Pluralität, also Vielfalt und Unterschiedlichkeit, als notwendige Bedingung für gesellschaftliches Leben anerkannt werden. Wer sich dazu bekennt, der muss auch wissen, dass er seine eigenen Überzeugungen nie absolut setzen darf, sondern sie dem Diskurs aussetzen muss. Darum ist die Meinungs- und Religionsfreiheit Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben, ebenso wie der Schutz von Minderheiten und die Gewaltenteilung. Gewährleistet kann dies nur durch offene und öffentliche Diskussion, die dazu gehörende demokratische Streitkultur und die Bereitschaft zum Kompromiss.
Genau das aber wird von Legida/Pegida abgeblockt
Wer sich die Reden auf den Kundgebungen anhört bzw. Gespräche mit Legida/Pegida-Sympathisanten führt, der merkt ganz schnell: Diskussion, Austausch unterschiedlicher Sichtweisen ist nicht gewollt, Fragen werden weder gestellt noch beantwortet und die mühsame Suche nach Kompromiss wird weitgehend ignoriert. Denn schließlich sagt und kennt man die „Wahrheit“. Damit aber missachten diese Menschen genau die Werte, die für unsere Gesellschaft unerlässlich sind und die von den Diktaturen immer bekämpft wurden und werden.
Der Publizist Carl Amery hat 1998 in einem sehr lesenswerten Buch „Hitler als Vorläufer. Auschwitz der Beginn des 21. Jahrhunderts?“ die Frage gestellt: „Müssen wir Unmenschen werden, um die Menschen zu retten?“. Amery weist darauf hin, dass Hitler diese Frage mit Ja beantwortet hat. Mit einer ähnlichen Frage müssen wir uns auch heute auseinandersetzen: Können wir uns Demokratie, Pluralität, Freiheit, friedliche Konfliktlösungen leisten angesichts der globalen Probleme Flüchtlingsströme, Terrorismus, Kriege und Bürgerkriege um natürliche Ressourcen?
Rechtsextremisten, ein Thilo Sarrazin und nun auch Legida/Pegida versuchen den Menschen einzureden …
Wir könnten nur überleben, wenn wir uns national auf uns selbst beziehen, Grundrechte außer Kraft setzen und auf eine starke, lenkende Staatsmacht vertrauen. Darum stellen sie auch die Systemfrage. Dagegen ist aber – wie Carl Amery anmerkt – die „jüdisch-humanistische Botschaft“ zu setzen, „die Botschaft von der Friedfertigkeit, von der Erhaltung des schwachen und gekränkten Lebens, von der Diskussion und des Kompromisses.“ Eine wunderbar knappe und einleuchtende Zusammenfassung der Grundwerte unserer Glaubenstradition, die ihren Niederschlag im Grundgesetz gefunden haben.
Diese Botschaft votiert im Spannungsfeld von Sicherheit auf der einen und Freiheit und Würde auf der anderen Seite für letzteres. Das ist auch heute unsere Aufgabe – in einer Zeit, in der schleichend und offen, lokal und global Überwachung und Selektion als normal und unvermeidlich hingestellt werden.
Wir sollten aber unter allen Umständen und der Nachhaltigkeit der Werte vertrauen und offensiv für diese eintreten, die uns Leben in Vielfalt und Freiheit ermöglichen und uns zwingen, friedliche Konfliktlösungen zu suchen.
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“Das zu akzeptieren, setzt aber die Erkenntnis voraus, dass Pluralität, also Vielfalt und Unterschiedlichkeit, als notwendige Bedingung für gesellschaftliches Leben anerkannt werden. Wer sich dazu bekennt, der muss auch wissen, dass er seine eigenen Ãœberzeugungen nie absolut setzen darf, sondern sie dem Diskurs aussetzen muss. Darum ist die Meinungs- und Religionsfreiheit Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben, ebenso wie der Schutz von Minderheiten und die Gewaltenteilung. Gewährleistet kann dies nur durch offene und öffentliche Diskussion, die dazu gehörende demokratische Streitkultur und die Bereitschaft zum Kompromiss.”
Gerade das ist es, was Sie Herr Wolff als Ruheständler predigen, aber sich mit der Realität gar nicht sachlich auseinandersetzten wollen, was Sie auch nie getan haben. Für Sie gilt nur eine Wahrheit , nämlich Ihre. Weshalb haben Sie Ihre “Montagsveranstaltungen” nicht weiter fortgeführt? Hier meine Antwort : Weil die Kirchen ihre Rundgänge abgesagt hatten und es selbst den letzten Unwissenden aufgefallen wäre, dass Sie als Privatperson gehandelt hätten und nicht als Vertreter der Kirche.