"Eine Religion, die zu Gewalt führt, verfehlt ihren Zweck." Das ist eine Grundaussage der Bahai. Im alten Warteraum im Leipziger Hauptbahnhof feierten Anhänger und Freunde der jungen Weltreligion am Samstag den Beginn des Jahres 172. Moses, Jesus, Mohammed und andere stifteten Religionen. Die jüngste, aber nicht letzte Religionsstiftung erfolgte durch Baha´u´llah. Über 8 Millionen folgen der Lehre. Die Leipziger Gemeinde ist jung und wächst stetig.
Fröhliches Lachen erfüllt den alten Wartesaal im Leipziger Hauptbahnhof. Es gibt Kuchen, Brötchen, Gebäck, Kaffee, Tee. Die Jugendlichen der Gemeinde verteilen die Köstlichkeiten später auf die Tische. Es gibt mehrere Kinderklassen für verschiedene Altersstufen und in den verschiedenen Stadtvierteln: in der Südvorstadt, in Gohlis, im Zentrum. Für die Jugendlichen gibt es in Leipzig derzeit zwei Juniorjugendgruppen. Nicht nur Bahai, auch andere kommen zu den Aktionen. Was zuletzt gemacht wurde, erklärt mir Lidia. Sie geht in die 9. Klasse eines Leipziger Gymnasiums und leitet eine Gruppe:
“Zuletzt hatten wir eine Keks-Aktion. Wir haben Kekse gebacken, haben sie in Papier eingewickelt und sind dann in die Stadt gegangen. Dort haben wir sie an Obdachlose und Passanten verteilt. Damit wollten wir zeigen, dass es immer wieder Menschen gibt, die bedürftiger sind als andere. Auf die wird zur Weihnachtszeit Rücksicht genommen, ansonsten aber nicht. Deshalb haben wir das mal dazwischen einfach so gemacht. Zumeist läuft man vorbei und beachtet die Obdachlosen nicht. Wir versuchen mit unseren Aktionen den Jugendlichen die Augen für andere Menschen und ihre Nöte zu öffnen”.
Liebevolle Zuwendung zum anderen steht im Zentrum des Menschenbildes der Bahai: “Das ständige Bemühen, Vorurteile abzulegen und bei anderen Menschen auf das Gute und Positive, nicht aber auf die Fehler zu achten, gehört zum praktischen Weg unserer Vergeistigung.”
Zentrale Glaubensinhalte lassen sich unter den drei Stichworten: Einheit Gottes, Einheit der Religionen und Einheit der Menschen zusammenfassen.
Es gibt nur einen Gott, auch wenn sich dieser Gott im Verlauf der Geschichte unter verschiedenen Namen geoffenbart hat. Die Bahai werden mit dem Judentum, Christentum und Islam als abrahamitische Religion bezeichnet. Passend dazu liegt ihr Hauptsitz in Haifa, Israel. Auf einer eigenen Internetseite lassen sich die Statuten, allgemeine Informationen sowie ausgewählte Stellungnahmen, die im Namen des Universalen Hauses der Gerechtigkeit veröffentlicht werden, einsehen. Neun Mitglieder leiten die Bahai. Gewählt wird alle fünf Jahre.
Es gibt eine tiefe innere Einheit zwischen den Religionen: “Die Offenbarer als Religionsstifter verkünden die göttlichen Wahrheiten für ihr jeweiliges Zeitalter, entsprechend dem Reifegrad der Menschheit. Da sich die Erfordernisse der Menschheit immer weiterentwickeln, gibt es auch keine abschließende Offenbarung – die Offenbarung Gottes schreitet in der Geschichte fort.”
Alle Menschen gehören zu einer Familie. Bahá’u’lláh entwickelte im 19. Jahrhundert vielfältige Gedanken zu einer globalen Gesellschaftsordnung: “Darin waren bereits globale Steuerungsmechanismen für Wirtschaft, Ressourcen der Erde und die Erhaltung des Friedens vorgezeichnet.”
Tägliches Gebet und regelmäßiges Studium der Heiligen Schriften von Bab und Bahá’u’lláh gehören zu den wenigen Pflichten der Bahai. Arbeit, die “im Geiste des Dienstes an der Menschheit” verrichtet wird, kommt dem Gottesdienst gleich. Auf allen Organisationsebenen finden Wahlen statt. Männer und Frauen haben Zugang zu allen Ämtern. Die Offenheit und Freundlichkeit der Bahai wirkt anziehend. Kein Wunder also, wenn hier an diesem Abend viele dabei sind, die erst als Jugendliche und Erwachsene von der Religion hörten und sofort Feuer fingen.
In Leipzig sind die Bahai an interreligiösen und interkulturellen Dialogen beteiligt.
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