"Eine Religion, die zu Gewalt führt, verfehlt ihren Zweck." Das ist eine Grundaussage der Bahai. Im alten Warteraum im Leipziger Hauptbahnhof feierten Anhänger und Freunde der jungen Weltreligion am Samstag den Beginn des Jahres 172. Moses, Jesus, Mohammed und andere stifteten Religionen. Die jüngste, aber nicht letzte Religionsstiftung erfolgte durch Baha´u´llah. Über 8 Millionen folgen der Lehre. Die Leipziger Gemeinde ist jung und wächst stetig.
“Kann es sein, dass die heiligen Schriften auf unserem Planeten komplizierte, schlecht ins Deutsche übersetzte Bedienungsanleitungen für einen hochwertigen japanischen DVD-Player sind?” Diese Frage stellt sich Hape Kerkeling auf dem Jakobusweg. Für die Bahai ist die Kommunikation zwischen Gott und den Menschen ein kontinuierlicher Prozess. Da werden immer wieder Boten geschickt, die für ihre Zeit richtige und wichtige Gedanken niederlegen. Aber es gibt auch immer wieder Fehlinterpretationen. Dann braucht es wieder einen Religionsstifter, der erklärt, wie dieses Leben funktionieren sollte. Am Leipziger Hauptbahnhof werden ja auch immer wieder die Fahrpläne ausgetauscht. Da gibt es dann grundlegende Sachen die bleiben. Nur kann es passieren, dass statt Dampflokomotiven halt ein ICE einfährt. Wenn die Entwicklung soweit ist, macht es keinen Sinn mehr, Vorschriften über den Gebrauch von Kohle zu machen.
Der Mensch ist unterwegs. Manchmal macht er Station. Im alten Wartesaal treffen sich die Bahai. Der alte Wartesaal ist zumeist nicht zugänglich. In der Bahnhofsbuchhandlung führt eine große Tür in einen holzgetäfelten Raum. Auf Bildern wird Leipziger Reisegeschichte erzählt.
Hier trafen sich am Samstag Anhänger und Freunde der Bahai zum Neujahrsfest. Die Vorsitzende des Geistigen Rates erklärte den Kalender:
“Wir beginnen das Jahr 172. Die Bahai-Zeitrechnung beginnt im Mai 1844, an dem Abend, an dem der Bab von Baha´u´llah gefunden wurde. Der Bab ist einer der zwei Offenbarer in der Bahai-Religion. Es gibt zwei, Bab und Baha´u´llah. Es wird daher von einer Zwillingsoffenbarung gesprochen. Bab hat den Kalender eingeführt und Baha´u´llah hat ihn bestätigt und noch einige Änderungen vorgenommen. Das ist der Kalender, nach dem weltweit alle Bahai leben. Er besteht aus 19 Monaten a 19 Tagen und 4 bzw. 5 im Schaltjahr eingeschobenen Tagen. Diese Monate sind alle benannt nach den Eigenschaften Gottes. Der letzte Bahai-Monat, der jetzt zu Ende gegangen ist, ist der Monat, in dem gefastet wird. Dieses Fasten ist ein Prinzip, um sich auf das Geistige zu konzentrieren und sich geistig zu reinigen und mit neuer Kraft und mit neuer Liebe und Glut das neue Jahr zu beginnen.”
1844: ein junger Mann mit dem Titel Báb (arab. “Das Tor”) erklärt im Iran, dass er ein Gesandter Gottes ist. Das islamische Religionsgesetz ersetzte er durch ein neues. Frauen sollten deutlich mehr Rechte bekommen, einen Klerus gab es nicht und der Machtmissbrauch seitens geistlicher Autorität sollte eingestellt werden. Das rief Begeisterung hervor. Der Báb sammelte viele Anhänger um sich. Regierung und Geistlichkeit aber nahmen ihn gefangen. 1850 wurde er öffentlich hingerichtet. Wenn es aber eine Lehre aus der Geschichte der Menschheit gibt, dann diese: Menschen können getötet werden, Ideen nicht. Zum einen leben bis heute noch wenige hundert bis tausend Babi im Iran, zum anderen wurden die Gedanken durch Bahá’u’llah aufgegriffen.
Nach der Hinrichtung des Báb wurde Bahá’u’llah in Teheran (1852) eingekerkert. Auf internationale Fürsprache hin freigelassen, führte sein Weg zuerst nach Bagdad. Dort verkündete er zum ersten Mal seinen Anspruch, Gottes Sprachrohr für dieses Zeitalter zu sein. Gegenüber den Christen trat er mit dem Anspruch auf, die Wiederkunft Christi zu erfüllen. Er sah sich göttlich autorisiert, die heiligen Schriften der Juden, Christen und Muslime neu zu interpretieren. Gewalt wird abgelehnt. Missioniert wird nicht. Ziel von Religion ist: „das Wohl des Menschengeschlechts zu sichern, seine Einheit zu fördern und den Geist der Liebe und Verbundenheit unter den Menschen zu pflegen“.
Das macht deutlich, dass die Bahai nicht als schiitische Sekte zu betrachten sind, als solche aber werden sie im Iran bis heute verfolgt. Anders als Christen und Juden gelten die Bahai nicht als religiöse Minderheit. Nach Angaben der Bahai wies am 3. März 2015 der Generalsekretär der Vereinten Nationen in einem Bericht auf das Schicksal der Bahai im Iran hin.
“Der Iran macht immer wieder auf sich aufmerksam, indem zahlreiche Bahai unrechtmäßig inhaftiert, sie aus Hochschuleinrichtungen ausgeschlossen und ihnen mit Berufsverboten und erzwungenen Geschäftsschließungen die wirtschaftliche Lebensgrundlage entzogen werden. Ihre Friedhöfe werden geschändet und in zahlreichen Fällen wird die Beisetzung von Bahai gestoppt oder behindert. Mediale Hassangriffe gegen Bahai beliefen sich im vergangenen Jahr auf über 4800 Artikel und Videos, in denen Bahai durch falsche Anklage, aufhetzerische Wortwahl und geschmacklose Bildsprache dämonisiert werden”, heißt es auf der offiziellen Seite der Bahai.
Im zweiten Teil wird die Lehre der Bahai näher vorgestellt und berichtet, warum jugendliche Bahai in der Leipziger Fußgängerzone Kekse verteilten.
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